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Zürich Wipkingen auf 18 m²

Das Bild, das die Ausstellung eröff­net, ist wie ein will­kom­me­ner Bote freu­di­ger Kunde. Die Sonne scheint warm, die Gäste sind leicht beklei­det, trin­ken Wasser, Weisswein, Bier. Alles eis­ge­kühlt. Oder sie schlecken gar Eis und tum­meln sich auf den 18 Quadratmetern des Ausstellungsraums in Wipkingen. Das Bild: «Lettenbadi» von Alex Zwalen in der Ausstellung «Ansichtssache Wipkingen» im KunstRaum R57. Es zeigt einen Holzsteg auf der Limmat, ange­schnit­ten, Blick auf eine Brücke etwas wei­ter die Limmat hin­ab, auf dem Steg sitzt ein Badegast und im Vordergrund sind zwei Füsse eines ande­ren sich Sonnenden zu sehen. Das Wasser führt ein Sattes Grün-Blau und der Holzsteg ist hell, fast gelb. Das Bild könn­te kaum bes­ser pas­sen zur Stimmung an die­sem Samstag im R57. Auch die übri­gen Bilder, alles Impressionen aus Wipkingen, zeu­gen in ver­schie­den­sten, sat­ten Farben von einem lie­be- und lust­vol­len Blick auf  das Zürcher Quartier. Auf die­sen Bildern wirkt vie­les fröh­li­cher und wär­mer als in jenen Bildern, die man in der Erinnerung an die por­trä­tier­ten Orte und Plätze im Kopf führt. Vielleicht liegt das dar­an, dass die aktu­el­le Erinnerung an jene Orte eine win­ter­lich-graue ist und die Bilder aus «Ansichtssache Wipkingen» zumin­dest teil­wei­se von sehr freund­li­chen Tagen zeu­gen. Viel Grün und deut­li­che Schatten sind zu sehen.

Doch allei­ne dar­an wird es nicht lie­gen. Auf Alex Zwalens Bilder wer­den auch Orte hei­ter und anspre­chend, die in Natura auf den eili­gen Städter zu kei­ner Jahreszeit eine sol­che Wirkung zei­gen. Zum Beispiel die Rosengartenstrasse. Von einer Brücke aus über­blickt man in der Dämmerung die vier Spuren, vor­bei an der Hausecke eines oran­ge-brau­nen Wohnblocks. Der Blick auf sei­ne war­me Fassade und die ein­la­den­den Balkone ist anhei­melnd, von da aus lässt es sich ange­nehm und ruhig über die sonst so küh­le, hek­ti­sche Strasse blicken. Der grü­ne Hügel und der Kirchturm im Hintergrund wei­sen die Betonwüste in die Schranken und die Scheinwerferlichter der ent­ge­gen­kom­men­den Autos wir­ken wie hüb­sche Lichterketten in Strassencafés, wie sie nun auch in Wipkingen aus ihrem Winterschlaf erwa­chen. Doch auch Bilder von Menschen, die sich tref­fen in der Quartierbeiz, sich aus­tau­schen, spie­len, wir­ken fami­li­är, deu­ten auf eine Vertrautheit des Künstlers mit sei­nem Objekt, das eigent­lich kein Objekt, son­dern viel eher ein klei­ner Kosmos ist. Der Blick, der in «Ansichtssache Wipkingen» auf die­sen Kosmos gezeigt wird, ist auf jeden Fall einer aus näch­ster Nähe.

Aussensicht von mit­ten­drin

Im far­ben­präch­ti­gen Ausstellungsraum füh­ren die Gäste hei­ter den Tanz des Getümmels aus und las­sen sich dabei von der inten­si­ven Betrachtung nicht abhal­ten. Es gibt fast kein Vorbeikommen. Einige war­ten draus­sen in der Sonne, bis sich ande­re durch die Menge tän­zelnd hin­aus vor den Kunstraum bege­ben und ein klein wenig Luft ent­steht im Gedränge. Stören tut sich dar­an nie­mand. Man kennt sich, grüsst auf alle Seiten, plau­dert. «Kürzlich kam ich aus unse­rem Hauseingang hin­aus auf die Strasse und da sass Alex. Er mal­te gera­de die­ses Bild hier!» Alex, der Künstler, ist, so scheint es, längst einer von ihnen. Auch er plau­dert mun­ter mit den Leuten aus dem Quartier und erzählt von sei­nen Erlebnissen, die sein hal­bes Jahr mit sei­nem «Plenair-Atelier» in Wipkingen geprägt haben. Nicht immer war Zwalen hier so ver­traut. Bisher sei er ein­fach hin und wie­der durch das Quartier hin­durch gegan­gen oder kam her, um in einem Geschäft etwas zu kau­fen. Aber wirk­lich mit dem Ort aus­ein­an­der gesetzt habe er sich erst, als er mit «Ansichtssache Wipkingen» begann, sagt Zwalen. «Das war etwa so, wie wenn ich einen Menschen ken­nen wür­de und dann zum ersten Mal bei ihm zu Hause zum Essen ein­ge­la­den wäre. Da fin­det eine gewoll­te Annäherung statt.»

Eine sepa­ra­te Hommage an den Bahnhof

Und trotz die­ser Nähe ber­gen die Bilder auch einen ganz neu­en Blick auf das Quartier. Der Bahnhof Wipkingen bei­spiels­wei­se ist mit unter­schied­li­chen Sujets und Perspektiven mehr­mals in der Ausstellung ver­tre­ten. Jedes Bild zeigt eine bestimm­te Facette. Und auf ein­mal wird einem bei der Betrachtung die­ser Bilder bewusst: Kein Zürcher Bahnhof lässt sich mit jenem von Wipkingen ver­glei­chen. Er ist luf­tig, far­big, inspi­rie­rend. Schon die Holztreppe von der Nordbrücke hin­un­ter zum Bahnhof hat so gar nichts Bahnhofhaftes. Der klei­ne Raum bei den auf­ge­reih­ten, roten Mobility-Autos, in dem einst ein Reisebüro hau­ste und wo heu­te die städ­ti­sche Jugendarbeit ein­quar­tiert ist und den aus myste­riö­sen Gründen seit Jahren eine auf­re­gen­de Aura umgibt (viel­leicht, weil er eigent­lich immer wie ein Provisorium wirkt, genau wie die Holztreppe, die zu ihm führt?). Und dann geht es noch ein­mal eine schma­le, alte Treppe hin­un­ter, in eine Unterführung, die so klein und anhei­melnd ist, wie das eigent­lich eine Unterführung gar nicht kann. Ihre Graffitis sind wie die Bilder in einem Wohnzimmer, gemacht für die, die sich hier wohl füh­len wol­len (und eigent­lich: wer will das schon? In einer Unterführung? – Aber hier geht das…). Und dann die roten Holzbänke auf dem Perron, die Graffitis links und rechts und man meint, man kön­ne bereits hier die Limmat rie­chen. All dies geht einem durch den Kopf beim Betrachter von Zwalens Bahnhof-Bildern und man denkt all dies zum ersten Mal – auch wenn man die­sen Bahnhof schon tau­send Mal erlebt hat. Es ist, als woll­te Zwalen mit den ver­hält­nis­mäs­sig vie­len Bildern des Bahnhofs die­sem eine sepa­ra­te klei­ne Hommage in der Ausstellung wid­men.

Die sat­ten, far­bi­gen Bilder, gemalt mit Oel oder Dispersion auf Holz, wer­den ergänzt durch anre­gen­de Zeichnungen, die der Ausstellung etwas Luft geben, und trotz weni­ger Farbe nicht min­der freund­lich sind. Der Blick, der die­se Ausstellung auf Wipkingen erlaubt, ist erfri­schend und ver­traut zugleich. Die Bilder fügen sich fast unmerk­lich zu einem Ganzen zusam­men. Nur bei eini­gen Gemälden von Blumen, einem Falter oder einem Flugzeug am Himmel kann man sich fra­gen, wie sie in die­se Ausstellung pas­sen.

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