- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

«Verhandle, gott­ver­damm­tes Arschloch!»

(Constantin Seibt) –

Vor drei Wochen ver­sprach ich, tage­buch­mäs­sig vom Sommer-Bootcamp für inve­sti­ga­ti­ven Journalismus aus New York zu blog­gen. Und dann wuchs sich der Kurs zur Arbeit aus. Ausserdem war es so heiss, dass die Hunde auf dem Pflaster gebra­ten wur­den. Ausser die glück­li­chen, die Hitzesöckchen tru­gen.

Kurz, vor die Wahl gestellt zu leben oder zu schrei­ben, wähl­te ich aus­nahms­wei­se Ersteres. Umso mehr, als ich die nur halb ange­neh­me Aufgabe hat­te, die­sen Blog in ein Buch umzu­bau­en. Also alles noch ein­mal neu zu kür­zen, zu ergän­zen, zu polie­ren, zu ord­nen.

Das schockie­rend­ste Versäumnis, das ich ent­deck­te, war, dass bis­her kein Wort über das Herzstück des Journalismus geschrie­ben wur­de: Honorar und Gehalt. Denn Journalismus ist kein geschütz­ter Beruf. Das heisst: Man fängt eines Tages ein­fach damit an. Auch wenn alle Journalistenschulen der Welt das Gegenteil behaup­ten: Zum Journalisten wird man nicht per Diplom, son­dern per Bankbeleg – sobald jemand für einen Text von Ihnen Geld über­weist.

Die span­nen­de Frage in allen Jahren danach ist nur noch: Wie viel?

Mein Leben als Schaf

Einer der lehr­reich­sten Momente mei­nes Lebens war, als ich den Kabarettisten Lorenz Keiser in einem Café traf. Wir spra­chen über unse­re Gemeinsamkeit. Wir schrie­ben damals bei­de eine sati­ri­sche Kolumne.

Ich frag­te ihn, wie er dazu gekom­men sei.

«Ein Anruf», sag­te er. «Irgendwann vor zwei Jahren rief jemand aus der Chefredaktion an und sag­te etwas von einer Satire-Kolumne. Ich frag­te zurück, wie viel sie dafür zah­len wür­den.»

«Wie viel denn?», frag­te ich.

«Ich hör­te die Zahl 300.» Keiser sah mich an und kipp­te genies­se­risch einen Schluck Kaffee, bevor er fort­fuhr: «Und dann fing ich an zu lachen…»

«Zu lachen?», frag­te ich.

«Drei-hun-dert!», sag­te Keiser. «Das war ja erbärm­lich.»

«Und wie viel haben sie dann gezahlt?»

«1300. Und als ich letz­ten Sommer noch ein­mal neu ver­han­delt habe, 1500.»

Ich lächel­te dünn. Meine Kolumne war der WOZ genau 150 Franken wert gewe­sen. Nach fünf Jahren hat­ten sie das Honorar frei­wil­lig auf 200 erhöht.

Das Leben als Millionär

Kurz: Ich habe mei­ne ersten zehn Jahre als Profijournalist wie ein Schaf ver­han­delt – gar nicht. Der Grund dafür war, dass mich oft der Auftrag an sich begei­ster­te: über die­ses oder jenes schrei­ben zu kön­nen. Und dass ich im Grunde ver­blüfft war, dass irgend­je­mand über­haupt dafür Geld bezahl­te.

Meine ein­zig klu­ge finan­zi­el­le Massnahme blieb bis zu mei­nem 30. Geburtstag , dass ich am Monatsersten mei­nen gan­zen Kontoinhalt in Hunderternoten abhob, das Bündel in die Hosentasche steck­te und das Gefühl hat­te: Ich bin reich. Gegen Monatsende muss­te ich dann viel­leicht fünf, sechs Tage mor­gens, mit­tags und abends nur Spaghetti essen. Aber das liess sich aus­hal­ten: Ich war dann nur Millionär im Exil. Denn am näch­sten Monatsersten wür­de ich wie­der reich sein.

Nicht, dass ich mit die­sem System ernst­haft unglück­lich war. Nur mit einem min­de­stens sie­ben­stel­li­gen Vermögen erreicht man wie­der die Freiheit eines klei­nen Budgets. Aber ein wenig blöd war es doch.

Böser als die Tamedia AG

Als ich dann beim «Tages-Anzeiger» anheu­er­te, stell­te mich eine sehr hüb­sche Gewerkschaftertochter zur Rede:

«Was zah­len sie dir?», frag­te sie.

«Keine Ahnung», sag­te ich. «Mal sehen.»

«Du gott­ver­damm­tes Arschloch», sag­te sie, «du arbei­test jetzt für den gröss­ten Konzern auf dem Platz. Die haben Geld wie Heu. Wenn du nicht ver­nünf­tig ver­han­delst, dann rede ich kein Wort mehr mit dir.»

«Und was soll ich tun?»

«Also ERSTENS, mach dir die Situation klar. Für dei­nen Chefredaktor ist die Verhandlung ein Spiel. Für ihn bedeu­tet es nichts. Es geht um eine Stelle hin­ter dem Komma in sei­nem Budget. Er wird also etwas ver­su­chen. Aber für dich bedeu­tet das Ergebnis jeden Monat Geld oder nicht Geld auf dem Konto.»

Sie zün­de­te eine Zigarette an und fuhr fort. «Und zwar, solan­ge du in der Firma bist. Glaub mir: Wenn du nied­rig ein­steigst, wirst du das durch Gehaltserhöhungen nie­mals auf­ho­len. Auch wenn du zwan­zig Jahre bleibst, wird noch der letz­te, halb­wegs geschick­te Eumel am Nebentisch mehr ver­die­nen. Nur, weil du EINE HALBE STUNDE NICHT WIDERLICH sein woll­test!»

«Aber wirkt das nicht etwas…»

«Und ZWEITENS, mach dir kei­ne Illusionen, dass irgend­je­mand dich sym­pa­thisch fin­det, wenn du bil­li­ger bist. Keiner dei­ner Chefs wird im Nachhinein an die Verhandlungen den­ken. Und wenn doch, dann wird man dich VERACHTEN, wenn du zu bil­lig zu haben warst. Denn in die­ser bescheu­er­ten Welt ver­ach­tet man die Leute, die zu bil­lig sind.»

Ich ver­such­te, teu­er aus­zu­se­hen.

Sie sag­te: «Also mach DRITTENS sofort dei­ne ver­damm­ten HAUSAUFGABEN. Du recher­chierst doch auch sonst jeden Mist. Also frag unter dei­nen Kollegen her­um, was jemand in dei­ner Position in etwa ver­dient. Und dann schlag auf das höch­ste Gehalt noch ein­mal 10 bis 20 Prozent drauf.»

«10 bis 20 Prozent?»

«Natürlich! Wenn sie bei dei­nem ersten Angebot nicht bleich wer­den, dann hast du etwa falsch gemacht. SCHANDE über dich, wenn sie dein erstes Angebot sofort akzep­tie­ren! Dann hast du viel zu wenig ver­langt!»

Sie blies sich eine Strähne aus ihrem Gesicht, um einem bösen Lächeln Platz zu machen: «Und falls dir eine hal­be Stunde Verhandeln unan­ge­nehm sein soll­te: Denk stets dar­an, ich bin NOCH VIEL BÖSER ALS TAMEDIA. Wenn du dei­nem Verlag kampf­los Geld schenkst, dann rede ich nie wie­der ein Wort mit dir. Also geh raus und pack sie.»

Und das tat ich dann.

72’000 Franken für eine hal­be Stunde Ärger

Das Ergebnis? Nun, als wir Redaktoren vom «Tages-Anzeiger» letz­tes Jahr unser Gehalt ver­gli­chen (über ein Drittel der Redaktion mach­te mit), lag ich zwar nicht an der Spitze, aber im obe­ren Fünftel.

Ich fin­de das nicht schlecht. Und bin über­zeugt, dass ich ohne den Kaffee mit der Gewerkschaftertochter im unte­ren Fünftel ran­giert hät­te. Mit wohl 1000 Franken pro Monat weni­ger. Das macht seit mei­ner Anstellung 2006 bis heu­te die Summe von 72’000 Franken.

Deshalb ist Klarheit im Kopf vor Vertragsverhandlungen sehr wich­tig. Sie müs­sen wis­sen:

Falls Sie eine Honorar- oder Vertragsverhandlung unvor­be­rei­tet trifft, dann sagen Sie am besten nichts. Sondern ver­schie­ben Sie die­se, bis Sie sich vor­be­rei­tet haben. Und falls Sie zu schüch­tern sind, pro­ben Sie mit kom­pe­ten­ten Freunden. Oder noch bes­ser: Freundinnen.

Aber dann gehen Sie raus und las­sen Sie Ihre geschätz­ten Auftraggeber kurz erblei­chen. Sonst kön­nen Sie sich am Ende das «Deadline»-Buch nicht mehr lei­sten.

Es erscheint die­sen Herbst bei Kein & Aber und wird Sie klug, geris­sen und reich machen.

// <![CDATA[
document.write(«»);
// ]]>

.
Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.