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Bananarama in Zombieland

 «Diese Gesellschaft ver­wan­delt sich von einem System, das von sich selbst nichts wis­sen kann, über ein System, das von sich selbst nichts wis­sen darf, in ein System, das von sich selbst nichts wis­sen will.» Dieser Satz gehört zu den ersten Worten, die in Das unfass­ba­re Schicksal der Erlebnisbanane gespro­chen wer­den. Es sind nicht Worte, die dem eige­nen Denken der Protagonisten ent­stam­men, son­dern es ist – und das ist ganz ent­schei­dend – ein Zitat. Dass die Gruppe asu­per­her­os­cape ihre neu­ste Produktion mit einer Textpassage aus Georg Seeßlens und Markus Metz´ medi­en­theo­re­ti­schem opus magnum Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität begin­nen lässt, unter­streicht deut­lich deren Selbstdeklaration als Diskurstheater. Denn der Diskurs ist der eigent­li­che Hauptdarsteller in die­sem Stück.

Diskursiver Gladiatorenkampf

Der Zuschauer trifft in der Roten Fabrik auf kei­ne her­kömm­li­che Theaterbühne, viel­mehr sind die Ränge kreis­rund in Form einer Arena um eine lee­re Fläche – die Bühne, wenn man so will – geglie­dert, in deren Mitte das Schauspiel sei­nen Lauf nimmt. Die Erlebnisbanane (Franziska Wulff) und der Hase (Johannes Suhm) lie­fern sich ihren Rollen ent­spre­chend kostü­miert ein dis­kur­si­ves Wortgefecht, bestehend aus Schlagworten, Worthülsen und Gemeinplätzen, die alle­samt dem Argumentationsrepertoire neo­mar­xi­sti­scher, medi­en­ana­ly­ti­scher, post­struk­tu­ra­li­sti­scher und post­mo­der­ner Theoriebildung ent­stam­men. Es wird gestrit­ten, doziert, geha­dert, hin­ter­fragt, ana­ly­siert und räso­niert, was das Zeug hält.

Welche Rolle spielt ein Individuum in einer post­ka­pi­ta­li­sti­schen, ganz der Aufmerksamkeitsökonomie unter­wor­fe­nen Welt? Wir wis­sen es nicht, wir wis­sen nur, dass wir eine Rolle spie­len, aber eben nicht wel­che. Wir sind Post-Persönlichkeiten, die ihren Platz in der Welt nicht fin­den kön­nen, weil es einen sol­chen Platz gar nicht gibt. Wie ist gesell­schaft­li­che Veränderung unter die­sen Umständen über­haupt mög­lich? Sind wir alle in eine gigan­ti­sche Blödmaschine gera­ten? Wird das eine Psychotherapie? Oder auf der Metaebene: Kann in die­ser Theatersituation eine Interaktion mit dem Publikum statt­fin­den, so dass es sich im Dargestellten wie im Lacan’schen Spiegelstadium (wieder)erkennt und gegen die eige­ne Situation auf­be­gehrt, sub­ver­siv tätig wird? Der Untertitel des Stücks, «Theater als Paralyse und Heilung», scheint die­sen kathar­ti­schen Effekt jeden­falls her­bei­zu­seh­nen.

Dieser per­ma­nen­te Diskursstrom ist jedoch lau­fend Unterbrechungen aus­ge­setzt. Regelmässig wie­der­keh­rend mar­schiert die Figur des Sehers (Dietrich Kuhlbrodt) unter gewal­tig dröh­nen­den Fanfaren in die Arena ein und fällt den Protagonisten ins Wort. Doch anstatt Rat zu ertei­len, ist er völ­lig rat­los. Obwohl als Wegweiser kostü­miert, ist der Seher völ­lig ori­en­tie­rungs­los; die Richtung, der Weg, den er wei­sen soll­te, ist ihm selbst nicht bekannt.

Obduktion des Theoretischen: All you Zombies

Es exi­stiert eine wei­te­re Möglichkeit, das Arrangement der Zuschauerränge zu betrach­ten, näm­lich als Theatrum Anatomicum, in des­sen Mitte ein Körper seziert wird. In die­sem Falle ein Textkörper, ein Text- und Theoriecorpus, des­sen per­for­ma­ti­ves Potential, gesell­schaft­lich wirk­sam zu sein, völ­lig ampu­tiert ist. Im Verlauf die­ser Obduktion offen­ba­ren sich aus­nahms­los alle ins Feld geführ­ten theo­re­ti­schen Ansätze und Methoden als Totgeburt, unfä­hig, den Schritt zur Praxis zu voll­zie­hen und wir­kungs­los dar­in, die Gesellschaft ver­än­dern zu kön­nen.

«Eine per­fek­te Blödmaschine muss nur ver­hin­dern, dass man mit dem Denken anfängt.», schrei­ben Seeßlen & Metz und beschrei­ben damit ein Prinzip, des­sen Wahrheit wäh­rend der Aufführung in aller Deutlichkeit demon­striert wird. Denn als der Seher sich plötz­lich mit einer im Publikum pla­zier­ten Souffleuse zu unter­hal­ten beginnt, wer­den er, die Erlebnisbanane und der Hase scho­nungs­los als repe­ti­tiv, vor­ge­fer­tig­ten Text repro­du­zie­ren­de Maschinen demas­kiert, denen eige­nes Denken völ­lig fremd ist. Keiner der vor­ge­tra­ge­nen Gedanken, nichts, was sie gesagt haben, nicht ein­mal die gering­ste Interjektion stammt von ihnen selbst, sie wie­der­ho­len nur wie­der und wie­der die immer­glei­chen Theorie-Plattitüden. Das gan­ze kann damit auch als sze­ni­scher Turing-Test gele­sen wer­den: Man ver­sucht den Gesprächspartner davon zu über­zeu­gen, dass man ein den­ken­der Mensch ist. Kann man nach einem inten­si­ven dia­lo­gi­schen Austausch nicht sagen, ob es sich um einen Mensch oder um eine Maschine han­delt, hat die Maschine den Turing-Test bestan­den und ihr wird ein dem Menschen eben­bür­ti­ges Denkvermögen unter­stellt. Die Akteure bemü­hen sich dar­in red­lich. Durch und durch ver­su­chen sie die Illusion des Selber-Denkens auf­recht zu erhal­ten, indem sie die vier­te Wand durch­bre­chend ihre Existenz als Rolle reflek­tie­ren. Doch in dem Moment, in dem die Souffleuse ins Geschehen ein­greift, ent­lar­ven sie sich gna­den­los als repro­du­zie­ren­de Maschinen. Als Maschinen, die als sol­che kaum zu erken­nen sind – gleich­zei­tig tot und leben­dig – sie sind un-tot, Zombies.

Besteht dar­in die erkennt­nis­theo­re­ti­sche Pointe des Stücks? Dass man als Zuschauer selbst einer gigan­ti­schen Blödmaschine auf den Leim gegan­gen ist? Beginnt an die­sem Punkt nun das eige­ne Denken? Voller Fragen und doch etwas rat­los wird man nach neun­zig Minuten wie­der in die gesell­schaft­li­che Wirklichkeit ent­las­sen. Diesem intel­lek­tu­el­len Vexierspiel zu fol­gen ist durch­aus amü­sant, erfor­dert jedoch ein erheb­li­ches Mass an gei­sti­ger Aufmerksamkeit, über wel­che ver­mut­lich nicht jeder ver­fügt. Eindeutige Antworten erhält das Publikum jeden­falls nicht. Ob das über­haupt wich­tig ist, das ist eine ande­re Frage. Aber über­las­sen wir dazu der Erlebnisbanane das letz­te Wort: «Das ist die Ironie der post­de­mo­kra­tisch-post­ka­pi­ta­li­sti­schen Welt.»

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