Theater Zinnober / o.N. aus Berlin

Von

|

Drucken Drucken

Von Robert Salzer – Ein frei­es Theater seit 1979: «Es war ein­mal ein Mann, der hat­te einen Esel, wel­cher schon lan­ge Jahre unver­dros­sen die Säcke in die Mühle getra­gen hat­te. Nun aber gin­gen die Kräfte des Esels zu Ende, so daß er zur Arbeit nicht mehr taug­te…» So beginnt die Geschichte der «Bremer Stadtmusikanten», wohl einem der bekann­te­sten Märchen der Brüder Grimm, das auch heu­te noch, fast 200 Jahre nach des­sen Erscheinen, den Zuschauern und Zuhörern Freude berei­tet.

Um die Phantasie von Kindern anzu­re­gen braucht es oft nicht viel. Eine Leinwand, Schattenfiguren aus Pappkarton, eini­ge Kerzen und drei Spieler: So sieht die Anordnung der Stadtmusikanten in der Version von Uta Schulz, Günther Lindner und Iduna Hegen, drei­en Mitgliedern des Theater Zinnobers, aus. Mit ein­fa­chen Musikinstrumenten und viel Gesang wird das Märchen unter­malt.

Das Theater Zinnober wur­de 1979/1980 von Puppen- und Schauspielern gegrün­det. Es war das erste und lan­ge Zeit ein­zi­ge freie Theater der DDR. Dass die Aufführung vor 25 Jahren in Berlin Premiere hat­te, kann ein Kind nicht ver­ste­hen. Muss es auch nicht, denn die Freude an der Geschichte vom Esel, dem Hund, der Katze und dem Hahn, die in ihrer Funktion nicht mehr gebraucht wer­den und nun Stadtmusikanten wer­den wol­len, über­wiegt. Die «Bremer Stadtmusikanten» sind eines der ersten Stücke im deutsch­spra­chi­gen Raum, in wel­chem die Puppenspieler sich nicht mehr hin­ter Wänden und im Dunkeln hin­ter den Figuren ver­stecken, son­dern offen zei­gen. Was heu­te eigent­lich gang und gäbe ist – der Spieler nimmt als Erzähler, Spielender oder Figur der Geschichte selbst eine Rolle auf der Bühne ein – hat­te damals sei­ne Wurzeln. Erst haben das Stück die eige­nen Kinder der Spieler gese­hen und nun sind gar schon die Enkelkinder an der Reihe, was eigent­lich so nicht gedacht gewe­sen sei.

Im Interview sagt die Gruppe, dass sich in die­ser lan­gen Zeit nicht viel ver­än­dert habe. Die Geschichte sei die glei­che geblie­ben, die Figuren immer noch aus der alten DDR-Pappe. Sie stau­nen heu­te wie damals, wie sich die Kinder im Zeitalter von Elektronik und Fernseher auf ein­fa­che Dinge kon­zen­trie­ren, auf die redu­zier­te Ästhetik des Stücks ein­las­sen kön­nen. Die Spieler sei­en mitt­ler­wei­le etwas älter und fal­ti­ger gewor­den. Wichtig ist den drei­en, dass sie das Stück nicht durch­gän­gig spie­len, son­dern sel­ten, damit es auch für sie frisch bleibt.

Ganz bestimmt ver­än­dert hat sich die Interpretation des Stücks. In der DDR-Zeit hat­te es auch eine poli­ti­sche Komponente. Wenn Tiere sich auf­ma­chen nach Bremen zu gehen – das kann auch anders ver­stan­den wer­den. Eine gewis­se Sprengkraft habe das Stück schon gehabt, aber die DDR-Obrigkeit konn­te ein Kindermärchen nicht gut ver­bie­ten. Wenn Uta Schulz jeweils sag­te: «Da mach­ten sich die drei Landesflüchtigen auf…» habe es im Osten jedes Mal einen Lacher gege­ben. «Landesflüchtige» war damals ein Reizwort, ist aber auch ori­gi­nal Grimmsche Sprache. Diese poli­ti­sche Komponente war so von den Künstlern gar nicht inten­diert. Man woll­te ein­fach nur die­ses schö­ne Stück machen, mit Tieren und Räubern.

Im Abendprogramm der Gruppe war im Zürcher Theater Stadelhofen das Kunstmärchen «Zar Saltan» von Puschkin zu sehen. Diesmal steht Uta Schulz allei­ne auf der Bühne. Erst ist sie nur Erzählerin, beginnt die Geschichte des Zaren Saltan, sei­ner Gattin und deren Sohn zu berich­ten. Plötzlich aber bricht sie aus ins Spiel, ist mal Zar Saltan, dann des­sen Ehefrau, Sohn Gwidon und des­sen Schwanenprinzessin. Rasch wech­selt sie zwi­schen den Charakteren, zwi­schen Kopfbedeckungen, Kostümen, Stimmfärbungen und singt, spielt, erzählt oder tanzt, dass es eine wah­re Freude ist. Puschkins Märchen erzählt eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über einen Jungen, der Respekt von sei­nem abwe­sen­den Vater erlan­gen will, bis er die­sen nicht mehr braucht, weil er sei­nen eige­nen Weg gefun­den hat und geht. Aber auch Magie, Neid und Liebe kom­men bei Puschkin nicht zu kurz. Uta Schulz schafft es auf ein­drück­li­che Weise, all dies in einer Person zu bün­deln. Mit traum­wand­le­ri­scher Sicherheit navi­giert sie durch den in Versform abge­fass­ten Text von 1840 – dabei hel­fen ihr Holzorgelpfeifen, die sie mal zu Schiffshörnern wan­delt, mal als Teile der Stadt in Szene setzt. Von die­sen ein­fach­sten Mitteln ver­zau­bert, lässt man sich bereit­wil­lig in eine ande­re Welt ent­füh­ren, in der es noch Zaren gibt und spre­chen­de Schwäne…

Das Theater Zinnober zeigt sich an die­sem Nachmittags- und Abendprogramm von zwei völ­lig unter­schied­li­chen Seiten und genau die­se Vielfalt zeich­net die Truppe aus. Die Freude am Geschichtenerzählen, sei es mit Figuren- oder Sprechtheater, führt dazu, dass die Truppe auch 30 Jahre nach ihrer Gründung jung und alt begei­stert.

Nächste Spieltermine:
16. bis 20. Dezember: «Die Weihnachtsgans Auguste» (der Kinderbuchklassiker als far­bi­ges Schattentheater für Kinder ab 6) und «Marley» (ein Weihnachtslied in Prosa von Charles Dickens, Abendprogramm)
Infos: www.theater-stadelhofen.ch

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2009

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo