Von Andreas Meier & Morgane A. Ghilardi – Der kleine Spielentwickler Supergiant Games präsentiert mit dem audio-visuellen Meisterwerk «Transistor» einen mehr als würdigen Nachfolger zu «Bastion»
Die betörende Megacity Cloudbank bricht in sich zusammen; ein bösartiges Computerprogramm, der «Process», frisst die Stadt von innen auf. Mitten im Chaos steht die Sängerin Red, deren Stimme bei einem Anschlag auf ihr Leben gestohlen worden ist. Zugleich ist ihr jedoch die stärkste Waffe der Attentäter in die Hände gefallen: der Transistor. Begleitet von der Stimme ihres ermordeten Geliebten, dessen Bewusstsein im Transistor weiterlebt, begibt sie sich in den Kampf gegen den Process, und auf die Suche nach den Verantwortlichen, der geheimen Gruppe der Camerata.
«Transistor» ist ein taktisches Actionspiel in isometrischer Perspektive, mit einem starken Fokus auf audio-visuelle Ästhetik und Erzählung. Wer das gefeierte Vorgängerspiel «Bastion» (2011) kennt, dem wird das bekannt vorkommen. Doch während «Bastion» mit charmanter Simplizität punktete, setzt «Transistor» eher auf Komplexität, welche sich nicht nur im Spieldesign, sondern auch in der Ästhetik und der Handlung ausdrückt. Im Kern ist das Spiel eine Reihe von Kämpfen, die der Spieler mit einer stetig wachsenden Zahl von Funktionen des Transistors bestreiten muss. Jede Funktion kann mit jeder anderen Funktion modifiziert werden, um eine breite Anzahl von verschiedenen Effekten zu erzielen. Es ist ein unwahrscheinlich flexibles System, das hunderte von völlig individuellen Kombinationen erlaubt, die sich drastisch auf das Spiel auswirken können. Um diese optimal auszunutzen, lässt sich das hektische Treiben jederzeit nach Lust oder Lage mit dem Planungsmodus unterbrechen, in welchem sich die nächsten Aktionen im Detail und mit Fingerspitzengefühl ausplanen lassen. Die immense Fülle an Optionen kann zu Beginn überwältigen, doch bald entwickelt sich daraus ein spielerisches Experimentieren. Das Spiel ermuntert zu Kreativität, und es ist eine Freude, immer wieder unerwartete und belohnende Resultate zu sehen.
Kreativität zieht sich durch das ganze Spiel, und zwar nicht nur als integraler Bestandteil des Spieldesigns, sondern auch als Thema. Cloudbank selbst, mit ihrer gewagten Durchmischung von kühler, künstlicher Cyberpunk-Ästhetik und der organischen Wärme und Verspieltheit des Jugendstils, wirft subtil Fragen zu Kunst und Künstlichkeit auf. Zerstört der Process ein Kunstwerk, oder entblösst er eine blosse Fassade? Ist Reds Welt nur eine Oberfläche, die durch den Process weggeschält wird? Wer genau hinsieht, der erkennt hinter den organischen Jugendstil-Ornamenten die kalten Muster von Schaltkreisen. Natürlich darf hier nicht vergessen werden, dass die Protagonistin selbst eine Künstlerin ist. Der Transistor – gleichzeitig Ursache für den Verlust ihrer Stimme und Ersatz für dieselbe – dient als Metapher für den Verlust wie auch für die Macht der kreativen Schöpfung, und der melancholische wie kraftvolle Soundtrack des Spiels lässt einen das kaum vergessen.
«Transistor» ist ein Spiel, das dazu einlädt, es mehr als einmal durchzuspielen. Dies verlangt nicht nur die zum Teil schwierig zu durchschauende Story und das tiefe Spielsystem, sondern die blosse Schönheit und überbordende Kreativität des gesamten Spiels. Die atemberaubende Musik, komponiert und umgesetzt von Darren Korb und mit der Stimme von Ashley Barrett, zieht den Spieler mit Trip-Hop-Beats und romantischen Lyrics in den Bann von Cloudbank. Zusammen mit der visuellen Gestaltung von Jen Zee, welcher sich stark von Jugendstil-Künstlern wie Gustav Klimt inspirieren liess, erschafft «Transistor» eine berauschende Erfahrung, die keiner andern gleicht.
Supergiant Games ist mit ihrem kleinen Spiel ein seltenes Kunststück gelungen: Eine mühelos anmutende Verschmelzung des Herzbluts von Indie-Entwicklern, dem künstlerischen Selbstbewusstsein von «Arthouse-Games» und den Unterhaltungserwartungen des Mainstreams. «Transistor» sitzt wie schon «Bastion» zuvor bequem zwischen den Stühlen, und wird hoffentlich mehr Spiele dazu ermutigen, sich dazuzusetzen. Einem so verführerischen Spiel wie diesem sollte das mit Leichtigkeit gelingen.
«Transistor» ist als Download für 18,99€ auf Steam (PC) und für 22,90 CHF auf dem Sony Entertainment Network (PS4) verfügbar.
Publiziert: ensuite Nr. 140, August 2014





