Hoffnung auf Klärung?

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Politisches Theater pro­vo­ziert und gibt sich ger­ne angrif­fig. Prekär wird das, wenn kul­tu­rel­le und sprach­li­che Barrieren das Verstehen erschwe­ren. Ein aktu­el­les Beispiel für die Ratlosigkeit, die dar­aus resul­tie­ren kann, ist der­zeit am Theater Spektakel mit Boyzie Cekwana aus Südafrika, Panaibra Canda und Maria Tembe aus Mosambik und der Portugiesin Amelia Socovinho zu sehen.

Ihre Gesichter sind ver­deckt: Die vier PerformerInnen hal­ten weis­se A4-Blätter mit Sichtlöchern wie Masken vor ihren Köpfen. Die Bühne ist voll mit sol­chen Blättern. Kindlich bema­len sie die­se: Wimpern, lächeln­de Münder, Tränen. Sie tau­schen die Blätter unter­ein­an­der, wen­den sie, bema­len sie von neu­em. Die ver­hal­te­nen, stum­men Spielereien kom­men hin­ter einem über­di­men­sio­nier­ten Bilderrahmen zum Stillstand. Tableau vivant. Bis die bein­lo­se Maria Tembe schroff aus dem Bild gewor­fen wird.

Scheinbarer Pakt

Dabei ist von vorn­her­ein klar: Harmonisch kann «the Inkomati (dis)cord» nicht aus­ge­hen. Der Stoff des Stückes bezieht sich auf das Nkomati-Abkommen zwi­schen Südafrika und des­sen kom­mu­ni­sti­schen Nachbarn Mosambik. Der Pakt von 1984 soll­te die Unterstützungen der Regierungen an die Widerstandsbewegung im jeweils ande­ren Land unter­bin­den. Obwohl von den offi­zi­el­len Stellen unter­zeich­net, wur­de das Abkommen nie ein­ge­hal­ten und kur­ze Zeit spä­ter von süd­afri­ka­ni­scher Seite für nich­tig erklärt.

So wer­den auch auf der Bühne die Masken zu Geschossen. Die Papierknüllen jagen aggres­siv durch die Luft und zu impul­si­ver Tango-Musik wird gekämpft: Zu Boden fal­len, auf­ste­hen, zu Boden fal­len, auf­ste­hen. Die Körper wer­den zur Metaphern des Bürgerkriegs.

Dann steigt Cekwana aus dem Kampf aus und wird zum DJ. Ein DJ aller­dings, der nichts Tanzbares son­dern poli­ti­sche Reden auf­legt. Die Reden bezie­hen sich auf das Nkomati-Abkommen, sie wer­den von Staatsoberhäuptern gehal­ten oder rich­ten sich an die­se. Von Friede, Respekt und Harmonie ist die Rede und von der Zukunft, wel­che gemein­sam beschrit­ten wer­den soll. Wenn dabei gleich­zei­tig, im Vordergrund der Bühne, die Körper von Canda und Tembe mit­ein­an­der rin­gen, wenn sie von ein­an­der los­kom­men wol­len und doch immer in phy­si­scher Abhängigkeit blei­ben, wird vor­der­grün­di­ge Rhetorik und der ideo­lo­gi­sche Illusionismus der Reden ent­larvt. Die Texte plät­schern kit­schig vor sich hin und bei so viel sprach­li­chem Pathos und sym­bo­li­scher Überschwänglichkeit wird einem übel.

Interkulturelle Verständigung

Die Zusammenarbeit von Cekwana und Canda wäre vor eini­gen Jahrzehnten auf­grund der poli­ti­schen Spannungen der Nachbarländer nicht in die­ser Art mög­lich gewe­sen. Insofern zeugt das Stück von einer Entspannung und einer Annäherung der Konfliktparteien, auf poli­ti­scher wie auf zwi­schen­mensch­li­cher Ebene. Dies führt aber nicht auto­ma­tisch zu einer bes­se­ren Verständigung, geschwei­ge denn zu gegen­sei­ti­gem Verstehen.

Als die Reden der Politiker längst ver­stummt sind, beginnt Maria Tembe von einer jun­gen mosam­bi­ka­ni­schen Frau zu erzäh­len, die sich auf der Suche nach ihrem ver­schwun­de­nen Freund ins Nachbarland ver­irrt. Die Geschichte wird als Allegorie aufs Frausein ange­kün­digt. Während ihrer Erzählung beginnt sich Tembe aber mit Klebeband Körper und Mund zuzu­kle­i­stern, bis ihre Rede zum unver­ständ­li­chen Nuscheln wird. Zusätzlich erschwe­ren die Sprachbarrieren das Verstehen (Ist es Changana oder Makua?). Die Erzählung wird in einer Personenstaffage über­setzt: zuerst ins Portugiesische, von die­sem ins Englische und dann ins Märchenhafte. Dabei ver­un­mög­li­chen schein­ba­re Missverständnisse oder merk­wür­di­ge Ausschmückungen der Geschichte den Zugang zum Gesagten. Die Erzählung nimmt abstru­se Formen an: die Missverständnisse wuchern von Kentucky Fried Chicken-Filialen, die eigent­lich Apotheken sein sol­len, zu hei­rats­stra­te­gi­schen Grossmüttern bis zu Präsidentenhochzeit. Das Missverständnis ist insze­niert – aber die Inszenierung gene­riert dadurch auch ein ech­tes Missverständnis. Beim Publikum ent­steht Ratlosigkeit und Hoffnung auf Klärung.

Das Bühnenbild des Stücks ist spär­lich (Bildrahmen und Bänkchen), das passt zum Stück. Denn die­ses eckt oft an. Es wird kei­ne run­de Unterhaltung gebo­ten. Viel eher ergibt sich ein bild­star­ker Abend mit kur­zem, aber ein­drück­li­chem Körpereinsatz und mit star­ken Momenten der Persiflage. Wörter und Satzfragmente blei­ben in der Übersetzung hän­gen und eben­so im Ohr und in den Köpfen der Zuschauer. Das histo­ri­sche Nkomati-Abkommen wird dabei scho­nungs­los als gro­tes­ke Maskerade auf­ge­deckt. Im Gegensatz dazu bleibt der poe­ti­sche Strang der Erzählung dif­fus. Er bleibt stecken zwi­schen den Sprachen, zwi­schen den Ländern. Er lässt Hoffnung auf Klärung wach­sen, auch hier ver­geb­lich.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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