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Uncertainty Is a Good Thing

«Cry Me a River», das Stück von Anna Mendelssohn, ist der erste Teil einer Doppelperformance im Theaterhaus Gessnerallee. Beide Auftritte des Abends neh­men sich den Zustand der Menschheit zu Herzen. Bei Anna Mendelssohn führt das zu Tränen. 

Ein lan­ger Konferenztisch, Getränke, Stühle. Eine «Klimakonferenz» ist ange­sagt. Doch am Tisch sitzt ein­zig eine Frau Mitte drei­ßig: Anna Mendelssohn. Verblüffend offen gibt sie zu, dass sie sich selbst das lieb­ste Thema ist. Sie fin­det ihre Person viel span­nen­der als Politik und Umwelt. So ist von Anfang an alle Gewissheit weg. Was meint Anna mit Klima? Eine meteo­ro­lo­gi­sche Erscheinung? Oder eher eine per­sön­li­che Stimmung?

Anna Mendelsohn zitiert wild durch­ein­an­der Aussagen zur Klimaveränderung. Zu hören sind extre­me Positionen: Bis zum Ende unse­res Jahrhunderts wird die Erderwärmung alles Leben aus­lö­schen. Demgegenüber Ex-Präsident Bush im Jahr 2004, sinn­ge­mäß: Meine Wiederwahl ist der Beweis, dass die Klimaveränderung die Amerikaner nicht wahn­sin­nig beschäf­tigt. Und was die Amerikaner nicht beschäf­tigt, hat kei­ne Bedeutung. Man traut sei­nen Ohren nicht. Anna berich­tet von den Inuits: Das Eis schmilzt, und die Bewohner der Arktis müs­sen ihre Hunde töten, weil es immer weni­ger zu jagen gibt. Eine ande­re Stimme fragt kri­tisch: Wer ist denn auf die Idee gekom­men, dass aus­ge­rech­net unser gegen­wär­ti­ges Klima das Beste für die Menschheit sei?

Tränen der Hoffnung

Die Grenzen zwi­schen sol­chen Zitaten und Annas eige­nem Sprechen sind flie­ßend. Annas Position zum Thema Klima wird den­noch deut­lich: Sie weint. Sie weint in Strömen. Herzzerreißend. Aber nicht eigent­lich wegen der Klimaveränderung und der Zerstörung unse­res Planeten. Das ist zwar alles auch zum Heulen. Doch Anna weint über sich selbst. Sie weint sich bei einem Psychotherapeuten aus, ver­gießt Tränen über ihren star­ren Lebensplan (Kinder bis 40, Karriere bis 50, Großkinder bis 75), der not­wen­di­ger­wei­se schei­tert, sei es wegen mas­si­ver Veränderungen in der Welt – oder ein­fach so. Außen ist Klimaerwärmung, im Herzen droht Eiszeit.

Anna spricht aber auch von Hoffnung. Sie sagt, dass jeder Mensch ein Faktor ist, der etwas ver­än­dert, allein dadurch, dass er oder sie da ist. Sollten die Individuen die Macht ihrer puren Existenz ver­ei­nen, wäre das eine Revolution. Eine Revolution, an deren Ausgang ein Leben im Einklang mit der Natur stän­de. Und so wird auf einen Schlag die Klimaveränderung zum Segen. Sie schenkt der ver­lo­re­nen Anna eine Lebensaufgabe und damit einen Sinn des Daseins. So könn­te man die Aussagen von Anna Mendelssohn ver­ein­facht wie­der­ge­ben.

Beeindruckender Auftritt

Annas Montage indes ist kom­ple­xer. Viele Bezüge blei­ben hier uner­wähnt, zumal die Schauspielerin nicht nur ihre Stimme, son­dern auch Musik, Tanz und Maske ein­setzt. Auf kogni­ti­ver Ebene ergibt sich eine wohl­tu­en­de Mehrdeutigkeit. Anna Mendelssohn gibt uns nicht vor, was wir über die Klimaveränderung zu den­ken haben. Sie macht kei­ne Propaganda. Sie macht Kunst. Und sie über­zeugt damit. Ihre Performance fes­selt, ihrem Schauspiel sieht man ger­ne zu. Sie erreicht damit einen mäch­ti­gen Gefühlseindruck. In die­sem Punkt ist die Wirkung ihres Auftritts ein­deu­tig und klar.

Die Kritik von Dominik Wolfinger zum zwei­ten Teil des Abends kann man hier lesen

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