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Unter dem Dach die Regenbogen

Von Ruth Kofmel – Ein Wintertag im Jahre 1994. Auf dem Dachfenster liegt Schnee. Die Sonne scheint durch die Kristalle und malt Regenbogenfarben an die Wände. In die­sem Zimmer sitzt Balduin, 16 Jahre alt. Es ist sein Kinderreich, ein Dachgeschoss, das ihm und sei­nen Brüdern gehört. Und dort nimmt er in den kom­men­den zwei Jahren die Songs auf, die nun unter dem Namen «Rainbow Tapes» erschei­nen. Es sind Lieder, die noch ein­mal die ver­wun­sche­ne Kinderwelt her­auf­be­schwö­ren, Lieder eines jun­gen Mannes, der an der Schwelle zum Erwachsenenleben steht, der gleich­zei­tig einen sehn­süch­ti­gen Blick zurück und einen neu­gie­ri­gen nach vor­ne wirft.

Es ver­ge­hen fünf­zehn Jahre, bevor Balduin sich ent­schliesst, die­se Songs zu ver­öf­fent­li­chen. Dazwischen hat er sich mit ganz ande­rer Musik bereits einen Namen gemacht. Bei dem renom­mier­ten Berliner Label Crippled Dick Hot Wax gab Balduin zwei elek­tro­ni­sche Alben und eine EP her­aus. Mit dem eklek­ti­schen Mix aus Jazz, Klassik, Hiphop und Pop, den man heu­te über den Daumen gepeilt als Downtempo bezeich­nen wür­de, hat­te er beacht­li­chen Erfolg. Nach sei­nem letz­ten Album aber, das er schlicht «Balduin» tauf­te und das 2004 erschien, liess er fünf Jahre nichts mehr von sich hören. Und nun gibt er sein Comeback mit Songs, die er als Teenager auf­ge­nom­men hat. Im Gespräch mit ihm wird deut­lich, dass ihm die­se Lieder am Herzen lie­gen. Für ihn sind die­se Kompositionen mehr Ausdruck sei­ner selbst als die elek­tro­ni­schen Werke, auf denen er viel mit Sampling gear­bei­tet hat und die eine Mischung aus sei­nen eige­nen Klängen und denen ande­rer waren. Auf den «Rainbow Tapes» hat er jedes Instrument selbst gespielt und auf­ge­nom­men. Und wir hören zum ersten Mal Balduins Stimme, zwar oft durch ver­schie­de­ne Effekte ver­än­dert, aber trotz­dem ein gros­ser Unterschied zu den vor­her ver­öf­fent­lich­ten Alben, die ganz ohne Gesangslinien aus­ka­men. Gesang wie­der in sei­ne Musik zu inte­grie­ren, Liedtexte zu schrei­ben und damit Figuren zum Leben zu erwecken, dar­auf hat Balduin extrem Lust. Dies ist aber auch etwas sehr Persönliches und die Öffentlichkeit dar­an teil­ha­ben zu las­sen braucht eini­ges an Mut – sein Coming-out, wie er selbst sagt.

Nun fand Balduin für sei­ne Regenbogen-Bänder beim Berner Label Everestrecords ein Zuhause. Minimal über­ar­bei­tet nur, sind es klei­ne, poe­ti­sche Stücke, die Geschichten erzäh­len, Märchen eigent­lich. Manchmal aus einer system­kri­ti­schen jugend­li­chen Sichtweise geschil­dert, manch­mal frech und ver­spielt, manch­mal mit roman­ti­schem Pathos. Interessanterweise klin­gen die Lieder heu­te wie­der sehr zeit­ge­mäss. Diese Art von psy­che­de­li­schem Folk ist momen­tan eine ange­sag­te Sache, mit Vertreterinnen wie den Coco Rosies bei­spiels­wei­se. Auch Balduins damals schon aus­ge­präg­te Eigenheit, aller­lei Instrumente selbst ein­zu­spie­len und Kinderspielzeug zu ver­wen­den, ist heu­te ein belieb­tes Stilmittel. So hören sich die Stücke auf «Rainbow Tapes» über­haupt nicht alt­backen an, son­dern frisch und leicht. Mit ein Grund dafür mag sein, dass die Beatles als Inspirationsquelle nicht zu über­hö­ren sind. Es ist eine Hommage an die­sen Zeitgeist und die­se Band, die rich­tig zitiert einen zeit­lo­sen Sound garan­tiert.

Auf die Frage, war­um er so lan­ge nichts mehr ver­öf­fent­licht habe, kommt die simp­le Antwort: Er habe eben auch viel ande­res gemacht der­wei­len, nach Japan rei­sen zum Beispiel und hei­ra­ten. Spricht es und blickt einem aus ver­träumt grü­nen Augen mit einer gehö­ri­gen Portion Schalk an. Musik zu kom­po­nie­ren ist nicht unbe­dingt eine Arbeit wie jede ande­re und es fällt man­chem Soundtüftler schwer, die Zeit ein­zu­tei­len. Musik mit Stundenplan ent­ste­hen zu las­sen, mit Unterbrüchen arbei­ten zu müs­sen, kann einen krea­ti­ven Prozess auch erschwe­ren. So beschreibt Balduin das Eintauchen in die Klangwelten als wich­ti­gen Teil sei­ner Faszination für Musik, ähn­lich dem Spiel als Kind, wo man ganz und gar in eine Sache ver­tieft ist und in ihr auf­geht. Mittlerweile, so sagt er, habe er aber bei­des gelernt; sich in den Klangwelten zu ver­lie­ren und eine struk­tu­rier­te­re Herangehensweise. Auch ist es kei­nes­wegs so, dass in die­sen fünf Jahren kei­ne Musik ent­stan­den ist, Balduins Computer ist gefüllt mit fer­tig­ge­stell­tem Material. Am lieb­sten wür­de er es auf ver­schie­de­nen Labels unter­brin­gen – am aller­lieb­sten in Japan. Er beschreibt die Musikszene dort als gera­de­zu para­die­sisch im Vergleich zu euro­päi­schen Verhältnissen.

Gespannt darf man also auf sei­ne neue Musik sein, die ver­spricht, eine betö­ren­de Mischung aus dem Singer/Songwriter und dem Elektroniker Balduin zu wer­den. Und genau­so neu­gie­rig macht die ange­sag­te Live-Umsetzung der «Rainbow Tapes», die zum ersten Mal am 15. Mai an der Plattentaufe im Sous Soul zu hören sein wird. Balduin wird nicht allei­ne auf der Bühne ste­hen, son­dern zusam­men mit sei­nem Bruder, der unter dem Namen Kaleidophone elek­tro­ni­sche Musik macht. Zwei der drei Brüder wer­den an die­sem Konzert also noch ein­mal die Kinderwelt von damals auf­er­ste­hen las­sen, eine Zeitreise zurück in ihre Jugend mit Hilfe der eigen­wil­li­gen Songs von «Rainbow Tapes».

Info
www.balduin.org
www.myspace.com/creativecookery
www.everestrecords.ch

Foto: zVg.
ensuite, Mai 2009