Phantasievolle und berüh­ren­de Reise

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Was macht denn den Menschen zum Menschen? Ist es sei­ne Sprache – sei­ne Art und Weise zu Artikulieren und Kommunizieren, ist es das Bilden von Gedankenmodellen basie­rend auf der Logik oder ist es schlicht nur der Glaube an ein höhe­res Wesen?

Die Geschichte von Kaspar Hauser begann 1828 als ein unbe­kann­ter jun­ger Findling in Nürnberg auf­tauch­te. Der wort­kar­ge Hauser, der nur mit Müh und Not eini­ge Wortfetzen spre­chen konn­te, stell­te die Stadtbewohner, die den Knaben auf­nah­men, vor einem Rätsel, des­sen Konsequenzen sie sich kaum aus­ma­len konn­ten. Hauser – mehr ein Stück Lehm, als ein Leib, des­sen Form und Inhalt geschaf­fen wer­den muss­te, denn so stellt sich her­aus, dass der jun­ge Hauser zeit sei­nes Lebens in einem dun­keln Keller bei Wasser und Brot ein­ge­schlos­sen war und vom Leben und von der Welt nichts kann­te.

33 Episoden über Hauser

Der let­ti­sche Regisseur Alvis Hermanis, der  am Schauspielhaus Zürich schon «Brennende Finsternis», «Väter» und «Der Idiot. Anfang des Romans» insze­nier­te, nimmt sich den Kasus Hauser und erzählt sei­ne Geschichte. Eine Geschichte – mehr eine Tragödie – über einen Menschen, der Mensch sein woll­te, doch zum «Haustier» gemacht wur­de. Im Zentrum bleibt die Frage nach dem Menschlichen. Hauser eine Projektionsfläche, ein Spielzeug für die auf­ge­klär­ten Stadtbewohner. So muss Hauser spre­chen, musi­zie­ren, dich­ten, Glauben und Anstand ler­nen. Ein Spielball zwi­schen Ideologien und Theorien. In 33 kur­zen Episoden wird Hausers Entwicklung erzählt. Jede Episode mag kurz sein und nur ein Kratzer in der Oberfläche eines gros­sen Themas hin­ter­las­sen, so bil­det die gesamt Dramaturgie die inhalt­li­che, mensch­li­che Frage. Begleitet von Klavierstimmen beob­ach­tet man Hausers Fortschritte im Finden sei­ner selbst. Mit Texten und Zitaten von Hauser wird sei­ne viel­schich­ti­ge Persona mehr und mehr gezeich­net. Doch je mehr Hauser wächst, je mehr er sich sei­nes eige­nen Verstandes bedient, desto mehr ver­liert er die Sympathie sei­ner Umgebung, bis schliess­lich das «Spielzeug» Hauser nicht mehr inter­es­sant ist und ent­sorgt wer­den muss.

Miniaturwelt und Puppenspiel

Hermanis ent­lässt sei­nen Hauser in eine Miniaturwelt, in wel­cher er wie Gulliver wort­wört­lich nicht passt. Aus einem Sandkasten gebor­gen, wird Hauser in eine Art Puppenspiel ent­las­sen, denn die Schauspieler des Schauspielhauses zei­gen ihre Fähigkeiten nicht in gewohn­ter Manier. Sie wer­den zu Puppenspieler, doch anstel­le einer Puppen, sind hin­ter Kostüm und Maske Kinder ver­bro­gen, wel­che von den Spielern geführt wer­den. Form und Inhalt erhal­ten die per­fek­te Symbiose. Hauser, der ein­zi­ge Erwachsene, der ein­zi­ge Freie und doch zugleich der Bedürftigste.

Hermanis schuf einen Abend, der merk­wür­dig bleibt. Eine bizar­re Reise, die einem mit­nimmt und aus­spuckt. Einen dämo­ni­schen Traum oder Fantasy-Film. Es ist schwer zu sagen, was «Die Geschichte von Kaspar Hauser» ist, klar ist nur, dass einem Hausers Geschichte nicht unbe­rührt lässt.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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