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Unterschiedliche Wege zu Klee

Von Jean-Luc Froidevaux - „Die per­fek­te Kulisse für einen Agententhriller.“ Wie recht Markus Klopfstein hat, wird mir bewusst, als der Facility Manager die geplan­te Sicherheitsschleuse erklärt. Hier muss der Mitarbeiter durch, der das Zentrum Paul Klee als erster betritt oder als letz­ter ver­lässt allei­ne. „Damit Geiselnehmer kei­ne Chance haben“, schmun­zelt Herr Klopfstein.

Die Besucher hin­ge­gen kön­nen und sol­len in Massen zum Haupteingang beim Mittelhügel her­ein­strö­men. Praktischer und logi­scher wäre zwar die Führung durch den Nordhügel gewe­sen, wo auch der Empfangsbereich liegt. „So wäre der Bau von Renzo Piano aber nicht als Ganzes erfahr­bar“ meint Herr Klopfstein wäh­rend wir über den Schacht des Glasliftes balan­cie­ren – unter uns tie­fes Noch-Nichts. Jetzt wer­de der Besucher mit­tels visu­el­ler Orientierung über die ver­gla­ste Museumsstrasse zum Empfangsbereich gelei­tet. Dieser Weg ver­bin­det die drei Hügel und führt von Norden nach Süden immer tie­fer hin­ein ins Werk von Paul Klee. Vom Nordhügel, wo erste Informationen ver­mit­telt wer­den, über die Ausstellungsräume im mitt­le­ren Hügel, bis in den kunst­wis­sen­schaft­li­chen Teil im Südhügel, wo allen Interessierten wei­te­re Bereiche der Sammlung und Forschung zugäng­lich sind. „Die Infrastruktur der Museumsstrasse wird zur­zeit im Detail geplant.“ Hier wird geloungt, geshop­pt und gesurft. Die Geschäftsfrau, die eine Tagung besucht, flir­tet mit dem Kunststudenten, der auf einem Computer in der Forschungsabteilung die voll­stän­di­ge Kleesammlung nach Stichworten durch­sucht. Hier sam­melt der Lehrer sei­ne Klasse zwi­schen den ame­ri­ka­ni­schen Backpackers im „Internet-Café“ zusam­men, um mit ihnen in einem Workshop Klees Puppenfiguren zu basteln. Der rüsti­ge Rentner aus dem Quartier, der in der Cafeteria Zeitung gele­sen hat, läuft vor dem Museumsshop in die Ferienfotos eines ita­lie­ni­schen Paares. Die Vorstellung, wie es hier in acht Monaten aus­se­hen könn­te, fällt nicht schwer: Bereits jetzt ver­mi­schen sich süd­li­che, öst­li­che und loka­le Dialekte zur aku­sti­schen Kulisse. Männer schrei­ten mal for­scher, mal ruhi­ger durch die Räume, star­ren in sich ver­sun­ken auf Schaltschemata, oder schei­nen jeman­den zu suchen.

Die unter­schied­li­chen Nutzungen die­ser Flanierzone kön­nen durch­aus zu Konflikten füh­ren. Um Lärm von der Präsenzbibliothek fern zu hal­ten, wur­de das Café in den Nordhügel ver­legt. Jetzt kann die Zentrumsleitung nur den Alltag abwar­ten.

Herr Klopfsteins Sorge gilt eher den poten­ti­el­len Gefahren. „Vorsicht Kopf“ warnt er mich vor einem mas­si­ven Stahlträger, der sich mit­ten durch den höchst­fre­quen­tier­ten Bereich schnei­det.

Die Architektur bleibt prä­sent, lässt aber auch Raum für viel­sei­ti­ge Verwendung – das Zentrum soll mit den Bedürfnissen wach­sen. Im Auditorium schwen­ken schall­re­flek­tie­ren­de Panels von Konzert- auf Vortragsakustik, die Kabine für Simultanübersetzungen hängt hoch oben in der Wand bereit. Der mul­ti­funk­tio­na­le Raum im Erdgeschoss schlägt ein­mal Alarm, wenn man sich ihm nähert, ein näch­stes Mal lässt er sich auch abends öffent­lich bege­hen. Je nach­dem, ob er wert­vol­le Bilder ent­hält, oder als Seminarort dient.

Herr Klopfstein führt mich unter Tag an Leitungsschächten vor­bei, die im blau­en Schimmer des Baulichts zu leer­ge­fisch­ten Aquarien mutie­ren. Dann wie­der end­lo­se Gänge und Flure, Flure und Gänge. Hier eine Lifttür so hoch wie ein Schlosstor, und dann ein Raum vol­ler Kabel. „Dies ist die Schaltzentrale des Zentrums, hier lau­fen alle Informationen zusam­men.“

Die Besucherin merkt davon natür­lich nichts – sie soll sich in erster Linie wohl­füh­len: Von der ein­fa­chen Anreise, etwa mit dem Bus der ver­län­ger­ten Linie 12, über ver­ständ­li­che Signalisation bis hin zu einem guten Mahl im Restaurant der benach­bar­ten Villa Schöngrün. Die Museumsstrasse bleibt über die Öffnungszeiten der Ausstellung hin­aus zugäng­lich, Grünzone und Skulpturenpark aus­ser­halb sowie­so. Einzig über­nach­ten lässt sich in der Gegend nir­gends. Ein Freizeitpark wol­le man aber auf kei­nen Fall sein, meint Ursina Barandun, Leiterin Kommunikation und Vermittlung, und trotz viel­fäl­ti­gem Angebot auch nicht der „Eventitis“ ver­fal­len. Die Idee sei es, unter­schied­lich­ste Personen ins Zentrum zu füh­ren und ihnen Klee näher zu brin­gen. So sol­len auch Firmen, die Kongressräume mie­ten, zum Besuch der Ausstellung moti­viert wer­den. Die Herausforderung sieht Frau Barandun dar­in, kom­pli­zier­te Zusammenhänge ein­fach zu ver­mit­teln, ohne sich anzu­bie­dern. Das hohe Niveau sei durch Paul Klee und Renzo Piano gege­ben, der Besucher aber soll nicht das Gefühl krie­gen, er müs­se vor der Kunst erstar­ren. Publikationen unter­schied­lich­sten Umfangs für davor, wäh­rend und danach, ver­ein­fa­chen den Besuch eben­so, wie mul­ti­me­dia­le Präsentationen oder the­ma­ti­sche Führungen.

Der Gast kann auch ohne Kunstkenntnisse ins Zentrum kom­men. Für die MitarbeiterInnen die hier arbei­ten wer­den, sind zumin­dest Backstage Gebäudekenntnisse unver­zicht­bar. Korridore, Treppen. Gänge, die nicht wei­ter­füh­ren. Es gibt eben unter­schied­li­che Wege zu Klee.

Wie sich die gewünsch­ten unor­tho­do­xen Wegführungen und Orientierungen im 1700 m² gros­sen Ausstellungsraum sti­mu­lie­ren las­sen, steht vor­erst bloss im Konzept: Mit schwe­ben­den Wänden sol­len offe­ne Winkel geformt wer­den – die Figurenvielfalt der spä­ten Werke Klees klingt an. Halbtransparente, ver­stell­ba­re Segelflächen – Velen – wer­den an der Decke schwe­bend beleuch­tet, und erhel­len den fen­ster­lo­sen Raum indi­rekt: Schwach genug, den Bildern nicht zu scha­den, stark genug, sie gut zur Geltung zu brin­gen. Der Besucher soll auf sei­ne eige­ne Weise zu den jeweils etwa 300 Exponaten geführt wer­den. Unterstützt durch trag­ba­re Audioguides, die das Werk ein­mal fach­lich kom­men­tie­ren, ein ande­res mal musi­ka­lisch erwei­tern. Eine „klei­ne Reise ins Land der bes­se­ren Erkenntnis“, wie sie Klee in der „schöp­fe­ri­schen Konfession“ für sei­ne Vorstellung von Kunst sel­ber anregt. Gleichzeitig soll die Ausstattung fle­xi­bel genug blei­ben, um wech­seln­de Teile der Sammlung immer wie­der neu zu insze­nie­ren, zeich­ne­ri­sche Arbeiten, Tafelbilder und lite­ra­ri­sche Werke neben­ein­an­der, und doch von­ein­an­der getrennt, zu prä­sen­tie­ren.

Ein Stockwerk tie­fer fin­de ich mich im Raum der ergän­zen­den Sonderausstellung wie­der, für wel­chen sepa­rat Eintritt gelöst wer­den muss. Vorerst aber kom­men bloss Assoziationen mit der Tiefgarage auf, die Renzo Piano sich gewei­gert hat zu bau­en. Der an der Wand hän­gen­de blaue Zettel: „Hügel Mitte, UG AXE 6/S“ könn­te aber durch­aus schon ein Bildtitel sein. Hier wird Kunst hän­gen oder ste­hen, die einen Bezug hat zu Klee. Aus sei­ner Epoche bis hin­ein in die Gegenwart.

Auf die Frage nach den Grenzen der Kapazität im Ausstellungsbereich meint Klopfstein, sie hät­ten sich gegen eine Zählanlage ent­schie­den. Bei Engpässen müs­se halt die Aufsichtsperson sagen: “itz isch z’viu“. Amüsant die Vorstellung, dass es die kli­ma­ti­schen Bedingungen her­aus­for­de­re, wenn an einem Regentag zum Beispiel eine Japanische Reisegruppe ein­tre­te. Diese gin­gen meist dicht gedrängt, hei­zen das Raumklima auf, und wenn sie dann noch Feuchtigkeit rein­brin­gen, müs­se die Klimaanlage aus­glei­chen . Klees „Gruppe zu Elf“ wäre viel­leicht als Hinweisschild taug­lich, es zeigt eine Menschenmenge auf eng­stem Raum. Auch für Frau Barandun sind die Japanischen Gäste eine zu berück­sich­ti­gen­de Benutzergruppe: Sie eilen in zwan­zig Minuten durch das Zentrum, wäh­rend der Quartierbewohner drei Stunden ver­weilt.

Das Zentrum Paul Klee will sich von ande­ren mono­gra­fi­schen Museen vor allem durch sei­ne Interdisziplinarität abhe­ben. Das viel­sei­ti­ge Wesen Klees, sein Schaffen als bil­den­der Künstler, Musiker, Literat und Pädagoge soll direkt erfahr­bar wer­den. Im Auditorium mit eige­nem Hausensemble wird Musik gespielt, die teil­wei­se in Verbindung zu Klee steht. Theater und Tanz wer­den dort eben­falls auf­ge­führt. Im „Kindermuseum“ wer­den auch Erwachsene zu krea­ti­ver Tätigkeit ani­miert, und die Sommerakademie bie­tet Weiterbildungen für Kunstschaffende und Interessierte an. Die ein­zel­nen Bereiche sol­len nicht bloss neben­ein­an­der exi­stie­ren, viel­mehr mit­ein­an­der inter­agie­ren. So kön­ne durch­aus auch etwa das Kindermuseum ein Thema vor­ge­ben, wel­ches dann von den ande­ren Abteilungen auf­ge­nom­men wird. Das Zentrum Paul Klee erhält – so die Vision von Frau Barandun einen wich­ti­gen Platz im Berner Kunst- und Kulturleben.

Markus Klopfstein ver­rät mir beim Abschied schm­unt­zelnd die siche­re Methode des Kunstraubes. Sollten also eini­ge der 4000 Bilder und Zeichnungen, die zu einem geheim gehal­te­nen Zeitpunkt ins Erdreich des Depotraumes über­führt wer­den, feh­len, sucht nicht bei mir: Die nicht enden wol­len­de Anreihung zu gross gera­te­ner Schliessfächer, die beid­sei­tig die­ses Raumes bis an die Decke rei­chen, wer­den mir näm­lich als Klimaanlage erklärt. Derartiges könn­te ich für die Konservierung der Bilder schlicht­weg nicht bie­ten. Wenn Künstler zu Lebzeiten nur mehr Geld für bes­se­res Material hät­ten, so könn­ten post­hum Lagerkosten ein­ge­spart wer­den… Raum wür­de die Sammlung Klee aller­dings trotz­dem for­dern. Nicht gros­ser Formate wegen, son­dern weil sich Klees enor­mer Schaffensdrang in sei­nen letz­ten Lebensjahren gera­de­zu ins Gigantische stei­ger­te. Dieser pro­duk­ti­ven Zeit in Bern wird sich die Eröffnungsausstellung unter dem Titel „nulla dies sine linea“ wid­men.

Detailliertere Infos zu den ein­zel­nen Abteilungen unter www.paulkleezentrum.ch

Kinderklee…

Das Kindermuseum im Zentrum Paul Klee nimmt Formen an. Doch der Juni 2005 ist noch weit der Winter lang. Wir brau­chen also Lesestoff, um uns als oder mit Kind auf die Suche nach Paul Klee machen zu kön­nen. Einige Bücher kön­nen uns dabei inspi­rie­ren, eine klei­ne Auswahl:

Paul Klee – im Kunstmuseum Bern: Materialien für den Unterricht
Eine Sammlung von Blättern mit Unterrichtsmaterial, wie es der Titel ver­spricht. Inspirierend, wenn auch etwas bil­lig (kopier­te Blätter). (im Kunstmuseum Bern erhält­lich)

Kunst aktiv: Paul Klee (Iris lang, Verlag an der Ruhr)
Eine Sammlung von Arbeitsblättern und Malhilfen, Ideen. Sehr intel­li­gent mit der Biographie und Geschichte von Klee ver­knüpft. Man kann sich rasch in tie­fe­re Ebenen der Kleekunst ein­ar­bei­ten. Gut für Erwachsene, die sich danach mit Kindern an das Thema her­an­wa­gen.

Paul Klee für Kinder – eine Werkstatt (Birgit Brandenburg/ Verlag an der Ruhr)
Man könn­te sagen: Anleitungen zum Bild. Spielerisch und Unterhaltsam ver­ste­hen wir mehr und mehr von die­ser Werkstatt und von Klee. Zum Teil sind die Aufgaben etwas schwie­rig zu ver­ste­hen für Erwachsene…

Kunst erle­ben mit Paul Klee (div AutorInnen/ elk Verlag)
Ein 30-ig sei­ti­ges (?!) Arbeitsheft mit Arbeitskarten. Nicht sehr inspi­rie­rend gemacht und auch ziem­lich trocken. Für kür­ze­re Workshops aber ide­al, weil es nicht über­la­den ist mit Aufgaben…

Paul Klee Ein Kind träumt sich (Tilman Osterwold/ Hatje Verlag)
Ein Erwachsenenbuch, ein­deu­tig, aber ein wich­ti­ges und dies nicht nur weil Paul Klee drauf steht: Das Buch zeigt den Kind-Bezug von Klee auf, erklärt und macht begreif­lich, war­um das Kind in uns nicht ver­ges­sen gehen soll­te und war­um es Kindermuseen braucht…

Es gibt natür­lich noch mehr. Da wären die „Abenteuer Kunst“-Bildbände und wei­te­re „Kunst für Kinder“-Bücher. Die oben erwähn­ten Exemplare sind aber gute Arbeitsintrumente, derer man sich bedie­nen soll­te. Etwas erstaunt war ich ob der farb­lo­sen und zum Teil fan­ta­sie­lo­se Gestaltung. Der Inhalt zählt hier defi­ni­tiv mehr. Auch erstaunt war ich, dass ich kei­ne Alterangaben oder Kurzeinführungen fand für Erwachsene wäre dies eine prak­ti­sche Hilfe. Trotzdem, am Schluss der Bücherwanderung hat man auf jeden Fall Lust, mit Pinsel und Farbe zu expe­ri­men­tie­ren und hat mit die­sem Ideenpool schon nach kur­zer Zeit inter­es­san­te Entdeckungen gemacht. So muss es auch sein. (vl)

Bild: zVg
ensuite, Oktober 2004