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«Neue», «alte», «moder­ne» oder «zeit­ge­nös­si­sche» Musik?

Ein klas­si­sches Konzert von 90 Minuten Dauer, ohne Pause und mit aus­schliess­lich «moder­ner» oder «neu­er» Musik – für einen Grossteil der Menschheit ist das eine abso­lu­te Horrorvorstellung. Dem zum Trotz bewies das Ensemble für Neue Musik der ZHdK, mit sei­nem ver­söhn­li­chen Namen «Arc-en-ciel», was für ein Genuss ein sol­cher Abend sein kann.

Beispielhafte Demonstration

Mit gros­sem Einsatz zeig­ten die Organisatoren, der renom­mier­te Dirigent Zsolt Nagy und die Studierenden, dass man auch mit Stücken des 20. und 21. Jahrhunderts ein abwechs­lungs­rei­ches und mit­reis­sen­des Konzertprogramm zusam­men­stel­len kann. Mehr noch, es las­sen sich damit auch Konzertbesucher in den Saal locken, die Veranstaltung war gut besucht!

Die Werkpalette reich­te von Ives’ «Unsanswered Question» – kom­po­niert um 1906 und somit über 100-jäh­rig, man könn­te das Werk mit gutem Gewissen schon als «alt» bezeich­nen – über Stücke von Cage, Nancarrow, Kurtág und Eötvös bis hin zu Carters «Mosaik» von 2004, wahr­lich «neu­er» Musik.

Interessante Fragestellung

Den roten Faden des Programms bil­de­te die Frage, inwie­fern sich der Raum, in wel­chem Musik dar­ge­bo­ten wird, als eigen­stän­di­ges Musikinstrument bezeich­nen lässt. Aus die­sem Grund wur­de gut die Hälfte der Werke auf unkon­ven­tio­nel­le Weise prä­sen­tiert: Ein Streichquartett spiel­te im Gang, ein­zel­ne Musikergruppen waren vor, neben oder hin­ter den Zuhörern auf­ge­stellt und eini­ge Musiker spiel­ten sogar von Zuhörerplätzen aus.

Diese durch­läs­si­ge  Konzertsituation ohne Gegenüberstellung im Raum wirk­te sich durch­aus unter­stüt­zend auf die Ausdruckskraft der ein­zel­nen Werke aus. Es ent­stan­den fas­zi­nie­ren­de Stereo-Effekte wie bei­spiels­wei­se im Frage und Antwort Spiel der «Unanswered Question», oder aber urwald­ähn­li­che Dolby Surround-Klangwelten in Kurtágs «… qua­si una fan­ta­sia …», in wel­che der Zuhörer ein­tau­chen konn­te.

Motivierter Dirigent und moti­vier­te Studenten

Nagy diri­gier­te das Ensemble mit kla­rer Hand. Präzise und mit Liebe zum Detail brach­ten er und die Studenten die Stücke über­zeu­gend auf den Punkt. Einzig die für Kammerorchester adap­tier­ten Studies von Nancarrow fie­len im kurz­wei­li­gen Programm etwas ab. Die ursprüng­lich für selbst­spie­len­des Klavier mit Notenrolle kom­po­nier­ten Stücke schöp­fen ihre Dramatik vor allem aus dem Aberwitz ihres Klaviersatzes, wel­cher unmög­lich von zwei mensch­li­chen Händen rea­li­siert wer­den könn­te. Eben die­ser Effekt war es, wel­cher ande­re Komponisten wie Ligeti zu ihren Kompositionen inspi­rier­ten. In der zwar raf­fi­niert gesetz­ten Orchesterfassung klan­gen die Stücke jedoch nur gemüt­lich und harm­los, wie etwas tri­vi­al gera­te­ne Schunkelstücke für eine Big Band.

Electro-Sounds im Konzertsaal

Ein Höhepunkt des Abends war sicher­lich die zün­den­de Darbietung von Cages Schlagzeugquartett «Third Construction» von 1941. Hier konn­te man am eige­nen Leib erle­ben, dass «zeit­ge­nös­si­sche Musik» – in die­sem Fall schon 70 Jahre alt — über­haupt nicht intel­lek­tua­li­siert, ver­kopft und schwer zugäng­lich sein muss.

Die heis­sen Beats brach­ten die Sinne in Wallung und erin­ner­ten eher an einen Party-Abend in einem Zürcher In-Club, denn an ein klas­si­sches Konzert. Mit die­sem oder ähn­li­chen Stücken sowie ent­spre­chen­der Werbung wür­de wahr­schein­lich auch der eine oder ande­re ein­ge­fleisch­te Electro-Szeni den Weg in einen alt­ehr­wür­di­gen Konzertraum fin­den.

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