Balkanmusik: Virtuoses Spiel mit der Imagination des Publikums

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«Wenn man auf­wacht, ist immer alles ein biss­chen anders.» Und wenn man Pech hat, watet man in einem Rebellendorf auf dem Balkan durch den Schlamm und soll eine anti­ka­pi­ta­li­sti­sche Hymne kom­po­nie­ren. Oder hat man in einem sol­chen Fall erst recht Glück gehabt? Darüber sind sich der Sänger und Bassist Moritz (Dominique Jann), der Gitarrist Nick (Dominique Müller) und der Schlagzeuger Robert (Tomas Flachs Nóbrega) sehr schnell nicht mehr einig. Moritz tanzt enthu­sia­stisch, hackt Holz, rührt in der Rebellensuppe und bän­delt oben­drein mit der schö­nen Räubertochter Mirjana (Dorothée Müggler) an, wäh­rend sich sei­ne Bandkumpels fürch­ten und nach Deutschland seh­nen – bri­san­ter­wei­se nach ein- und der­sel­ben Frau. Der Rebellenführer Istvan (Michael Rath), gezeugt von Tito in einem Salonwagen des blau­en Zugs, spricht akzent­frei Hochdeutsch, hat in der Schweiz stu­diert und kämpft jetzt für die FKKB (Freie Kommunistische Konföderation Balkan). Dafür sind ihm alle Mittel recht. Seine Tochter Mirjana spricht wie zu Goethes Zeiten und will nur das Eine: Weimar sehen und nicht ster­ben.

Behauptung live

Was nach einem opu­len­ten Folklore-Setting klingt, wird in der Inszenierung von Manuel Bürgin mit denk­bar ein­fa­chen Mitteln auf die Bühne gebracht. Ein Schlagzeug, eine Wäscheleine, zwei Mikrophone, zwei Kinosessel und drei Lichtkegel ver­brei­ten fröh­li­che Indie Club-Atmosphäre. Multifunktional sind eine Art Autoreifen-Flosse mit Perserteppichauflage, die wahl­wei­se als Autos oder Rettungsinseln fun­gie­ren (Bühnenbild: Sibylla Walpen). Alles ande­re ist in Daniel Mezgers Komödie zunächst Behauptung. Nicht nur der Regen, der Matsch, und der Wald, son­dern auch die Aufnahmeprobe mit dem Dorforchester und Mirjanas Kopftuch. Selbst der Autobahnbeat wird trotz anwe­sen­dem Schlagzeug mit Schlagzeuger frech nur behaup­tet statt gespielt. Unversehens wähnt sich die Zuschauerin auf einer Reise in eine bes­se­re Welt, wo man über Ausbeutung kei­ne Witze macht, gegen den Kapitalismus ansingt und dabei dank anti­ka­pi­ta­li­sti­schem Merchandising auch noch Millionen ver­dient.

Komik auf Messers Schneide

Diese Art des Widerspruchs ist jeder Vegetarierin mit Lederstiefeln und jedem Greenpeace Mitglied mit VW-Bus wohl­be­kannt, ver­kommt in der Reinform aber lei­der zur Plattitüde und stem­pelt den Gitarristen zu einem Dummkopf. Meisterhaft ver­steht es Mezger indes­sen, komi­sche Sprachspielereien zu kre­ieren. Der erste Ostblock-Wohnblock am Strassenrand sorg­te beim Publikum für eben­so viel Erheiterung wie das Ostobst und das Gemeindezentrum Gütersloh als Inbegriff der erfolg­lo­sen Band. Für Lacher sorgt auch Mirjana, wenn sie den Gästen ihr Quartier zei­gen will oder nach einem Kuss fragt, ob er denn nach den Bedürfnissen des Geküssten gewe­sen sei.

Ein (zu) klei­nes Problem mit der Völkerverständigung

Die Dichte der Lachsalven täuscht irgend­wie dar­über hin­weg, dass es lang­sam aber sicher doch ernst wird. Obwohl die Musik immer ech­ter wird – die drei Schauspieler sind Multitalente. Obwohl der Lausprecher plötz­lich ech­te Vögel pfei­fen lässt. Obwohl Mirjana vom Krieg spricht und Istvan davon, dass es doch eigent­lich nur einen Tontechniker brau­che und der Rest der Band über­flüs­sig sei.

Der gros­se Showdown kommt, ein Schuss fällt und einer bleibt lie­gen. Man wür­de sich nicht wun­dern, wenn er in der näch­sten hal­ben Minute wie­der auf­stün­de und behaup­te­te, dass er sich das Abenteuer im Keller-Bandraum in Paderborn nur aus­ge­dacht habe. Er bleibt lie­gen. Es war also ernst. Und spä­te­stens jetzt zweif­le ich, ob ich über einen Wiederaufguss des Kalten Krieges gemischt mit Wohlstandslangeweile so viel lachen will. Vielleicht schon. Aber ein klit­ze­klei­nes ungu­tes Gefühl in der Magengrube bleibt.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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