Un Juif pour l’exemp­le – Buch und Film

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Von François Lilienfeld – In der Ensuite-September-Nummer hat Sandro Wiedmer eine kla­re und gerech­te Besprechung von Jacob Bergers Film nach dem Roman von Jacques Chessex ver­öf­fent­licht. Ich möch­te ger­ne eini­ge Ergänzungen anbrin­gen, ange­regt durch die Lektüre des Buches und durch eine per­sön­li­che Begegnung mit dem Filmemacher.

Der letz­te zu Chessex Lebzeiten erschie­ne­ne Roman (Grasset, 2009), umfasst im Taschenbuch gera­de ein­mal 83 Seiten. Es ist erstaun­lich, wie deut­lich, wie auf­rüt­telnd der Autor in so knap­per Form eine der schau­er­lich­sten Episoden der neue­ren Schweizer Geschichte ver­ar­bei­tet. Dabei ver­bin­det er eine prä­zi­se, fast repor­ta­ge­haf­te Schilderung mit immer wie­der auf­tau­chen­den emo­tio­nel­len Bemerkungen. Er ist Historiker und Betroffener zugleich. Betroffen natür­lich als Mensch, aber ins­be­son­de­re als Gebürtiger des Städtchens Payerne, wo der Horror sich abspiel­te. Er war zwar damals, 1942, nur acht Jahre alt, teil­te aber die Schulbank mit der Tochter des Anführers der Nazi-Bande, die den Mord am jüdi­schen Viehhändler Arthur Bloch beging. Und spä­ter wur­de er Zeuge einer Verschwörung des Schweigens in Payerne, aber auch in ande­ren Schweizer Kreisen. Man woll­te – nach des Regisseurs Worten – „exem­plai­re“ sein, und so konn­te man sich erklä­ren, war­um die Schweiz ver­schont blieb.

Der Filmemacher besuch­te am 17. September in Neuchâtel („Apollo“) und in La Chaux-de-Fonds („Scala“) Vorstellungen sei­nes Films, gab Erklärungen ab und beant­wor­te­te detail­liert, klar und ohne Umschweife Fragen des Publikums. Er beton­te vor Allem die Tatsache, dass Chessex mit sei­nem Buch eine wah­re Welle des Hasses her­auf­be­schwo­ren habe („…sou­le­vait une vague de déte­sta­ti­on“). Es sei ein fun­da­men­ta­ler Irrtum vie­ler Payerner Bürger gewe­sen, so reagiert zu haben. Besonders schlimm war der Karnevalszug 2009, in dem Chessex auf fie­se­ste Art ange­grif­fen wur­de. Diese ein­drück­li­che Szene gehört zu den Sequenzen des Films, in  denen der geal­ter­te Autor als Beobachter auf­tritt, eine dra­ma­tur­gisch sehr gelun­ge­ne Idee. Auch der acht­jäh­ri­ge Jacques Chessex nimmt immer wie­der am Geschehen als ver­stan­des­mä­ßig über­for­der­ter Zeuge teil.

Berger steht voll dazu, dass er hier, wie in ande­ren Aspekten, sein Recht zur poe­ti­schen Lizenz in Anspruch genom­men habe, eben­so wie in den zahl­rei­chen Anachronismen. An der authen­ti­schen Zeichnung des Geschehens und an sei­ner glü­hen­den Anklage gegen Schweizer Nazis („Oui, il y avait des nazis suis­ses!“) ändern die­se Stilmittel nichts.

Buch und Film sind hart, der Sache ent­spre­chend oft sogar abstos­send – doch sie sind ehr­lich und not­wen­dig.

 

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