Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Grosse, unmög­li­che Liebe

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Sie, eine der bedeu­tend­sten deutsch­spra­chi­gen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, und er, der mit «Andorra», «Stiller» und «Homo faber» Eingang in den Schulkanon gefun­den hat­te, waren ein­an­der von 1958 bis 1962 die wich­tig­sten Personen. Ingeborg Bachmann und Max Frisch lieb­ten und lit­ten, sie leb­ten zusam­men in Zürich und Rom, «vier Jahre, das ist lan­ge für einen Sturzflug», sag­te Frisch in einer Aufnahme, die 2001, zehn Jahre nach sei­nem Tod, im Schweizer Fernsehen aus­ge­strahlt wur­de. Er den­ke oft an sie, träu­me von ihr, nicht ver­bun­den mit Schuldgefühlen, son­dern mit Reue.

Die deut­sche Schriftstellerin Ingeborg Gleichauf erzählt in «Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwi­schen Intimität und Öffentlichkeit» die Geschichte einer so gros­sen wie unmög­li­chen Liebe, im Oktober die­ses Jahres im Piper Verlag erschie­nen. Im Rahmen des Literaturfestivals Zürich liest las Gleichauf in der Buchhandlung Zum Bücherparadies im Seefeld. Die Autorin sag­te: «Die Erben von Ingeborg Bachmann sind über­zeugt, dass Max Frisch sie in Rom umge­bracht hat.» Im Publikum raun­te jemand: «Dummes Gschnurr, das bringt uns jetzt ja auch nichts».

Der Lesung ging eine Stadtführung mit Germanist Walter Obgschlager, ein klei­ner Mann mit war­men Augen und wip­pen­der Gangart, vor­an, er lei­te­te wäh­rend 27 Jahren das Max Frisch Archiv an der ETH Zürich. Den ersten Halt mach­te die bun­te Gruppe – kahl­ge­scho­re­ner Mann mit Sonnenbrille und Kinderwagen, Studentin mit Notizheft und Lederrucksack, Paar mit Hornbrille, Chinohose und Tweedsakko – an der Kirchgasse 33, weni­ge Gehminuten vom Kunsthaus ent­fernt. Hier leb­te Gottfried Keller, 1861 bis 1875 als Staatsschreiber. Wie die Bachmann aber im Oktober 1959 an die­se Wohnung her­an­ge­kom­men sei, wis­se er also wirk­lich nicht, sag­te Obschlager lachend. Die Traube um ihn her­um lach­te mit.

«Jöh!» und «Ah!»

Nach der Kirchgasse der Heimplatz, «von dem die mei­sten Zürcher nicht wis­sen, dass er so heisst, alle nen­nen ihn Pfauen», sag­te Obschlager. Leute beklag­ten sich, dass er zu lei­se spre­che, er for­der­te sie auf, näher her­an­zu­rücken. Ein Raunen ging durch die Menge, «unmög­lich ist das, eine Stadtführung ohne Mikrofon». Obschlager erklär­te, dass der Heimplatz dem Deutschen Ignaz Heim gewid­met sei, die­ser zog 1850 nach Zürich, lei­te­te Gesangsvereine und diri­gier­te Kirchenchöre, «er kam hier­her, als die Schweiz noch poli­ti­sche Flüchtlinge auf­nahm», sag­te der Stadtführer lachend. Die Traube ver­zog kei­ne Miene. Obschlager hat­te mehr Erfolg mit der näch­sten Anekdote: Der Heimplatz wur­de frü­her Schatzplatz genannt, weil er zwi­schen dem Knaben- und dem Mädchengymnasium lag. Die Gruppe sag­te «Jöh!» und «Ah!».

Eine Frau mit rotem Haar und roten Lippen, bei ihrem Partner am Arm ein­ge­hängt, sag­te die­sem: «In Oerlikon wird ja der Max-Frisch-Platz gebaut, war­um die alle dort draus­sen sind, Sophie-Täuber-Strasse, Max-Bill-Platz, weiss ja auch nie­mand.» Der Mann ant­wor­te­te mit «shhh». Obschlager gab der Gruppe erneut Anlass zur Empörung, mit dem Bus ging es an den Hegibachplatz. «Und wenn man kein Billett hat?», frag­te jemand und wur­de igno­riert. Drei Minuten vom Hegibachplatz ent­fernt, an der Heliosstrasse 31, wur­de Max Frisch gebo­ren, «auf der Frauenseite». Die Hauseingänge der Nummern 31 und 33 lie­gen direkt neben­ein­an­der, über der 31 ein weib­li­cher Steinkopf, dane­ben ein männ­li­cher. Walter Obschlager las aus Frisch’ Rede, die er 1974 im «ram­mel­vol­len» Schauspielhaus, «das kann man sich heut­zu­ta­ge ja gar nicht mehr vor­stel­len!», anläss­lich der Verleihung des Schillerpreises gab. Damals, am 12. Januar 1974, sag­te Max Frisch: «Eine Ehrung aus der Heimat, und so sehe ich die­sen Anlass, weckt vor allem die Frage, was eigent­lich unter Heimat zu ver­ste­hen ist.» Obschlager zitier­te den Anfang der Rede: «Liebe Landsleute, ich bin an der Heliosstrasse gebo­ren, Quartier als Heimat». Der Traube gefiel das.

An der Feldeggstrasse 21, vor einem blass hell­blau­en Haus, blieb die Gruppe zum letz­ten Mal ste­hen. Dies war Ingeborg Bachmanns erstes Zuhause in Zürich. Nachdem sie und Max Frisch sich in Paris ken­nen­ge­lernt hat­ten, er war damals noch ver­hei­ra­tet, sie eben getrennt vom Lyriker Paul Celan, orga­ni­sier­te er die­se Wohnung für sie – im Haus von Gottfried Honeggers Vater. Lange blieb sie nicht, «rasch ver­stösst sie gegen die Zürcher Sitten», wür­de Ingeborg Gleichauf eine Viertelstunde spä­ter in der Buchhandlung Zum Bücherparadies vor­le­sen.

Mit Ernst bei der Sache

Gleichauf wähl­te eine frag­wür­di­ge Stelle aus ihrem Buch. Klar, es mach­te Sinn einen Bezug zu Zürich her­zu­stel­len, da die Traube, die vor­her eine Stunde durch Zürich gelau­fen war, nun in einer Zürcher Buchhandlung sass. Die Autorin las über «die man­geln­de Erregungsfähigkeit des Zürcher Theaterpublikums» und über «staub­ge­saug­te Wiesen und polier­te Berge». Ingeborg Bachmann moch­te Zürich nicht, gewiss. Gleichauf las: «Für sei­nen Heimat- und Sehnsuchtsort hat Frischs Geliebte kein gutes Wort übrig» oder «Man sei mit Ernst bei der Sache in der Schweiz, gelacht wer­de nicht sehr viel».

Dem Zürcher Publikum gefiel das nicht. Eine Frau schüt­tel­te den Kopf, «die­se Deutschen wie­der» und ein Mann eine Reihe hin­ter ihr sag­te «shhh». Die gros­se, unmög­li­che Liebe zwi­schen Ingeborg Bachmann und Max Frisch spür­te man an die­sem Tag nicht. Vielleicht auch, weil man nicht wirk­lich viel über sie weiss, schliess­lich gibt es kei­ne gemein­sa­men Fotos, in der Öffentlichkeit tra­ten sie sel­ten gemein­sam auf, viel­mehr wird über die Beziehung spe­ku­liert, in Werken der bei­den nach Hinweisen gesucht. Sie waren von 1958 bis 1962 ein­an­der die wich­tig­sten Personen, gewiss, denn auch danach haben sie nicht auf­ge­hört, sich in ihren Werken auf­ein­an­der zu bezie­hen. Der Briefwechsel zwi­schen Ingeborg Bachmann und Max Frisch ist aller­dings gesperrt, solan­ge sich die Rechteinhaber, das sind die Bachmann-Erben und die Max Frisch Stiftung, nicht über eine Veröffentlichung eini­gen kön­nen. Erst eine Briefedition wird über die­se Liebe Aufschluss geben.

«Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwi­schen Intimität und Öffentlichkeit», Ingeborg Gleichauf, Piper Verlag, Oktober 2013.

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