Theater Marie on tour

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Von Fabienne Naegeli – Das Theater Marie begibt sich auf eine Zeitreise durch die Filmgeschichte und flieht mit Harry Widmer Junior nach Mexiko.

Auf den Spuren des Kinos
Erinnern Sie sich an «Die Dällebach-Macher», «Samichlaus. Das Musical», «Format:Radio» oder «Von der schlei­chen­den Vanillisierung der Gesellschaft»? Diese musi­ka­li­schen Dokutheaterstücke wur­den von einem Team um Regisseur Olivier Bachmann pro­du­ziert, von dem ein Teil ver­gan­ge­nen Herbst die Leitung des Theater Maries über­nom­men hat. Um Erinnerungen geht es auch in ihrem Theaterkassenschlager «Kino Marie», mit dem sie in ihre erste Saison gestar­tet sind und nun durch die Schweiz tou­ren. Frisch ein­ge­zo­gen ins ehe­ma­li­ge Kino Central in Suhr hat sich das Theater Marie an die Erforschung der Geschichten und Begebenheiten rund um sei­nen Sitz gemacht. Von den 1950er Jahren bis im 2000 wur­den dort näm­lich Filme gezeigt. Das Theater Marie hat Interviews mit Zeitzeugen geführt wie den Kinobetreibern der 50er und 60er Jahren, einem Kartenabreißer und Zuschauern, die in dem Raum noch Filme gese­hen haben. Doch wie vie­le die­ser Schweizer Vorortprogrammkinos – wei­ter zu nen­nen wären da z.B. das heu­ti­ge Theater Roxy in Birsfelden oder das Theater am Bahnhof in Reinach – ereil­te auch das Central in Suhr irgend­wann das Schicksal der Umnutzung: Der Film kam ihm abhan­den und das Theater fing an dar­in zu spie­len. In der 5‑teiligen Revue «Kino Marie» unter­zieht das Theater Marie die Klassiker der Film- und Fernsehgeschichte von 1950 bis 1990 wie Sergio Leones Italo-Western, Oswalt Kolles Sexfilme oder «La nuit amé­ri­cai­ne» von François Truffaut einem Medienwechsel. Dabei dür­fen natür­lich die per­sön­li­chen Geschichten und Erinnerungen der Theater Marie-SchauspielerInnen sowie ihr Umgang mit dem Medium Film nicht feh­len, sei dies hin­ter der Kamera wie Nadine Schwitter oder davor wie Manuel Löwensberg als Radrennfahrer Hugo Koblet, den wie­der­um Diego Valsecchi vor eini­ger Zeit auf der Bühne des Berner Stadttheaters ver­kör­pert hat. Und so stellt sich die Frage: Ist das Theater das bes­ser Kino, das Kino der Zukunft?

Auswandern und Zurückkehren
«Lasst mich erzäh­len, wie mein Fahrradmechaniker Harry Widmer Junior ein ziem­lich guter Mensch wur­de», beginnt der Erzähler in Alex Capus Roman «Glaubst du, dass es Liebe war?» das sati­ri­sche Porträt über den Filou Harry und sei­ne Heimat, irgend­ei­ne Kleinstadt im Schweizer Mittelland. Dunkle Locken, eis­blaue Augen, rau­chend oder Kaugummi kau­end, inter­es­siert an den hüb­schen Dinge des Lebens, ins­be­son­de­re an Frauen, für die er sein Geld aus dem Fenster wirft: das ist Harry Widmer Junior. Sich die Finger schmut­zig machen in der väter­li­chen Fahrradwerkstatt kommt für ihn nicht in Frage. Er will Chef wer­den. Mit bes­ser­wis­se­ri­schem Getue mobbt er sei­nen ver­wit­we­ten Vater aus des­sen Geschäft und eröff­net «Harry’s Crazy Bike-Corner». Wegen sei­nen Schulden bei den «Sauhunden», den mafiö­sen Geschäftsmännern des Örtchens, und weil er die hüb­sche Thailänderin Nancy geschwän­gert hat, flieht er nach Mexiko. Am Pazifischen Ozean trinkt er Bier, liegt in der Hängematte, spielt Billard und ver­leiht Surfbretter an Touristen aus Amerika. Die Erinnerungen an Nancy und das Kind las­sen ihn aber nicht los. So kehrt er nach über sechs Jahren wie­der zurück in sei­ne Heimat. Doch im Schweizer Städtchen ist nur schein­bar alles unver­än­dert. Nancy hat ihr eige­nes Restaurant in der ehe­ma­li­gen Fahrradwerkstatt eröff­net und die «Sauhunde» wuss­ten die gan­ze Zeit über wo Harry steckt, wes­halb auch kei­ner so rich­tig auf ihn gewar­tet hat. Das Theater Marie adap­tier­te den 2003 erschie­ne­nen Roman von Alex Capus nun erst­mals für die Bühne. In «Harry Widmer Junior», so der Titel des Stücks, berich­tet nicht nur ein Erzähler, son­dern gleich vier Schauspielerinnen trei­ben Harry durch sei­ne Biografie. In wech­seln­den Rollen ergrei­fen sie Partei für die diver­sen Nebenfiguren und ermög­li­chen dem Publikum ver­schie­de­ne Perspektiven auf das Leben des Lügners, Betrügers und Kleinstadt-Casanovas. Wenn sie Harry mal zu Wort kom­men las­sen, spricht er von sei­nen Erfolgen. Mit «Harry Widmer Junior» erzählt das Theater Marie die mit­tel­län­di­sche Geschichte eines char­meu­r­haf­ten Lebemannes, der von der Liebe zu einer Frau heim­ge­trie­ben wird, und fragt: Wer ent­schei­det auf unse­rer Reise durchs Leben – wir oder das Leben selbst?

Weitere Informationen fin­den Sie unter
www.theatermarie.ch

Foto: zVg.
ensuite, November 2013

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