Scheiternder Mensch, fei­ern­de Sprache

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«Lager – Regal – Bitte lesen Sie die Packungsbeilage»

Eine Frau kom­mu­ni­ziert. Sie reagiert auf ein nicht näher bestimm­tes Inserat; ihr Sprechen ist also gerecht­fer­tigt. Sie ist bereit zu den nöti­gen Schritten der Selbsterniedrigung. Sie wird tun, was man von ihr ver­langt, aber was wird ver­langt? Schließlich besteht sie doch dar­auf, ihre Körperteile zu behal­ten.

Ein Mann kom­mu­ni­ziert. Er möch­te sich neben einer Frau auf die Bank set­zen. Er erklärt sich. Er nähert sich ihr und legt sei­nen Kopf in ihren Schoß. Aber es wird nichts. «Ich tue Ihnen nichts», beteu­ert er, um dann hin­zu­zu­fü­gen: «Ich bin nur unpas­send.»

Ganz recht, irgend­et­was geschieht da, das den rei­bungs­lo­sen Austausch von Floskeln ver­hin­dert. Die Texte, die an die­sem Abend vor­ge­tra­gen wer­den, ber­gen fast alle – man­che ernst, man­che eher ver­spielt, aber recht unab­hän­gig davon, was ihr vor­geb­li­ches Thema ist – die­se unaus­ge­spro­che­ne Frage: Was pas­siert, wenn die Worte, und sei es nur ein wenig, von ihren gewohn­ten Bahnen abwei­chen? Die ent­ste­hen­den Szenen sind dar­um immer bei­des zugleich: Selbstbewusste Überschreitungen fest­ge­fah­re­ner Muster – und Darstellungen von Kommunikation, die ganz ein­fach schei­tert.

Verschiebungen der Ordnung

Ein Leitmotiv bil­den Packungsbeilagen und Gebrauchsanweisungen – Texte, so mag der pro­sa­ische Geist mei­nen, bei denen es nicht viel zu inter­pre­tie­ren gibt, also siche­rer Boden. Die Darsteller klam­mern sich auch gera­de­zu an sie, als wären sie der Schlüssel zu Gott-weiß-was. Doch bereits mini­me Verschiebungen in ihrem Wortlaut, eini­ge unpas­sen­de Wiederholungen ver­wei­sen die­se Gebrauchstexte in den Bereich der rät­sel­haf­ten Symbole, deren Aneinanderreihungen fast wie pri­mi­ti­ve Beschwörungsformeln klin­gen.

Das Spiel der Performer ist meist spar­sam und unter­kühlt, aber sou­ve­rän, und auch das Bühnenbild ist fru­gal (ein paar Kisten und Kartons, die das «Regallager» des Titels andeu­ten; in ihrer Bild- und Grafiksprache dezen­te, an die Wand pro­ji­zier­te Visualisierungen); ledig­lich eini­ge Requisiten wie Walky-Talky und Laptop tra­gen die Worte schein­bar nach außen in die Welt. Scheinbar, denn auch in der Technik liegt kei­ne Rettung.

Der Mensch spricht die gan­ze Zeit, aber er hat nicht das Sagen – es sind die Worte selbst, die mit­ein­an­der spie­len und sich anein­an­der fügen. Was liegt dar­an, wer spricht? Die Tragödie wan­dert auf die Meta-Ebene. In schnel­lem Schnitt hin­ter­ein­an­der gesetz­te Szenen erwei­sen sich als Permutationen, die das schein­bar Selbstverständliche dre­hen und wen­den, bis es einen Stich ins Groteske bekommt. Ein Spiel mit den Funktionsnormen der Sprache, oft an der Grenze zum Chaos – und an der Grenze zur Totalüberforderung des Publikums.

Entfremdung?

Worum geht es nun eigent­lich? Ist es schon wie­der das Anprangern der Entfremdung (die jeden Theaterkritiker ent­zückt, weil er nun genau weiß, mit wel­chen Plattitüden er den Gegenwartsbezug der Aufführung loben kann)? Nein, kein biss­chen. Das Spiel mit den Worten – obgleich zuwei­len auf eine über­ra­schend direk­te Art komisch – muss kei­nes­wegs für alber­ne Rebellionsgesten her­hal­ten. Man nimmt die Sprache ernst. Wenn es kei­ne Moral am Ende der Geschichte gibt, dann vor allem des­halb, weil es kei­ne Geschichte gibt. Die bri­co­la­ge aus ein­zel­nen Themenvariationen, die zudem noch von ver­schie­de­nen Autorinnen des «DamenDramenLabors» stam­men, wider­setzt sich der Form der Erzählung; hin und wie­der kei­men klei­ne nar­ra­ti­ve Fragmente auf, doch bevor sie sich sta­bi­li­sie­ren kön­nen, wer­den sie abge­schos­sen.

Dies zeigt sich am ein­drucks­voll­sten da, wo die Literatur die Hochburgen der Ordnung stürmt, bei Aufzählungen, Registern, Inventurlisten. Holzfabrikate in einem Lagerhaus, Folterinstrumente, Romantitel, die das Wort «Liebe» ent­hal­ten – und unzäh­li­ge Apfelsorten, die merk­wür­di­ge Phantasienamen tra­gen. Nach wel­chen Kriterien wer­den hier wel­che Dinge zusam­men­ge­fügt? Nicht nach den übli­chen, aber die Abweichungen sind auch nicht gigan­tisch; man ver­mu­tet immer noch eine uns mehr oder weni­ger ähn­li­che Intelligenz hin­ter die­sen Tableaux. Ein danach ein­ge­scho­be­ner Text, auch eine Form der Sortierung: Haare, Brillen, Koffer, tau­sen­de davon. Plötzlich ange­streng­te Betroffenheit im Publikum: Ja rich­tig, die­se ande­re Bedeutung des Wortes Lager…und nein: Nur weil die Ordnung will­kür­li­chen Regeln folgt, muss sie kei­nes­wegs harm­los sein.

Wenn die Sprache fei­ert

Streckenweise bleibt dem Zuschauer zuge­ge­be­ner­ma­ßen kaum etwas ande­res übrig, als sich schlicht­weg dem Strom der Klangbilder und Assoziationen hin­zu­ge­ben; doch gleich­zei­tig wird er fast gezwun­gen, reflex­ar­tig nach der Struktur zu suchen, der Unordnung wie­der System zu unter­stel­len, kurz: per­ma­nent der Verschiebung des Sinns hin­ter­her­zu­lau­fen. Denn er spürt genau, manch­mal auf durch­aus unbe­hag­li­che Weise, dass es auch sei­ne Welt ist, die hier zu wackeln beginnt und auf eine sehr pro­fun­de Weise ihre Eindeutigkeit ver­liert.

Denn obgleich die Aufführung oft mehr einer sze­ni­schen Lesung gleicht, ist sie doch auch immer Handlung, Aktion. Es wird nicht theo­re­ti­siert; ein poe­ti­scher Experimentalaufbau wird in Betrieb genom­men. Der Effekt ist viel­leicht den­noch eher ein phi­lo­so­phi­scher; jeden­falls wenn, nach dem Diktum Wittgensteins, «die phi­lo­so­phi­schen Probleme ent­ste­hen, wenn die Sprache fei­ert.» Verwirrung setzt ein, ja; aber eine eigen­ar­ti­ge Dynamik hat sich eta­bliert, der es gelingt, die Vorstellung als Ganzes zu tra­gen.

Nächste Vorstellung am zwei­ten April. Empfehlenswert für Leute, die ger­ne Dinge ord­nen wür­den, aber denen ihre Sprache schon immer ein wenig fremd vor­kam.

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