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Deodorant-Geruch in der Nase

In Dakar gebo­ren, begann die Senegalesin Fatou Cissé 1989 an der dor­ti­gen Manhatten Dance School die Ausbildung zur Bühnentänzerin. Zwar war ihr Vater Ousmane Noël Clissé zu jener Zeit Oberhaupt der Schule und wur­de spä­ter Leiter des natio­na­len Balletts, doch Fatou Cissé mach­te alles ande­re als kon­for­me Stücke. Im Speziellen die gesell­schaft­li­che Rolle der Frau in Senegal ist ihr ein wich­ti­ges Anliegen. Im aktu­el­len Solo am Theater Spektakel «Regarde-moi enco­re», unlängst am Institut Français du Cameroun in Yaoundé auf­ge­führt, the­ma­ti­siert Cissé bei redu­zier­ter Bühnenausstattung den weib­li­chen Körper als Manifestation des Psychischen, Begutachtungsobjekt und Ort des Klischees.

Dem Körper zuschau­en

Fatou Cissé bewegt sich flink und flüs­sig, doch abrupt. Geschmeidigkeit und Hektik, bei­des liegt in ihren Bewegungen. Gekonnt spielt sie mit Versatzstücken einer leicht­füs­si­gen Choreografie vol­ler Übergänge vom Eiligen ins Übereilige und voll impul­si­vem, aber unauf­ge­reg­tem Kreisen und Schlängeln der Arme. Vereinzelt bre­chen ein­zel­ne Sequenzen aus die­ser Einheit aus. Die Eleganz schlägt über in repe­ti­tiv-mani­sche Muster. Immer brüs­ker streckt sie ihre eine Hand aus, um sie mit der Anderen gleich wie­der nie­der zu schla­gen. Bis sie sich nur noch sel­ber schlägt. In sol­chen Momenten ent­wickelt das Solo sei­ne psy­cho­lo­gi­sche Wirkmächtigkeit. Wenn sie wild vor und zurück rennt oder den einen Stuhl schier end­los umrun­det, wird das Tänzerische zur Zeichensprache der Psyche.

Konfrontation sucht Cissé von Anfang an. Geschlagene acht Minuten sitzt sie zu Beginn des Stücks bewe­gungs­los auf dem Stuhl. Ihr Körper wird zur leb­lo­sen Puppe, doch ihr Blick fixiert das Publikum innig und scharf. Ein, zwei Mal rich­tet sie ihren Körper neu aus, doch ihre Augen blei­ben als Drohung auf den ver­le­ge­nen, unru­hi­gen Zuschauern haf­ten. «Regarde-moi enco­re»: Du schaust mich immer noch an, schau mich noch ein­mal an. Unausweichlich wird dem anony­men Blick der Zuschauer an die­sem Abend die Unschuld genom­men. Unbehelligt zuschau­en wird wohl kei­ner mehr.

Vielleicht sind Cissés Bewegungen auch gar nicht für uns gedacht, viel­leicht ist es sogar eine Zumutung, von Tänzer und Performern zu ver­lan­gen, dass sie uns bedeu­tungs­vol­le, ver­ständ­li­che und kon­su­mier­ba­re Bewegungen und Abläufe lie­fern sol­len. Vielleicht liegt hin­ter die­ser Haltung gar eine ver­deck­te Machtstruktur: Tanz du da vor­ne, Tanz. Und schau dabei auch gut aus! Für den zwei­ten Teil des Abends klei­det sich Cissé dann auch um und tauscht das Karo-Hemd gegen das viel­far­bi­ge Abendkleid mit Perücke. Es geht jetzt nur noch ums Schminken. Lippenstift, Puder, Lash, da ist alles dabei. Von Kopf bis Fuss sprayt sie sich mit Deodorant ein, bestän­dig sucht sie die Selbstvergewisserung im Spiegel. Die Szene nimmt gro­tes­ke Züge an und ihr Körper bewegt sich ein­zig im Takt der Eitelkeit. Bis sie am Schluss (wie­der) zum Püppchen wird.

Die Stellung der Frauen in Senegal

Zwar ist die poli­ti­sche Präsenz der Frauen im Durchschnitt höher als in die umlie­gen­den Ländern, von wirk­li­cher Gleichberechtigung kann aber nicht gespro­chen wer­den. Hinsichtlich der Arbeit in den Ministerien, der Erwerbsquote sowie der der Schulausbildung sind die Frauenanteile immer weit nied­ri­ger als jene der Männer. Auch recht­lich, bspw. bei Erbvorgängen, ist die Frau heu­te noch schlech­ter gestellt als der Mann. Klar, die Aufführung von Fatou Cissé wird an der Situation in Senegal nichts ändern. Die Situation in Senegal als Bedingungen künst­le­ri­schen Schaffens führt aber zu einem  Stück, das nicht nur im loka­len Kontext Brüchigkeiten der Identität, der thea­tra­len Rollenverteilungen und stig­ma­ti­sie­ren­der Bilder des Weiblichen vor­führt. Und der pene­tran­te Geruch des Deodorants  bleibt beim Verlassen des Saals in der Nase hän­gen.

 

 

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