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Über den Tanz

Interview mit Heinz Spoerli zum Kritikerpreis und über Medien von Kristina Soldati (erschie­nen in ensuite Nr. 81):

Der Platz des Tanzes in den Medien soll hier beleuch­tet wer­den. Eine Schlüsselfigur des Schweizer Tanzes nahm sich die­ses Thema zu Herzen : Heinz Spoerli.

KS : Herr Spoerli, als Ballettdirektor des Züricher Opernhauses haben Sie gleich zwei renom­mier­te Preise die­ses Jahr erhal­ten, den deut­schen Tanzpreis und mit acht Künstlern ande­rer Sparten den Kritikerpreis. Ihrer Companie und der Tanzsparte an Ihrem Haus geht es blen­dend. Dennoch sind Ihre Abschlussworte der letz­ten Dankesrede an eine medi­en­über­sä­te Hörerschaft ein­dring­lich : « bit­te hal­ten Sie dem Tanz – ob modern, klas­sisch oder Tanztheater – die Treue, denn er hat es drin­gend nötig. » Was mein­ten Sie damit ?

HS : Lassen Sie mich erst gene­rell, dann tanz­spe­zi­fisch ant­wor­ten. Die Presse unter­schätzt gene­rell die Kultur. Nicht erst in der Krisenzeit. Dabei lesen die Menschen, wenn sie die Zeitung in die Hand neh­men, zuerst ein­mal das Feuilleton und Sportteil. Dann erst Wirtschaft und Politik. Sie wol­len durch­aus kul­tu­rell infor­miert sein und sich eine Meinung bil­den kön­nen. Wenn die Presse am Feuilleton spart, macht sie einen gros­sen Fehler.
Was den Tanz betrifft ist die Meinungsbildung in den letz­ten 50 Jahren beschwer­li­cher gewor­den. Früher gab es nur das Ballett und den moder­nen Tanz, was zur Kunst zähl­te. Seitdem ent­stan­den vie­le neue Arten wie der post­mo­der­ne Tanz, aber auch Breakdance, und es misch­ten sich Formen wie beim Tanztheater oder der heu­ti­gen Performancekunst. Unlängst wur­de gar der asia­ti­sche Kampfsport der Shaolin-Mönche vom Choreographen Sidi Larbi Cherkaoui ein­ge­baut.

KS : Ist das ein Nachteil ?

HS : Für die Berichterstattung schon. Die Diversifikation erfor­dert einen Überblick, will man fun­dier­te Meinungsbildung. Einen Überblick in der zeit­li­chen Spanne, in der Entwicklung des Tanzes, aber auch in der Breite. Welcher Kritiker hat die­sen heu­te noch ?

KS : Warum ? Konnten sich die Kritiker nicht mit­ent­wickeln ?

HS : Zum einen ist die gegrün­de­te Presseschule sehr jung. Und Tanzkritik ist auch kein Metier mehr. Die letz­ten der Zunft haben ihre Posten geräumt. Der legen­dä­re Jochen Schmitt der FAZ (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) wur­de vor über 10 Jahren gekün­digt, Lilo Weber ver­lor ihre frü­he­re Stellung bei der NZZ. Es gibt kei­ne fest ange­stell­ten Tanzkritiker mehr in der Schweiz. Früher hat­te ein Kulturjournalist ein Ressort, heu­te bis zu drei, vier. Zum ande­ren sind es jun­ge Berufsanfänger, die auf dem Feld des Tanzes die jour­na­li­sti­sche Feder spit­zen. Da ist Spezialisierung und Erfahrung ein Fremdwort. Zum drit­ten fehlt der Weitblick wegen der loka­len Enge : Die Zeitungen zah­len kei­ne Reisen mehr. Jochen Schmidt hat­te noch ein eige­nes Reisebudget.
Dagegen ist die Tanzkunst sehr mobil. Zumal sie kei­ne Sprachbarrieren kennt. Sie holt sich die Inspiration für ihr Schaffen welt­weit. Als ich in Montreal tanz­te, ging ich mir alle wich­ti­gen Choreographen in New York anschau­en. Das war sehr wich­tig. Der Tanz saugt die Einflüsse in Windeseile auf. Die Presse hinkt da hin­ter­her.

KS: Der gesam­te Kritikerberuf fühlt sich wie eine aus­ster­ben­de Spezies, mein­te der deut­sche Kritikerverband…

HS : Ja, aber auch gan­ze Sparten sind gefähr­det. Wenn ein Haus eine Sparte weg­spart, schnei­det es sich in das eige­ne Fleisch. Das Theater braucht ein viel­fäl­ti­ges Publikum. Wenn es mit der Schliessung ein inter­es­sier­tes Publikum ver­liert, ver­liert es mit die­sem auch poten­ti­el­le Besucher der ande­ren Sparten, ihre Vielfalt und schlicht Attraktivität.

KS : Und was erwar­ten Sie von einer Tanzkritik mit Qualität ?

HS : Ich habe kei­ne Probleme mit den Kritiken. Wenn sie schlecht aus­fal­len, soll­ten sie dies nur gut begrün­den. Für mei­ne Tänzer aber wün­sche ich, dass ihre Leistung gewür­digt wird. Nicht nur das Stück soll­te bespro­chen wer­den, auch die Interpretation. Das ist ins­be­son­de­re für die Entwicklung der Tänzer wich­tig.

KS : Ihre kur­ze Dankesrede wur­de nie gehal­ten. Sie schick­ten sie mit der dar­in ent­hal­te­nen Bitte um Treue an Pro Helvetia, Ihren Hauptsponsor UBS und Davidoff, sowie an man­che Kritiker…

HS : Nachdem acht Preisgekrönte fast drei Stunden rede­ten, unter­liess ich sie.

KS : Und mit Ihnen schwieg der Tanz.

Aufgabe von Kritiken

Während vor fünf Jahren den Saisonauftakt des Züricher Balletts noch 12 ver­schie­de­ne Kritiker im deutsch­spra­chi­gen Raum kom­men­tier­ten, waren es die­ses Jahr nur­mehr 7. Eine Rezension davon wur­de zumin­dest auf der online-Seite gleich von fünf Blättern über­nom­men (die­je­ni­ge des Tagesanzeigers vom Berner Oberländer, Berner Zeitung, Thuner Tagblatt, Thurgauer Zeitung und, klar, vom Züritipp).

Die Einsparungen, Fusionen und Schliessungen von Tageszeitungen kön­nen den Erfolgreichsten nicht viel anha­ben. Die klei­nen Kreativen aber dar­ben. Sie haben die Kritiken als Referenz nötig, wenn sie ihre Projekte bei Finanzierungsgesuchen ein­rei­chen. Man wür­de mei­nen, auch Geldgeber und die öffent­li­che Hand müss­ten an sol­chen Evaluierungen inter­es­siert sein. Auf gewich­ti­ge­ren Gebieten wer­den unab­hän­gi­ge Fachleute mit Gutachten beauf­tragt, bevor Gelder für Projekte locker gemacht wer­den. Ihre Honorare sind maje­stä­tisch. Die von frei­en Zeitungsmitarbeitern für eine Kritik 140 CHF[1].

Bewertung zu lei­sten ist also eine Aufgabe von Kritiken. Vorallem aber sol­len Kritiken laut einer Umfrage unter Lesern infor­mie­ren.[2] Und zwar deskrip­tiv, pla­stisch und nach­voll­zieh­bar. Die Interpretation, in der so man­che schwel­gen, oder Erklärungen mögen dar­aus her­vor­ge­hen, sei­en aber zweit­ran­gig. Dass die­se Kritik an die Kritiker heu­te so deut­lich for­mu­liert wird, bewei­se laut Autor der Umfrage : die Mehrzahl der Kritiker gebär­det sich in den Texten eitel, über­heb­lich aus einer aukt­oria­len Haltung her­aus, befan­gen in einer Jahrhunderte alten Tradition von Theaterkritik. Angesichts der mie­sen Note, die die Leser die­ser Berichtsform ertei­len ist da das Aussterben kei­ne Erlösung ? Nein, ergibt die Untersuchung. 72% wol­len nicht weni­ger und 23 % gar mehr.[3]

Der Autor Vasco Boenisch rät in sei­ner Analyse zur qua­li­ta­ti­ven Umkehr, zu der Hinkehr zur Dienstleistung für den Leser als mün­di­gen Kunden : « Der Kunde will, (..) zunächst ein­mal infor­miert wer­den, umfas­send infor­miert wer­den ; er will etwas an der Hand genom­men und nicht vor den Kopf gestos­sen wer­den, er will nach­voll­zie­hen kön­nen statt stau­nen müs­sen ; er will vom Kritiker ler­nen, nicht ihn anbe­ten ; er will ein Bild, kei­nen Stempel. »

Plastische Beschreibung, Erklärung und schlüs­si­ge Wertung sind dem­nach die Hauptpfeiler einer fun­dier­ten Kritik.

Ferner erwar­ten die Verbraucher auch das Einbetten eines Stückes, sei­nes Schöpfers und der Interpretation in die Theaterlandschaft und einer etwa­igen Tradition. Wie sol­len sie sonst die Relevanz der Kritik ein­ord­nen ? Es steht nicht wenig auf dem Spiel : unse­re beschränk­te Speicherkraft und das Budget : « Lohnt es sich den Namen zu mer­ken ? Will ich das näch­ste Mal ein Stück der Companie, des Schöpfers sehen? »

So gewach­se­ne Entscheidungen gene­rie­ren ein mün­di­ge­res Publikum, das weni­ger fru­stiert ist von bösen Überraschungen.

Doch wer­den Journalisten unter ver­mehr­tem Zeitdruck und ohne Reisebudget die­sen Service uns lei­sten ? Der genann­te Forscher schmun­zelt über Fälle « rüh­ren­der Selbstausbeutung »[4].

Andere Textformen über den Tanz : Fast Food

Ganz im Trend des leich­te­ren Konsums hat manchei­ne Zeitung ihren Verzehr mit 20 Minuten ange­prie­sen. Zeitungen im all­ge­mei­nen bie­ten ein abwechs­lungs­rei­ches Menu auf ihrer Kulturkarte. Events sind zwei­fel­los das Hauptgericht, im Feuilleton mit Empfehlung gar des Chefkochs ser­viert. Porträts, Interviews und Vorberichte sind ‘in’, weil leicht bekömm­lich. Schwerer im Magen lie­gen da schon die Kritiken. Warum ?

Ein bekann­ter ame­ri­ka­ni­scher Tanzkritiker, Edwin Denby, beschrieb es so : « Dance cri­ti­cism has two dif­fe­rent aspects, one is being made drunk for a second by see­ing some­thing hap­pen ; the other is expres­sing lucid­ly what you saw when you were drunk » (Tanzkritik hat zwei unter­schied­li­che Aspekte, einer ist für einen Augenblick an dem Geschehen, das man sieht, betrun­ken zu wer­den ; der zwei­te ist, glas­klar aus­zu­drücken, was Du sahst, als du betrun­ken warst.)

Warum nicht den Leser in die­sen Dunst & Durchblick ein­be­zie­hen ? Der Leser soll­te auch benom­men sein von der Atmosphäre im ver­spielt anschau­li­chen Text. Dann soll der Leser durch die Federführung nüch­tern nach­voll­zie­hen kön­nen, wie die­se Wirkung des Stückes zustan­de kam. Diese wider­sprüch­li­che Aufgabe macht das Gericht bei der Herstellung zum Slow-Food. Die fei­ne Zubereitung (« gut geschrie­ben ») soll­te den Geniesser das nicht mer­ken las­sen. Doch die Dichte des Geschmacks und hof­fent­lich des Gehalts bleibt beim unan­ge­mes­se­nen Verschlingen halt im Halse stecken…

Ein Leckerbissen

Manche Haute Cuisine erhält ihre fünf Sterne. Letztes Jahr ging der Schweizer Greulich-Kulturpreis, der her­aus­ra­gen­de Leistungen im Kulturjournalismus wür­digt, an jeman­den, der das rich­ti­ge Rezept für den Tanz hat: « Mit ihrer Entscheidung für Alexandre Demidoff wür­digt die Jury des­sen bestän­di­ges Engagement für eine moder­ne Vision von Ballett und Tanz und zugleich die sti­li­sti­sche Brillanz des Kritikers von Le Temps », heisst es auf der Homepage der Stiftung.

Drei Zeitschriften in neun Jahren ver­schwun­den

Wenn Kulturredaktionen – nicht nur sie – zurück­ge­stutzt wer­den, das Feuilleton sich lich­tet, Kulturbeilagen Federn las­sen und sich zu Lifestyle-Magazine mau­sern wie beim NZZ, wer könn­te da gegen­steu­ern ?

Sollte die Tanzzunft eine eige­ne Zucht her­vor­brin­gen, um in den Printmedien prä­sent zu sein? Viele Engagierte waren die­ser Meinung und grün­de­ten aus Privatinitiativen her­aus Fachblätter. Das öster­rei­chi­sche Tanz Affiche ent­stand so, auch sein schwei­zer Pendant Tanz der Dinge von Wolfgang Brunner. Doch wenn der Herausgeber ver­schei­det, nimmt er ein Stück Kulturgut mit sich (Einstellung 2006). Da wür­den Tanzblätter in Form von Verbandszeitschriften Menschenleben über­dau­ern, wür­de man mei­nen. Und wenn Verbände fusio­nie­ren, kön­nen sie gar gestärkt her­vor­ge­hen, wie man Ende 2007 den jewei­li­gen Mitgliedern des Verbands der Lehrenden[5] und denen der künst­le­risch Schaffenden[6] ver­kün­de­te. Doch das Gegenteil war der Fall. Das Sprachrohr der Tanzschaffenden der Schweiz Tanz la dan­se Suisse ging bereits im Juni 2000 ein, das Verbandsorgan Tanz & Gymnastik des Lehrerverbands 2007 bei der Vereinigung.

Die papier­ne Materialisierung von Tanzbesprechungen stand aber noch lan­ge auf der Tagesordnung des ver­ei­nig­ten Tanzdachverbands. Verhandlungen und Finanzierungspläne folg­ten. Aber kei­ne Zeitschrift.

« Das Ableben der schwei­zer Tanzfachzeitschriften muss man in der glo­ba­len Dürre der Presselandschaft ein­ge­bet­tet sehen », meint die Tanzwissenschafterin und ehe­ma­li­ge Festival-Coleiterin der Berner Tanztage Claudia Rosiny. « Schon seit lan­gem lie­fer­te uns der Medienprofessor R. Blum der Universität Bern die Analyse : der schwei­ze Markt ist schlicht zu klein. Wir müs­sen nach Alternativen sin­nen. » Na, dann liegt Dansesuisse ja gold­rich­tig, indem sie 2000 online ging. Ähnlich wie bei der gros­sen Schwester tanznetz.de sind hier Biographien, Auszeichnungen, Hintergrundsinformation und Ankündigungen abruf­bar. Verpassen Sie vor allem ihren Veranstaltungskalender nicht ! Doch wo sind die Kritiken, die bis 2005 geschrie­ben und bis 2008 ein­seh­bar waren ? « Zu unse­ren Mitgliedern gehö­ren Choreographen und Interpreten. Es gibt einen Interessenkonflikt, wenn nicht alle und nicht alle gleich gut bespro­chen wer­den » resü­miert Gianni Malfer, Verwalter von DanseSuisse, das Problem.

Das ist aber ein Dolchstoss. Denn schon vor der ‘Bereinigung’ die­ser unge­müt­li­chen Kritiken för­der­te der von Regierung wie Betroffenen aus­ge­klü­gel­te ProjektTanz[7] bei sei­ner Aufbahrung vor der Presse den Notstand zu Tage : « Die Berichterstattung über Tanz in den Schweizer Medien nimmt ab. Die ver­schie­de­nen Sparrunden bei Tageszeitungen in den letz­ten Jahren lies­sen auch die Kritiken und Texte über Tanz weni­ger wer­den. Dabei hat gera­de die­se Kunstsparte gros­sen Nachholbedarf an Vermittlung und Reflexion in den Medien. »

Im Zuge die­ser Vivisektion der Tanzsparte ent­stand das Netzwerk RESO, das dem auf Herz und Nieren geprüf­ten Patienten post­ope­ra­ti­ves Leben ein­hau­chen soll. Es wacht über das rei­bungs­lo­se Zusammenspiel sei­ner Organe (und der Organspender Bund, Kantone und Städte) [8]. Es wird wohl sei­ne Gedanken machen müs­sen ange­sichts des dia­gno­sti­zier­ten Nachholbedarfs in den Medien. Doch sei­ne Strategie ist bis­lang nur punk­tu­ell : am Tag des Tanzes insze­niert es ein Spektakel, das bunt und breit ist wie die Schweiz, ein Event und will­kom­me­nes Futter für die Medien.[9] Dabei weiss RESO es bes­ser. In sei­ner Bibel zur Kulturvermittlung leuch­tet durch­aus das Gebot gegen den Götzendienst: Um neben der Entertainmentindustrie mit einem ste­tig wach­sen­den (Über-)angebot bestehen zu kön­nen, ist es zur Notwendigkeit gewor­den zu ver­mit­teln, wor­in die beson­de­ren Werte der Kunst für den Einzelnen und die Gesellschaft bestehen.”

Welches darf das bevor­zug­te Medium der Vermittlung die­ser fro­hen Botschaft sein?

Über Schweizer Tanz im Ausland

Zur Bestattung der letz­ten Zeitschrift Tanz & Gymnastik, durf­te der Tanzverantwortliche von Pro Helvetia sein Credo (oder Beileid ?) im letz­ten Heft abdrucken: « Der Schweizer Tanz braucht eine qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­de Tanzzeitschrift. Diese wür­de die Anerkennung des Tanzes för­dern und wert­vol­le Vermittlungsarbeit lei­sten. » Er muss es wis­sen, denn Pro Helvetia ist der kom­pe­ten­te Fürsprecher für den Schweizer Tanz im Ausland. Diese wert­vol­le Vermittlungsarbeit fehlt und es feh­len auch die Mittel. So spricht Pro Helvetia von zwerg­haf­ten Subventionsmittel im Vergleich zu denen der Giganten [10] unse­res Globus. Da wird gern etwas Kleines aus der Tasche der Kulturbotschafter gezau­bert : das neue Promotions-Medium ist eine DVD. Sie heisst Swiss Dance Selection und stellt regel­mäs­sig die Tänze der letz­ten zwei Jahre auf einen vir­tu­el­len Laufsteg, wel­che die hie­si­gen Tanzdesigner ent­wor­fen haben. In vier Kategorien prä­sen­tie­ren sich nam­haf­te Haute Couture und avant­gar­di­sti­sche Newcomer. Auf die­sem flim­mern­den Medium wird Schweizer Tanz von Pro Helvetia gebrauchs­fer­tig durch­ge­stuft : medi­um sca­le, 10m x 12 m etc.[11]

Sprachlose und flüch­ti­ge Kunst

Ob über sie ein Wort ver­lo­ren wird oder nicht, das schert die lebens­lu­sti­ge Terpsichore wenig. Sie wird wei­ter froh­lockend ihre flüch­ti­gen Kreise zie­hen. Und wen stör­te es, wenn sie kei­ne Spuren hin­ter­lies­se ?

Nun, die frisch eta­blier­te schwei­zer Tanzwissenschaft. Sie muss ver­flos­se­nem Tanz nach­spü­ren und sei­ner hab­haft wer­den kön­nen. Und zwei­tens die Archive, die das kul­tu­rel­le Gedächtnis der Nation sind. Die Theatersammlung in Bern zeich­net so seit den 80ern die in der Schweiz emp­fang­ba­ren TV-Tanzsendungen auf. ( « Mit Lücken, denn wer von uns hat Zeit, alle Programme durch­zu­schau­en.. ? » meint der Leiter der Dokumentation), die Mediathek Lausanne seit 1993. Die unbe­kann­te­ren Companien, die Fernsehkameras nicht ken­nen, wer­den von der bald öffent­lich zugäng­li­chen Mediathek in Zürich ermun­tert, sich selbst zu doku­men­tie­ren. Der pro­fes­si­on­nel­le Rat dazu wird erteilt. Bislang ist der Bestand der Mediathek noch nicht kata­lo­gi­siert. Bei der Finanzierung aus Privat- und Stiftungsgeldern war das bis­lang nicht drin. Die natio­na­le Tragweite der Mission wird der Bund wohl erst 2013 schul­tern. Ab da sind bei­de Mediathek-Standorte Lausanne und Zürich ein­heit­lich kata­lo­gi­siert und die Titel in das uni­ver­si­tä­re Online-Bibliothekssystem IDS [12] laut Plan ein­ge­speist.

Medium TV

Und was, wenn sich die flüch­ti­ge Kunst mit der Kamera ein­fan­gen und dem ihm ent­spre­chend­sten Medium, dem beweg­ten Bild des Fernsehens zufüh­ren lies­se ? Wenden wir uns der Fernsehanstalt zu, die Kunst in ihrem Namen trägt. Arte hat tat­säch­lich (in Zusammenarbeit mit NBS und BBC) dem Tanz vie­le Jahre lang die beste Sendezeit ein­ge­räumt : Sonntags 20.15 Uhr. Man mag zwar von gewis­sen ästhe­ti­sie­ren­den Akzenten hal­ten was man will, wo der Zoom auf dem Glanz schweiss­ge­ba­de­ter Haut und schwin­gen­dem licht­durch­flu­te­ten Haar war, doch dem Zuschauer wur­de ein Riesendienst erwie­sen. Eine äus­serst gros­se Spannbreite, the­ma­tisch ori­gi­nell grup­piert, wur­de über­schau­bar (25 Minuten) und vor allem : zuver­läs­sig zur sel­ben Zeit ser­viert. Seit 2007 ist damit Schluss. Am Geld lie­ge es nicht, meint der stell­ver­tre­ten­de Redaktionsleiter Musik/Theater/Tanz bei Arte. Das sinn­vol­le mass­ge­schnei­der­te Portionieren fällt da eher ins Gewicht. Seit NBS und BBC ihre Reihe ein­stell­te, stell­te sich Arte um : punk­tu­el­le Events wie Festivals sei­en gefrag­ter, heisst es. So ver­ge­hen man­che Monate ohne ein für Arte sen­de­wür­di­ges Tanz-Highlight.

Statistiken über Tanz

Zwanzig Jahre lang war das gesamt­schwei­ze­ri­sche Kulturverhalten ein blin­der Fleck im Spielraum von kul­tur­po­li­ti­schen Verhandlungen : es war vom Bundesamt für Statistik nicht erfasst und so zah­len­mäs­sig nicht beleg­bar. In die­sem Sommer leg­te es Daten zum Kulturverhalten der Schweizer Bürger vor. Und sie­he da, sie spei­sen unse­re Argumente mit Zahlen !

Die Häufigkeit eines Besuchs von Tanz liegt im Vergleich zu dem von (auch Pop-) Konzerten, Kino und histo­ri­schen Stätten, Museen, Theater und Bibliotheken (in die­ser Reihenfolge) an letz­ter Stelle.[13] (Jeder fünf­te schaut sich von Zeit zu Zeit Tanz an). Sobald es aber um die Frage geht, wel­che Aktivität die Bürger öfters aus­üben möch­ten, steht Tanz- und Theaterbesuch weit oben, näm­lich an zwei­ter Stelle. [14]Fast jeder zwei­te möch­te mehr. Da fragt es sich, was ihn denn hin­dert. Bei allen Hindernisgründen schwimmt Tanz & Theater unauf­fäl­lig im Mittelfeld, beim Hindernisgrund ‘Infrastruktur und Logistik’ prescht es aber her­vor. [15] Die Aufschlüsselung der Antworten auf die halb-offen­ge­stell­ten Fragen ist nicht ganz ein­fach, da Mehrfachnennung mög­lich waren. Auffällig ist aller­dings, dass die­je­ni­gen, die sich die Mühe gaben, meh­re­re Gründe anzu­ge­ben, zuneh­mend den Bereich Information(smangel)/Angebot her­vor­ho­ben. Andersherum gesagt : fast die Hälfte speist den Frager schnell mit « kei­ne Zeit » (für die Realisierung mei­nes Wunsches nach mehr Tanz & Theater) ab. Doch wenn Befragte ‘in die Tiefe gehen’, ist schon fast jeder drit­te mit dem Angebot oder der Information unzu­frie­den.

Und hier könn­te man anset­zen. Informieren, das Angebot eva­lu­ie­ren, gege­ben­falls emp­feh­len und Lust machen – waren das nicht die Aspekte der Tanz-und Theaterkritik ?



[1] Betrag vari­iert je nach Region

[2] Vasco Boenisch Was soll Theaterkritik ?, Dissertationsarbeit, Bochum 2008

[3] Zu beach­ten ist, dass die Befragten Theatergänger sind.

[4] ebd. S. 152

[5] SBTG Schweizer Berufsverband für Tanz und Gymnastik

[6] SDT schwei­ze­ri­scher Dachverband der Fachkräfte des künst­le­ri­schen Tanzes

[7] Projekt Tanz, Abschlussbericht 2006, S. 31

[8] RESO selbst wird finan­ziert durch : Bundesamt für Kultur CHF 200’000, Pro Helvetia CHF 200’000, Konferenz der kan­to­na­len Kulturbeauftragten CHF 60’000, Konferenz der Schweizer Städte für Kulturfragen CHF 60’000

[9] vgl. Jahresbericht 2007 und 2008 jeweils unter Kommunikation : « um die Wahrnehmbarkeit des Tanzes in der Bevölkerung zu ver­bes­sern »

[10] S. 6 Jahresbericht Pro Helvetia Pro Helvetia- beweg­li­cher als die Konkurrenz

[11] im Überblick abzu­ru­fen unter www.prohelvetia.ch/compass

[12] Informationsverbund Deutschschweiz

[13] Kulturverhalten in der Schweizer. Erhebung 2008, Bundesamt für Statistik, Tabelle G1

[14] ebd. Tabelle G7

[15] ebd. Tabelle G8

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Der Originaltext ist auch auf dem Blog www.tanzkritik.net erschie­nen.

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