Ein Faust – Zwei Gegenspieler – Drei Stücke

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Die Bühne ragt weit in die Zuschauerreihen hin­ein. Ein höl­zer­nes, qua­dra­ti­sches Konstrukt mit einer kar­gen Glühbirne in der Mitte stellt das «enge Bretterhaus» dar. Eine Distanz zwi­schen Bühne und Publikum wird von Anfang an ver­wei­gert. Die bei­den Akteure – Faust und sein Alter Ego Mephisto – suchen die Nähe zum Volk. Am Bühnenrand ste­hend tre­ten sie gleich zu Beginn in Kontakt mit den Zuschauern. Die Angst der Schauspieler vor dem «bele­se­nen Publikum» wirft bei ihnen die Frage auf, wie der all­seits bekann­te Faust neu insze­niert wer­den könn­te: «Wie fin­det man einen fri­schen Blickwinkel, der dem Volk gefällt?» Der Zuschauer wähnt sich zwar erst in Goethes «Vorspiel auf dem Theater», doch bereits hier wird deut­lich, dass für das gesam­te Stück die Frage nach neu­en Perspektiven zen­tral ist.

Das Stück kon­zen­triert sich stark auf Worte, auf ihren Sinn oder Unsinn, ihre Möglichkeiten oder Unmöglichkeiten. Die eng am Originaltext blei­ben­den Sätze flie­gen zwi­schen den Akteuren wie Spielbälle hin und her, wäh­rend ledig­lich klei­ne Gesten und dezen­te Mimik das Gesprochene unter­ma­len.

Schauspieler – «Faustspieler»

Es ist ein Spiel mit den klas­si­schen Zitaten des ersten Faust-Teils und sze­ni­schen Ausflügen in den zwei­ten Teil. Die Sprache schwankt zwi­schen phi­lo­so­phisch-pathe­tisch, prag­ma­tisch und iro­nisch. Pointierte Aussagen füh­ren bei den Zuschauern zu Gelächter. Die eigent­li­che Handlung des Stücks gerät zeit­wei­se in den Hintergrund und wird nur durch vir­tuo­se Wortwechsel zwi­schen Faust und Mephisto dar­ge­stellt. Dabei voll­füh­ren bei­de diver­se Rollentausche, reis­sen sich gegen­sei­tig aus ihrer Verzweiflung und gleich­zei­tig aus dem ori­gi­na­len Ablauf des Stücks. Es ist dem Zuschauer nicht mög­lich, pas­siv zuzu­se­hen. Immer wie­der wird er aktiv in das Geschehen hin­ein­ge­zo­gen und muss sich bemü­hen, den schnel­len, teils chao­tisch anmu­ten­den Wort- und Themenwechseln zu fol­gen.

«Am Anfang war das Theater»

Wie bereits Goethes Mephisto, so hält auch der ‹Bühnen-Mephisto› sei­nen Faust zynisch zum Narren. Für ein­mal ist sogar Faust der ‹teuf­li­sche Pudel› und somit Mephistos Diener. Dieser schlüpft in die Rolle Gottes, wäh­rend er auf des Pudels Rücken die Glühbirne ent­zün­det und Licht bringt. Am Anfang war nicht das Wort, son­dern die Tat, die in selbst­re­fe­ren­zi­el­lem Wortspiel zu «am Anfang war das Theater» wird.

Ein Video-Einspieler zeigt die Live-Übertragung aus dem drit­ten Stück des Faust: Elfriede Jelineks Sekundärdrama, das zeit­gleich im Keller gespielt wird. Eine jun­ge Frau erzählt in typisch jelin­ek­scher Sprache hart und direkt von der Vergewaltigung durch ihren Vater. Bisherige Leichtigkeit und Humor wer­den abrupt abge­bro­chen.

Die Verzweiflung Fausts steigt im sel­ben Masse an, in wel­chem sich das Tempo von Sprache und Gestik erhöht. Der Zuschauer wird direkt ange­spro­chen, hin­ein­ge­zo­gen in den Rausch; er ver­folgt gebannt das immer ver­wor­re­ne­re Geschehen, das von Zechgelagen zu Suizidversuchen über Osterspaziergänge bis hin zu wil­dem Sich-Entblössen drängt. Wiederholte Live-Übertragungen aus dem Keller unter­strei­chen durch rasan­te Wortspiele das Tempo, das bereits auf der Bühne ange­ge­ben wird.

Die Euphorie erreicht ihren Höhepunkt und mit einem Beil bre­chen sich die bei­den Akteure einen Weg durch den Bühnenboden zu der Aufführung im Keller. Teil eins und zwei wer­den mit dem «Sekundärdrama» zusam­men­ge­führt. Zuschauer und Schauspieler ver­ei­nen sich auf der Bühne und die Distanz wird erneut auf­ge­ho­ben.

Provokation inklu­si­ve

Wie aus der Hölle stei­gen die Frauen aus dem Keller empor und tre­ten, ähn­lich dem Pudel, ‹kläf­fend› in das Stück hin­ein. Die gewohnt jelin­ek­sche Art mit ihrer bru­tal-vul­gä­ren Sprache erlaubt es nicht, um den heis­sen Brei zu reden. Das Auftauchen der «FaustIn», «GeistIn» und «GretIn» lässt die Triebe der bei­den Männer her­vor­bre­chen. Während Faust nach wie vor in sei­nem Pathos gefan­gen ist, brin­gen die drei Frauen sein und Mephistos schänd­li­ches Begehren durch exem­pla­ri­sche Schilderung auf eine schmuck­lo­se Ebene. In irri­tie­ren­der Weise flies­sen Opfer- und Täter-Perspektive inein­an­der.

Auch Jelinek spielt mit den klas­si­schen Faust-Zitaten. Sie zer­reisst sie, zer­stückelt sie und legt den Fokus auf die Lautlichkeit der Sprache, von wel­cher aus­ge­hend sie Assoziationen und Wortspiele anstellt. Triebe und Liebe ver­mi­schen sich, doch die Triebe gewin­nen die Oberhand und füh­ren zu Gretchens Zerstörung.

Wie die Schauspieler sucht auch der Zuschauer auto­ma­tisch immer wie­der nach dem Sinn, nach einer Erklärung, nach der Erklärung, «was die Welt im Inneren zusam­men­hält». Der fri­sche Blickwinkel ist durch­aus geglückt, wenn auch die schwer ver­dau­li­che der­be Sprache und Ansicht Elfriede Jelineks nicht jeder­manns Sache sein dürf­ten. Den Dialogen zwi­schen den Schauspielern, den ‹Fausts›, den Akteuren und dem Publikum kann man sich nicht ent­zie­hen. Doch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn ist jedem selbst über­las­sen.

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