Liebste Quartierwelt

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Oben auf dem Röschibachplatz ist Märt. Junge Familien kau­fen in der letz­ten Minute einen Adventskranz, zwei Jungs grö­len sich quer über den Platz etwas zu, ein Alki quatscht eine alte Dame zu. Ein paar Meter wei­ter unten leuch­tet die Galerie R57. Tatsächlich: Die gan­ze Ausstellung Bildwelten_6 auf 18 Quadratmetern. Die mehr als 100 Werke von 41 Kunstschaffenden hän­gen akku­rat an den Wänden. Dort hin­ten blitzt eine Frau in Flammen her­vor und auf der Küchenabdeckung liegt «die Versuchung», eine dra­pier­te Mausefalle mit Praliné.

Nach dem Eintreten geht es mir gleich wie einer Besucherin neben­an: «Hui, jetzt bini gad ech­li über­for­de­ret.» Die Menschen schie­ben sich im Turnus anein­an­der vor­bei, damit jeder jedes Bild ein­mal begut­ach­ten kann. Bald mer­ke ich: über weni­ge Bilder im R57 lässt sich etwas sagen. Mein Blick schweift über die Wände, ohne hän­gen zu blei­ben. Und dann fin­de ich doch noch eini­ge Perlen.

Schalk und Collagen

Andy Fischli’s Zeichnungen ken­ne ich von sei­nem abso­lut genia­len Comicbuch «Der Sinn». Dort per­so­ni­fi­ziert er in sei­ner ersten Geschichte alle Emotionen im Abend eines Junggesellen wie der Alkohol, die Erotik und schliess­lich die Onanie. Alle fol­gen sie ihm als schalk­haf­te Figuren auf Schritt und Tritt. Auch die Personen in den aus­ge­stell­ten Werken ver­sprü­hen eine erfri­schen­de Ironie, wenn zum Beispiel die zwei brav auf­ge­mach­ten Mädchen einem die Zunge ent­ge­gen­strecken.

Mein Blick bleibt auch bei den Collagen von Julia Marti hän­gen. Sie stell­te die­ses Jahr schon an der Jungkunst in Winterthur aus. Ihre Déja-vu-Serie zeigt zusam­men­ge­kleb­te Fabelwesen, die auf selt­sa­me Weise berüh­ren.

80 Zeichnungen in der Kälte

Die Atmosphäre im und ums R57 ist magisch. Draussen hal­ten sich alle an einem war­men Becher Glühwein fest. Nur drü­ben an der Strasse sitzt im Dunkeln eine ein­ge­mum­mel­te Gestalt. Das muss Salome Landa sein, die die Vernissage zeich­ne­risch fest­hält. Um halb fünf habe sie ange­fan­gen zu zeich­nen unten an der Strasse. Der Kälte ent­spre­chend habe sie ziem­lich schnell gezeich­net. Gut zehn klei­ne Kunstwerke sind schon mit schwar­zem Filzstift aufs Papier gebracht. Sie hat auf jeden Fall noch eini­ges vor sich. Das Notizbuch hat 80 Seiten.

Familientreffen

Die jun­ge Frau neben mir fragt plötz­lich, ob ich auch etwas aus­ge­stellt habe drin­nen. Von vor­ne macht ein Herr ein Foto und sagt «Iehr gxehnd us wie sones Zeichnigsgrüppli.» Irgendwie ken­nen sich alle. Das R57 mutiert zum Wohnzimmer.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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