Helden in Unterhosen

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Mit Atelier Lefeuvre & André aus Paris sind 90 Minuten erstaun­lich kurz. Dabei brau­chen die bei­den weder spe­cial effects noch green screens – und doch gelingt ihnen gros­ses Kino. Didier André, der «eher Viereckige», und Jean-Paul Lefeuvre, «der Lange», buh­len nicht mit aus­ge­klü­gel­ten Handlungssträngen und span­nungs­ge­la­de­nen Verfolgungsjagden um die Gunst des Publikums. Die bei­den Urgesteine des Nouveau Cirque brau­chen nicht mehr als Witz, Charme, Kraft, acht Kubikmeter – und eine Flasche Rotwein.

Trauerkloss mit magi­schen Kräften

«Du Bon» steht auf der Etikette des viel­leicht edlen Tropfens. Nicht etwa ein Korkzapfen ver­schliesst die Flasche, son­dern ein roter Ball. Bald wird der Jongleur, dem die Frau davon­ge­lau­fen ist, die­sen Ball ver­schwin­den las­sen und wie­der her­vor­zau­bern. Er, der «eher Viereckige», wird in einen Fernseher schlüp­fen und dabei die Farbe sei­ner Unterhosen wech­seln. Er wird Äpfel hüp­fen und Gläser tan­zen las­sen. Doch so sehr dies sei­ne Zuschauer zu belu­sti­gen ver­mag – dem Gepeinigten liegt der Liebeskummer schwer auf der Brust und das sieht man sei­nen trau­ri­gen Augen an. Pausenlos.

Nach 45 Minuten kommt die Pause und die Bühne wird zur Bar. Schnell wird aus dem Trauerkloss ein glaub­wür­di­ger Bartender, aus dem 2 x 2 x 2 Meter klei­nen Wohnzimmer ein Gasthaus und aus der Flasche fliesst Sirup, den gibt’s gra­tis für die schwit­zen­den Zuschauer. Draussen lacht die Sonne mit dem Publikum um die Wette. Das Publikum macht das Rennen.

Der Lange turnt an der Stange

Warum es dem Langen nicht gut geht, ver­steht sich augen­blick­lich: Er ist ein­fach zu gross für die klei­ne Bühne. Er stösst sich den Kopf an der Decke, was sein Gesicht noch län­ger macht. Offensichtlich gelang­weilt ver­treibt er sich die Zeit in Unterhosen mit beein­drucken­den Kraftübungen und Verrenkungen in dem klei­nen Raum, der im zwei­ten Teil der Vorführung nicht mehr län­ger Wohnzimmer ist, son­dern ein Bus. Das Publikum fährt mit dem Künstler durch die Welt, wäh­rend der Lange auf dem Seil balan­ciert und an der Stange turnt. Raymond Queneau singt durch die Lautsprecher «il sera tou­jours aus­si moche, ce sale con» und setzt der tra­gi­ko­mi­schen Szene musi­ka­lisch die Krone auf.

Die bei­den Artisten umar­men den Nouveau Cirque in sei­ner Ganzheit: Die moder­ne Zirkusbewegung, die Ende der 60er Jahre auf ver­schie­de­nen Kontinenten erblüh­te, lebt von Charakteren und Musik. In eine Geschichte ver­packt, fin­det die Performance schliess­lich in pas­sen­der Ästhetik und Design ihre Vollendung.

Sympathischer Dilettantismus

Es ist zwei­fel­los gros­se Kunst, ein Publikum mit solch beschränk­ter Ausstattung so lan­ge bei der Stange zu hal­ten. Den bei­den Artisten gelingt dies schein­bar mühe­los. Zugegeben, die Zaubertricks mögen uralt sein, doch sie funk­tio­nie­ren noch immer: Der schein­bar hal­bier­te Daumen oder das schwe­ben­de Seil ver­mö­gen Klein und Gross noch immer bestens zu unter­hal­ten.

Der schein­ba­re Dilettantismus, der manch­mal in den Performances von Didier André und Jean-Paul Lefeuvre durch­dringt, ist gröss­ten­teils gewollt. Zweimal aller­dings hält das Publikum kurz inne und bangt um die Zuschauer in der ersten Reihe. Die sind der­mas­sen nahe am Geschehen, dass es zwei­mal hät­te ins Auge gehen könn­te. Geht es aber nicht, und bereits beim näch­sten Witz ist alles ver­ge­ben und ver­ges­sen. So wenig Aufregung bei so viel Theater, und alles ganz nah, auf eng­stem Raum. Und im Zentrum zwei Helden in Unterhosen.

Copyright © 2011 Kulturkritik • Kritische Stimmen zum Zürcher Kulturgeschehen Kulturkritik.ch ist ein Projekt der Plattform Kulturpublizistik • Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

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