Juju, dead-dead Träume und die okkul­ten Ketten der Sexsklaven

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Von Stephan Fuchs - In der Nacht kommt das Entsetzen und Grauen. Zwischen Mitternacht und vier Uhr mor­gens lie­gen die Nerven völ­lig blank und von Schlaf kann kei­ne Rede sein. Das Licht ist an, die Bibel griff­be­reit unter dem Kopfkissen. Besser sind zwei oder drei. Eine in Bini, eine in Englisch und die drit­te auf Deutsch.

In die­ser nächt­li­chen Zeit, wenn der Körper trotz­dem in den Schlaf fällt, kommt er: Eshu! Einer der Gods der west­afri­ka­ni­schen okkul­ten Welten, des Juju. Der klei­ne Kerl weiss, dass er in die­ser Phase, im Schutze der Dunkelheit und des Schlafes sei­ne Chance hat in den Geist ein­zu­drin­gen. In die­ser Zeit ist die men­ta­le Verteidigung aus­ge­schal­tet, die Traumwelt ist offen für das gan­ze Universum und die gesam­te Geisterwelt. Eshu ist ein klei­ner, ekel­er­re­gen­der Gnom, der potent an kri­mi­nel­ler Energie ist. Er hat alle Tricks auf Lager und ver­mag jeden zu täu­schen. Er ist der Menschenverkäufer und Joker der Unterwelt. Juju ist ein Terminus für den west­afri­ka­ni­schen Spiritualismus, der mit Amuletten, Verwünschungen und bin­den­den Ritualen Opfer an sich bin­det.

Die Angst vor Eshu ist enorm. Gebrechen, Wahn, und selbst den Tod kann er über die Traumwelt zum Opfer tra­gen. Er bringt Seuche, Armut, Verbitterung, Verstümmelung und Tod über die Familie im fer­nen Westafrika, über die Freunde und über das Juju Opfer. Folgt man ihm und erfüllt sei­nen Plan, dann bringt er unge­heu­er­li­chen Reichtum, Respekt und Schutz. Eine gewal­ti­ge Hoffnung wird in den God Eshu gelegt, wenn die wei­te, gefähr­li­che Reise nach Europa unter­nom­men wird. Die Hoffnung liegt zum Teil im gan­zen Clan, ja sogar im gan­zen Dorf. Eshu und die Gods sind Freund, Beschützer und Vollstrecker in einem.

Über die Indoktrinierungen, die Drohungen, und die Erinnerungen an die Gelübde, die in einem Schrein in Westafrika abge­legt wor­den sind, fin­den die Menschenhändler und Madams über den God Eshu die unsicht­ba­ren Ketten um Sklaven zu hal­ten. Die Geisterwelt kennt kei­ne Schranken, kei­ne Grenzen und vor allem kei­ne Gnade. Nicht sel­ten erbre­chen die Juju Frauen am Morgen, wenn sie einen Geistertraum erlebt haben. Wird im Traum etwas geges­sen, dann ist das ein ganz schlech­tes Zeichen. Mit jedem Bissen der durch den Mund in den Magen kommt, wird der Schrecken grös­ser. Die Dämonen neh­men über­hand im Körper und über­neh­men die Kontrolle des Geistes. Eshus grau­en­haf­te Warnungen müs­sen des­halb am mor­gen raus­ge­würgt und raus­ge­kotzt wer­den, bis der Magen leer gepumt ist. Die Kolleginnen ver­ste­hen das. Es ist eine fast nor­ma­le, ver­trau­te Situation, und die Macht des Juju ist wie­der für lan­ge Zeit gefe­stigt.

Die Madame gibt den Auftrag Je nach­dem wel­che Form von Aufgabe oder Schutz ein Opfer braucht, wer­den Sekrete, Kräuter, Menstrationsblut, Menchen- oder Tierblut und Schamhaare gebraucht. Lebende Tiere wer­den aus­ein­an­der­ge­ris­sen, das Blut auf den Körper gegos­sen, gespritzt, oder getrun­ken, und anschlies­send mit den ande­ren Utensilien gemixt. Der Körper wird mit Rasierklingen geritzt oder mit glü­hen­den Gegenständen gebrannt und ein weis­ses Pulver in die Wunde gerie­ben. Es hin­ter­lässt auf­fäl­li­ge Narben. Somit sind die Gods im Körper und kom­men mit auf die Reise. Der Juju Priester fühlt in den dunk­len Nächten was das Opfer fühlt. Er sieht mit den Augen und hört mit den Ohren des Opfers. Spricht sie mit der Polizei? Mit Sozialarbeitern? Versucht das Opfer gar aus ihrer Situation aus­zu­bre­chen, zu flie­hen?

Für die Frau auf den Strassen von Turin, Rom, Zürich, Hamburg und Amsterdam ist es kei­ne Frage: Juju ist Realität. Die Angst ist gewal­tig. Zu vie­le Geschichten sind bekannt, da die dead-dead Spririts zuge­schla­gen haben. Zuhause im Dorf brann­te ein Haus. Der Cousin erkrank­te an einer selt­sa­men Krankheit. Die Schwester hat den Verstand vero­ren, die Kühe schlech­tes Wasser getrun­ken, in Biel ist der Priester, dem man Juju Praktiken nach­sagt, am Arbeitsplatz in der Fabrik von einem Betonblock erschla­gen wor­den. Es ist klar: die Vorsehung der Geisterwelt zeich­net die Landkarte des Opfers. Gods for­men das Leben und ein Ausbrechen wird bit­ter und hart bestraft. Es wird so zur Realität. Und die­se Lebenskarte zeich­net der Jujupriester in Westafrika im Auftrag des Architekten: Der Madame in Italien.

Die Angst vor dem Zauber – dem Juju – ist real. Mädchen und auch Jungs wer­den von der Mutterbrust weg zum Okkultismus indok­tri­niert. Jedes Dorf im west­li­chen Afrika braucht eine Schuldige. Jemanden, dem der Dorfpriester das Elend und die Schuld zuwei­sen kann. Am besten geht das, wenn man ein Mädchen als Hexe brand­markt. Dieses kann man dann ver­prü­geln, ver­ge­wal­ti­gen und bestra­fen wie es gera­de gut passt. Beim Wasserritual wird das Mädchen spi­ri­tu­ell mit der Geisterwelt, dem Wasergott vemählt. Während drei­er Tage wird das Girl unter Drogen ver­ge­wal­tigt. Es wird aus­ge­trie­ben, die Dämonen im Kind wer­den bestraft, gebrannt, geäzt, aus­ge­häm­mert. Wird sie sech­zehn tötet man sie, und die Sünden des gan­zen Dorfes sind ver­ges­sen. Das ist prak­tisch. Oder man ver­kauft sie für Geld an Menschenhändler. Das ist auch prak­tisch. Im Gegensatz zu Kokain und Kalaschnikows, Dingen die man nur ein­mal ver­kauft, lässt sich eine Frau in Europa wie­der und wie­der und wie­der ver­kau­fen. Was für ein Geschäft! Immer mehr wer­den sol­che Austreibungen auch in London und Bristol bekannt. Selbst in Biel soll es eine Hintertür-Kirche geben, die Hexen erkennt und aus­treibt.

Am Morgen, wenn die Ängste vor den Geistern vor­bei sind, sind die Nigerianerinnen in den Asylzentren und auf der Strasse wie­der wie wir sie ken­nen: Arrogant, auf­ge­don­nert, aggres­siv und rotz­frech. Die mei­sten von ihnen sind bereits seit Jahren in Europa, vor allem in Italien. In Turin ist eine Hochburg. In Palermo, in Milano, in Genua sind sie. Auch in Moskau. Sie sind aber auch in Biel, in Zürich und in Bern. Es sind nicht jene «Sexarbeiterinnen», die in net­ten, sau­be­ren TÜV-Bordellen arbei­ten. Das Wort Arbeiterin sug­ge­riert, dass eine Arbeit nach staat­lich- gesell­schaft­li­chen Verträgen funk­tio­niert. Eine Arbeiterin hat Rechte. Sexarbeiterinnen arbei­ten in einem ordent­li­chen, regi­strier­ten Bordell und wer­den anstän­dig bezahlt. Es ist ein Job.

Diese Frauen aber sind Nutten. Sie sind Sklaven. Sie haben weder Rechte noch Hilfe. Westafrikanerinnen erzäh­len, wenn sie «zur Erholung» in die Asylstruktur kom­men, immer wie­der von den Konditionen in Italien: Ungeschützter Geschlechtsverkehr, völ­lig unhy­gie­ni­sche Verhältnisse; Sex am Strassenrand, kei­ne Waschmöglichkeiten, extre­mer Sadismus mit extrem per­ver­sen Praktiken, über­ra­schen­de und nicht aus­ge­mach­te Gangbangs, eigent­li­che Vergewaltigungen. Frauen erzäh­len von Drogen, von Verstümmelungen, von bra­chia­ler phy­si­scher Gewalt, von Verätzungen, Verstümmelungen, Nahtodsexspielen und eigent­li­chen Exekutionen. Erschossen, ersto­chen und ver­brannt. In der Schweiz wird es wohl nicht anders sein.

Sklavinnen pro­sti­tu­ie­ren sich für eine Madame.
Die Madame ist eine Frau, die sich an die Spitze gear­bei­tet hat. Sie kon­trol­liert 4–5 Frauen. Sie lässt die Mädchen in Nigeria rekru­tie­ren. Eventuell lässt sich eine Madame über ihre Tatoos zuord­nen. In Italien kann es die Rose am lin­ken Oberarm sein. In Russland ist es even­tu­ell eine mar­kan­te Tattoo ober­halb des Kreuzes. Die in Deutschland arbei­ten­den Madames zeich­net etwas Ähnliches wie ein Sonnenrad. Dies ist aber nur eine These, die viel­leicht genau­so falsch ist wie die Annahme, dass Juju, Witchcraft und Hexerei ein Unsinn sei. Ein Märchen, ein Hoax, etwas für Schwachsinnige.

Ein UNICEF-Bericht schreibt, dass über 95% der Kinder auf den Strassen im Akwa Ibom State in Nigeria von Pastoren als Hexe gebrand­markt wor­den sind. 40% die­ser Kinder wer­den gehan­delt. Als Arbeitskräfte in den Minen und Ölfeldern, als Haussklaven oder Sexsklaven. 90% der Sexsklaven in Europa, aus Delta oder Edo State, aus Ghana oder Togo wur­den vor einen Schrein gezerrt.

Zu den psy­chi­schen Störungen, die sich nach einem trau­ma­ti­schen Erlebnis oder nach meh­re­ren Traumata in Folge ent­wickeln kön­nen, schreibt mir eine Psychotherapeutin mit lang­jäh­ri­gen Erfahrungen in der Behandlung von Patienten mit (kom­ple­xen) post­trau­ma­ti­schen Belastungsstörungen auf Anfrage fol­gen­des: «Typische Symptome die­ser Störung sind bei­spiels­wei­se: Allgemeine Schlafprobleme, Angstträume; kör­per­li­che Reaktionen wie Herzklopfen, Schwitzen bei Erinnerung an das Trauma – oder die Traumata: Die mei­sten Opfer erlit­ten sequen­ti­el­le (=sich wie­der­ho­len­de) Traumata – sie lei­den daher unter einer kom­ple­xen post­trau­ma­ti­schen Belastungsstörung; Angstzustände mit Hyperventilation, die bis zu Ohnmachtsanfällen füh­ren kön­nen; star­kes Misstrauen gegen­über dem sozia­len Umfeld; Spannungszustände, oder auch per­ma­nen­te hohe Anspannung, die zu häu­fi­gen und uner­träg­lich star­ken Kopfschmerzen füh­ren kön­nen; dis­so­zia­ti­ve Zustände, in denen sie z.B. plötz­lich zu Boden sin­ken und in star­ker Verkrampfung lie­gen blei­ben – die­ser Zustand kann eini­ge Zeit andau­ern; wäh­rend­dem ande­re Opfer in sol­chen dis­so­zia­ti­ven Zuständen schrei­en, am gan­zen Körper zit­tern, zucken, sich schüt­teln oder um sich schla­gen, zB. mit der Hand auf den Boden, sich in ihrem Körper ver­kramp­fen, zit­tern. Sie ver­lie­ren wäh­rend die­ser Zeit das Bewusstsein … tau­chen dann spä­ter wie­der in der Gegenwart auf und kön­nen sich an nichts erin­nern. Andere Opfer irren in einem sol­chen dis­so­zia­ti­ven Zustand in der Gegend umher und kom­men plötz­lich an einem ganz ande­ren Ort wie­der zu Bewusstsein, ohne zu wis­sen, wie sie an den aktu­el­len Ort gekom­men sind. Dazu Flashbacks: plötz­li­che Empfindungen, als ob das Ereignis wie­der statt­fän­de, sich wie betäubt füh­len, star­ke emo­tio­na­le Dämpfung = soge­nann­tes Numbing. Aktive Vermeidung von Orten, Situationen, Gesprächen, Gedanken, die an das Trauma oder an die Traumata erin­nern könn­ten. Bei emo­tio­na­ler Belastung ver­mag eine sol­che Person Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr klar zu tren­nen. Es ist ein bekann­tes Symptom einer kom­ple­xen post­trau­ma­ti­schen Belastungsstörung, dass die sequen­ti­el­len trau­ma­ti­schen Erlebnisse erst nach und nach in Erinnerung kom­men, und dies nicht etwa chro­no­lo­gisch und geord­net, son­dern bruch­stück­haft und chao­tisch, z.T. auf­grund glei­cher Gefühle in einem Ereignis zusam­men­ge­fasst.»

Unter die­sen Umständen ist es für Sozialarbeiter, Therapeuten und Ermittelnde Dienste enorm schwie­rig an Informationen, geschwei­ge denn an die Menschenhändler zu kom­men. Es braucht viel Zeit um die Ängste auf­zu­bre­chen, das Vertrauen auf­zu­bau­en, und das ist nur mög­lich wenn Witchcraft und Juju ernst genom­men wer­den.

Für den Menschenhändler ist es ein gutes Geschäft. Die paar Neiras (nige­ria­ni­sche Franken), die für ein Mädchen an den Stamm bezahlt wer­den, wer­fen auf dem Markt eini­ge zehn­tau­send Dollar ab. Eine Frau hat, wenn sie denn Europa lebend erreicht, einen Wert von 60–80’000 Euro: die­ses Geld muss sie zurück­be­zah­len. Das ist der Teil des Deals mit Eshu, und jede Juju Frau wird ihren Part der Abmachung ein­hal­ten. Auch wenn es Jahre dau­ert, der Körper kaputt geht und die Seele in der Hölle der Freier ver­brannt ist.
Infos: www.trafficking.ch

Foto: Marco Vernaschi, Buenos Aires
ensuite, März 2013

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