Traumjob

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Von Irina Mahlstein – Das Jahr 2010 beginnt also. Es wird ein ent­schei­den­des Jahr für mich, irgend­wie. Nach 26 Jahren Ausbildung wer­de ich die­se in die­sem Jahr end­lich abschlies­sen. Es gibt nichts mehr was ich dran hän­gen könn­te. Langsam wür­de es Zeit für mich, mich end­lich für einen Beruf oder eine Arbeit zu ent­schei­den. So wie es sich eigent­lich gehört, wenn man sei­ne Ausbildung abge­schlos­sen hat. Aber irgend­wie krie­ge ich das ein­fach nicht hin. Also habe ich mich dafür ent­schie­den, ein Postdoc zu machen. Nicht nur, um wei­ter­hin die Schubladisierung mei­nes Berufslebens vor mich hin zu schie­ben, sicher­lich über­wiegt die Freude an der Forschung und das Interesse am Klima, und eigent­lich möch­te ich ja noch immer die Welt ret­ten (dan­ke Prinzesschen, dass du mich wie­der dar­an erin­nert hast). Doch das Postdoc bie­tet mir auch die Möglichkeit, mei­ne Narrenfreiheit um wei­te­re zwei Jahre zu erwei­tern.

Wie soll man sich auch ent­schei­den kön­nen bei all den inter­es­san­ten Berufen, die es auf der Welt gibt? Und bei allen ist es am Ende das­sel­be: näm­lich, dass man nach etwa drei Jahren genug davon hat. Jedenfalls stel­le ich mir das so vor, und es graut mir rich­tig. Pianistin wür­de mir sicher auch Spass machen, mehr als drei Jahre. Oder Architektin oder Modedesignerin oder Autorin – oder auch ganz ein­fach Mutter? Was soll’s, ich hab ja noch­mals zwei Jahre dazu gewon­nen. Ein klei­nes Abenteuer steht vor der Tür, und hof­fent­lich gibt es kei­nen Schiffbruch mit Tiger. Doch zuerst – wie gesagt – wird das Jahr 2010 ent­schei­dend für mich. Das Proposal, sozu­sa­gen mein Gutschein für die Narrenfreiheit, muss noch gut geheis-sen wer­den. Und dann, nicht zu ver­ges­sen, wer­de ich die­ses Jahr noch mei­ne Doktorarbeit abschlies­sen. Und dann bin ich Frau Doktor. Vor weni­gen Tagen hat mich im Bus ein jun­ger Mann ange­spro­chen und nach mei­nem Beruf gefragt. «Hmmm … also mein Beruf … ich schrei­be eine Doktorarbeit», war mei­ne Antwort. Da hob er aner­ken­nend die Augenbauen, und frag­te mich wei­ter, wo ich denn danach «Dökterle» wer­de. Total irri­tiert schau­te ich ihn an und über­leg­te krampf­haft, was genau er mich fra­gen möch­te. Will er nun Sexualpraktiken von mir ler­nen? Oder mei­ne sexu­el­len Vorlieben ken­nen? Inzwischen rat­ter­te der Lautsprecher «Hubertus». Langsam däm­mer­te es mir, dass die­ser Mann wohl meint, dass ich dann Ärztin bin, nach­dem ich die Arbeit fer­tig habe.

Irgendwie lustig, wenn man einer Tätigkeit nach­geht, die für einen Teil der Bevölkerung gar nicht exi­stiert. Wie um Himmels Willen soll man sich so ent­schei­den kön­nen, was man denn sein möch­te, wenn man gross ist, wenn die Ausbildung dazu nicht mal wahr­ge­nom­men wird? Und ein ande­rer Teil der Bevölkerung ist davon über­zeugt, dass alles schwach­sin­nig ist, was wir uns da oben im Elfenbeinturm vom Bau erar­bei­ten. In genau die­sen Momenten, ein­ge­klemmt zwi­schen Taschen und Lautsprecheraussagen, mitt­ler­wei­le bereits «Sackzelg», fällt es mir wie Schuppen von den Augen, wie sehr mei­ne Welt wohl kaum den Durchschnitt reprä­sen­tiert. Keinen Doktortitel zu haben, bedeu­tet in mei­ner Welt zu einer Minderheit zu gehö­ren. In der Realität ist das Umgekehrte der Normalfall. Steht mei­ne Welt kopf? Manchmal habe ich schon das Gefühl. Aber viel­leicht ist es auch gut so. Denn wir sind es ja, die im Elfenbeinturm oben, die die Verantwortung wahr­neh­men müs­sen und das Tun der Menschen auch rück­wärts betrach­ten müs­sen. Damit im Fall des Falles auch die Konsequenzen des mensch­li­chen Tuns erahnt wer­den kön­nen. Und dies ist eigent­lich ein tol­ler Job – und sicher­lich für län­ger als drei Jahre.

Deshalb kann ich davon aus­ge­hen wie auch im ver­gan­ge­nen Jahr: Das näch­ste Jahr wird ein gutes Jahr. Und noch so neben­bei bemerkt: Es dau­ert noch sechs Monate, bis ich mit mei­ner Arbeit fer­tig bin.

Foto: Barbara Ineichen
ensuite, Januar 2009

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