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Violette

Von Sonja Wenger – Liebeshungrig im Leben, kom­pro­miss­los beim Schreiben und ihrer Zeit weit vor­aus: So wird die fran­zö­si­sche Schriftstellerin Violette Leduc ger­ne beschrie­ben, der in Frankreich erst 1964, im Alter von 57 Jahren mit ihrer Autobiografie «Die Bastardin» der Durchbruch gelang. Schon lan­ge zuvor waren ihre Bücher, in denen sie mit unver­blüm­ten Worten vie­le Tabuthemen jener Zeit rund um die weib­li­che Sexualität beschrieb, von einem Teil der eman­zi­pier­ten, intel­lek­tu­el­len Elite Frankreichs geschätzt wor­den. Albert Camus publi­zier­te bereits 1947 Leducs erstes Werk «L’Asphyxie» beim Verlag Gallimard, und auch Jean Genet, Nathalie Sarraute sowie Simone de Beauvoir gehör­ten zu ihrem Freundes- und Bekanntenkreis.

Die nun erschie­ne­ne bio­gra­fi­sche Verfilmung «Violette» des fran­zö­si­schen Regisseurs, Schauspielers und Drehbuchautors Martin Provost legt den Fokus jedoch weni­ger auf das ein­drück­li­che Werk von Leduc, als auf die Psychografie einer Frau, die sich über wei­te Strecken ihres Lebens unge­liebt, unver­stan­den und in allen Bereichen zurück­ge­wie­sen gefühlt hat­te.

Die Geschichte beginnt irgend­wann wäh­rend des Zweiten Weltkriegs und zeigt, wie Leduc (Emmanuelle Devos) mit dem Schriftsteller Maurice Sachs auf dem Land lebt, weil es dort noch genug zu essen gibt. Bereits die ersten Szenen zei­gen, wie sehr Leduc unter ihrem lei­den­schaft­li­chen und teils mani­schen Wesen lei­det, und wie sehr sie sich an jeden Menschen krallt, zu dem sie eine emo­tio­na­le Beziehung auf­ge­baut hat. Sachs hat­te es nicht lan­ge mit Leduc aus­ge­hal­ten, doch sein Verdienst war es, sie zum Schreiben ermu­tig zu haben.

Dadurch erhält Leduc erst­mals die Möglichkeit, ihre inne­re Zerrissenheit sowie ihre sexu­el­len Sehnsüchte und Erlebnisse aus­zu­drücken, und sie wird danach nie mehr mit dem Schreiben auf­hö­ren. Präzise und scharf­zün­gig bringt Leduc fort­an ihre Gedanken, Beobachtungen und vor allem Erfahrungen über les­bi­sche Liebe, Abtreibung und die Rolle der Frau in der Gesellschaft zu Papier.

Zurück in Paris schlägt sie sich bis Kriegsende als Journalistin für Frauenmagazine und als Händlerin auf dem Schwarzmarkt durch und been­det ihr erstes Buch. Zu jener Zeit lernt sie auch Simone de Beauvoir (Sandrine Kiberlain) ken­nen, mit der sie eine lan­ge, wenn auch kom­pli­zier­te Freundschaft ver­bin­den wird. De Beauvoir ist von Leducs gerad­li­ni­gem und ehr­li­chen Stil fas­zi­niert, und unter­stützt sie mit Ratschlägen, aber auch finan­zi­ell, denn es wird noch lan­ge dau­ern, bis Violette von ihren Romanen leben kann.

Mit viel künst­le­ri­scher Freiheit in Bezug auf Zeitlinien und die Begegnungen mit rea­len Personen setzt Provost in «Violette» gekonnt die Puzzleteile der kom­ple­xe Biografie von Leduc zusam­men, und zeich­net so das Bild einer Frau, die man nicht mögen kann, aber mögen muss. Gerade jene Szenen, in denen Leduc sich wegen ihres feh­len­den Selbstwertgefühls bis an die Schmerzensgrenze selbst kasteit, in denen sie gera­de­zu implo­diert weil ihre Seele zer­brö­selt, gehö­ren mit zu den berüh­rend­sten des Films, der trotz sei­nes intel­lek­tu­el­len Umfelds nicht arm ist an emo­tio­na­len und gefühls­be­ton­ten Momenten.

Dabei ver­kör­pert die Schauspielerin Emmanuelle Devos die inne­ren und äus­se­ren Konflikte, den Kampf zwi­schen fra­gi­lem Wesen und for­schem Körper von Leduc mit einer Dynamik, die einem zeit­wei­se den Atmen raubt. «Violette» ist ein wun­der­ba­rer Film über Frauen, die stark sein muss­ten, weil sie ein Leben leb­ten, des­sen Weg sie sel­ber bestim­men woll­ten. In die­ser Hinsicht ist Leducs Biografie so aktu­ell wie eh und je. Es wird aller­dings schwer sein, ihr Werk wie­der­zu­ent­decken: Ihre Bücher sind der­zeit nur anti­qua­risch erhält­lich.

«Violette», Frankreich 2013. Regie: Martin Provost. Länge: 132 Minuten. Seit dem 29. Mai 2014 in Deutschschweizer Kinos.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014