Rechtes «Miststück»

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In sei­ner Satire fährt der unga­ri­sche Theatermacher Béla Pintér gemäch­lich, aber unauf­halt­sam ein länd­li­ches Idyll an die Wand. Ein Spiegel für sein Land und des­sen Rechtsrutsch.

Attila und Irén haben alles ver­sucht, aber sie kön­nen kei­ne Kinder bekom­men. In letz­ter Konsequenz ent­schei­den die bei­den sich für eine Adoption. Zwei Jahre müss­ten sie auf ein Baby war­ten, aber die halb­wüch­si­ge Rószi mit den schlim­men Zähnen könn­ten sie sofort mit­neh­men. Diese gibt es aber nur im Doppelpack mit ihrer Blutschwur-Schwester Anita, aus­ge­rech­net eine Roma.

Zum Glück sind die frisch gebacke­nen Eltern so etwas wie die Dorf-Elite. Sie Sozialarbeiterin, er Bio-Bäcker, der gröss­te Arbeitgeber im Dorf und Leiter des hie­si­gen Literaturkreises. So tole­rie­ren die Dörfler sogar das Zigeuner-Mädchen. Die bei­den Teenager mit ihren pin­ken Strings und knall­engen Jacken brin­gen das länd­li­che Idyll ins wan­ken. Auf einer schlich­ten, läng­li­chen Holzbühne und in ruhi­ger Atmosphäre schrei­tet die Dorfgemeinschaft inner­halb eines Jahres dem Abgrund ent­ge­gen.

Uraufführung vor Orbáns Wiederwahl

Der unga­ri­sche Theatermacher Béla Pintér und sein «Miststück» waren letz­ten Herbst bereits zu Gast in der Schweiz. Uraufgeführt wur­de das Stück im März 2010 in Budapest, zwei Monate bevor Viktor Orbán zum zwei­ten Mal zum Ministerpräsidenten gewählt wur­de. Inzwischen haben er und sei­ne Fidesz-Partei mit­tels Zweidrittelmehrheit viel ver­än­dert: Besonders die Verschärfung des Mediengesetzes sorg­te für Schlagzeilen in ganz Europa, jüngst kam das Religionsgesetz auf die poli­ti­sche Agenda. Sogar die Intendanten des Neuen Theater Budapest sind inzwi­schen aus­ge­wie­se­ne Rechtsextreme.

Der 1970 gebo­re­ne Pintér gilt als einer der wich­tig­sten Theatermacher Ungarns und wur­de mehr­mals für die beste freie Theaterproduktion des Jahres aus­ge­zeich­net. In sei­nen Stücken inte­griert er ger­ne unga­ri­sche Folklore, meist iro­ni­siert.

Groteskes Maskenspiel

«Miststück» wird von einer Hirtenflöte beglei­tet. Der Musiker sitzt etwas zurück­ver­setzt auf einem Stuhl mit etwa zwei Meter lan­gen Stuhlbeinen und über­blickt die Szenerie. Pintér selbst über­nimmt Nebenrollen. Unter ande­rem die des Juryvorsitzenden, der eine Theaterproduktion der Dorfgemeinschaft aus­zeich­net. Wenn doch die Protagonisten nur ver­ste­hen wür­den, dass sie sogar zu einem Theaterfestival in Strassburg ein­ge­la­den wer­den! – Vielleicht wür­de alles ganz anders kom­men.

Aber die Geschichte nimmt kei­ne glück­li­che Wendung. Die bei­den Teenager sind inzwi­schen zer­strit­ten, ihr Blutschwur nichts mehr wert. Im Dorf, die­sem Mikrokosmos, liegt immer mehr im Argen. Aus Vorurteilen wer­den Vorwände, hin­ter denen die indi­vi­du­el­len Befindlichkeiten und Ressentiments ver­steckt wer­den.

Wenn im Stück Autoritäten auf­tre­ten, tra­gen sie gro­tes­ke Masken mit Zacken. Im über­tra­ge­nen Sinne tun das in die­sem Stück alle, stellt Mutter Irén gegen Ende fest. Am deut­lich­sten zeigt es sich bei der mit­leid­lo­sen Rószi, die zum Schluss des Stückes mit blen­dend weis­sen Zähnen und dem rot-weis­sen Tuch der rechts­ra­di­ka­len Jobbik-Partei auf­tritt.

Unschuldig bleibt nie­mand

Das Tuch ist ein Requisit aus der Wirklichkeit, des­sen Besorgung nicht ganz pro­blem­frei ablief, wie Pintér in Interviews berich­te­te. Bevor die Assistentin das Tuch kau­fen konn­te, wur­de des­sen Verwendungszweck erfragt. Mitnehmen durf­te sie es erst, als der Jobbik-Parteichef per­sön­lich sei­ne Erlaubnis gege­ben hat­te. Sie muss­te Name, Telefonnummer und Adresse des Theaters hin­ter­las­sen.

Pintér äus­sert sich sonst wenig zur aktu­el­len poli­ti­schen Situation in sei­nem Land. In «Miststück» lan­det, wie im Märchen, die Hexe zuletzt im Ofen. Das ist aber bedingt befrie­di­gend, denn erstens geschieht es zu spät und zwei­tens bleibt die Frage offen, ob die Richtige ver­brannt wur­de. Denn ohne Schuld bleibt in die­ser gro­tes­ken Farce nie­mand.

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