The Return of the Shit-Detector: Billige Tricks

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(Constantin Seibt) –

Anfang Dezember, in einem Artikel zu Stil, wur­de Ernest Hemingway mit dem Satz zitiert: «The most essen­ti­al gift for a good wri­ter is a built-in, shock-pro­of shit-detec­tor.»

Doch Hemingway hat­te leicht reden. Er sass in Paris, mit einem Drink und einer Schreibmaschine. Er arbei­te­te allein.

Den eige­nen Kitsch zu strei­chen ist schwie­rig genug. Aber rich­tig hart wird es, wenn die Stillosigkeit im System steckt: Wenn Unfug nicht ein Unfall, son­dern ganz gezielt das Produkt ist.

Professionell her­ge­stell­ter Bullshit ist kei­ne Exklusivität von Boulevard-Medien. Sondern auch in seriö­sen Blättern gefrag­te Ware. Weil man ihn für popu­lär hält. Eine gan­ze Schule von Redaktoren hält Leser (nicht völ­lig zu Unrecht) für Fliegen, die vom Geruch des Shits ange­zo­gen wer­den. Folglich gibt es eine gan­ze Produktepalette, die sei­ner Erzeugung dient.

Hier eine klei­ne, unvoll­stän­di­ge Liste von Scheissgenres. Plus ein paar Tipps für Gegengift.

1. Trends – der klas­si­sche News-Ersatzstoff

Für Politik- oder Wirtschaftsjournalisten ist die gröss­te Gefahr die Flut von Neuigkeiten. Man wird über­spült und ver­liert die Übersicht.

Dagegen herrscht in ande­ren Teilen der Presse chro­nisch Dürre. Das täg­li­che Problem der unak­tu­el­len Presse – in Illustrierten, Fachmagazinen, Gesellschaftsressorts – ist die Erzeugung eines Gefühls von Dringlichkeit und Aktualität. Die ein­fach­ste Lösung ist der klas­si­sche News-Ersatzstoff: Trends.

Trends sind ver­füh­re­risch leicht her­stell­bar: Ein Experte und drei Beispiele genü­gen als Beleg. (Im schlimm­sten Fall auch nur ein ein­zi­ger beleg­ter Fall. So in der legen­dä­ren «Facts»-Titelgeschichte «Sex am Mittag».) Kein Wunder, spült eine Welle von Trends durch die Zeitungen: der Abschied vom Materialismus, die neue Jungfräulichkeit, die Rückkehr der Bartbinde.

Das Rezept dage­gen: Ihr Problem als Journalist ist, dass Sie Ihren Artikel der Redaktion ver­kau­fen müs­sen. Und falls die­se auf Trends steht, kön­nen Sie die­ses Verkaufargument nicht völ­lig igno­rie­ren. Besonders, wenn Sie über ein absei­ti­ges Thema schrei­ben wol­len: etwa die Wassergeburt, Heideggers Philosophie oder Ping-Pong. Solche Themen las­sen sich fast nur mit einem hin­kon­stru­ier­ten Trend ver­kau­fen, dass «immer mehr» Leute (Schweizer, Frauen, Jugendliche) sich dafür inter­es­sie­ren. Wo doch eigent­lich nur Sie begei­stert sind.

Was tun? Tun Sie’s. Geben Sie der Redaktion im Verkaufsgespräch den Trend, den sie will. Aber glau­ben Sie kei­nen Augenblick selbst dar­an. Liefern Sie im Artikel den Trend dann, wie er es ver­dient: kurz im Lead und in zwei, drei dür­ren Sätzen. Verschwenden Sie nicht Zeit und Platz mit lan­gen Pseudo-Belegen. Sondern schrei­ben Sie über das Thema, das Sie fas­zi­niert: Heidegger oder Ping-Pong.

PS: Ist das Betrug am Leser? Nein, wenn Sie das Thema hin­reisst und Sie etwas zu sagen haben. Die zwei, drei Zeilen Trend-Schwurbel wer­den über­le­sen. Sie sind hier qua­si nur die Eintrittskarte: So wie man als Kind einen Rosenkohl essen muss­te, bevor man sich über das Würstchen her­ma­chen konn­te.

2. Die Politiker-Melkmaschine

Kaum pas­siert etwas, wer­fen Sie die gros­se Melkmaschine an. Und tele­fo­nie­ren wie der Teufel Politikern  hin­ter­her. (Oder Experten.) Diese haben, soeben infor­miert, so gut wie kei­ne ande­re Chance, als eine Dummheit oder eine Banalität zu äus­sern. Aus den kon­fu­sen Antworten basteln Sie dann als seriö­ser Journalist einen Nebenartikel. Oder als weni­ger seriö­ser eine Kontroverse.

Das Rezept dage­gen: Zugegeben, Telefonterror macht Spass – wie jeder Unfug. Nur die­ser Scherz ist nicht gut: Er macht die Politiker nur klei­ner, düm­mer, aggres­si­ver. Erst in der Wahrnehmung, dann in der Wirklichkeit. Geben Sie den Leuten eine Chance, geben Sie Ihnen Zeit. Und schrei­ben Sie wann immer mög­lich mit etwas Abstand von Ereignissen. Und dann die gan­ze Story und nicht das Puzzleteil. Coolness schlägt Geschwindigkeit – immer. Erstens wird der Journalismus dadurch ein gan­zes Stück bes­ser. (Das Argument, war­um, fin­den Sie hier; das Rezept, damit Karriere zu machen, hier.) Und zwei­tens wird in die­sem Fall sogar die Welt ein wenig bes­ser. Weil ein paar Dummheiten weni­ger gesagt wer­den.

3. Experten als Marionetten

Im Journalismus Objektivität zu behaup­ten, ist ziem­lich lächer­lich. Das schon des­halb, weil die Auswahl der Gesprächspartner unver­meid­li­cher­wei­se einen Dreh in jede Geschichte bringt. Man kann sich um Wahrhaftigkeit bemü­hen, aber auch wenn man mit allen spricht, bekommt der Artikel spä­te­stens bei der Auswahl der Zitate Schlagseite. Man ent­kommt nicht sei­ner Verantwortung.

Am Simpelsten kann man einen gewoll­ten Dreh in einen Artikel brin­gen, wenn man Experten anruft: Denn deren Positionen sind bekannt. Das macht es ein­fach, mit ihnen Marionetten zu spie­len: Sie kom­men­tie­ren, was man will.

Der Experten-Dreh lässt sich bis zur Absurdität stei­gern. Etwa in einem frü­he­ren Artikel einer Sonntagszeitung mit dem Titel «Führt Bundesrätin Dreifuss ihr Departement wie eine Sekte?». Der Trick war hier, dass der ein­zi­ge befrag­te Experte ein Sekten-Experte war. Und natür­lich aus­schliess­lich über Sekten rede­te. Und auf jede Beobachtung des Journalisten über die Politikerin Dreifuss etwas über Sekten sag­te.

Das Rezept dage­gen: Den Dreh wird man zwar nicht los, aber es gibt eine Faustregel für das Interview mit Experten: Frage stets nur das, von dem du die Antwort nicht kennst. Der Hauptgrund dafür ist schie­rer Egoismus: Es macht einen blöd, immer das Erwartete zu hören. Und Blödheit ist in die­sem Beruf auf lan­ge Sicht geschäfts­schä­di­gend.

4. Umfragen? Unfragen.

Das Beste an Umfragen ist: Sie garan­tie­ren der Chefredaktion, die sie in Auftrag gibt, eine plan­ba­re Schlagzeile. Egal, ob es um die belieb­te­sten Politiker geht oder Haltung zu Banken, Religion, Sex – irgend­et­was Verwertbares wird dabei her­aus­kom­men.

Das viert­schlech­te­ste an Umfragen ist: Je seriö­ser sie sind, desto teu­rer sind sie. Sie sind der teu­er­ste Ersatz für eine jour­na­li­sti­sche Idee, der sich den­ken lässt.

Das dritt­schlech­te­ste an Umfragen ist: Je seriö­ser sie sind, desto über­ra­schungs­frei­er sind sie. Fast immer sagen die Leute, was man denkt, dass sie den­ken. Jetzt ein­fach in Prozentzahlen.

Das zweit­schlech­te­ste an Umfragen ist: Sie lie­fern zwar eine garan­tiert attrak­ti­ve Tortengrafik, aber einen garan­tiert unat­trak­ti­ven Text. Umfrage-Artikel sind fast unschreib­bar. Die ein­zi­ge Variante sind Punkt-für-Punkt-Aufzählungen des­sen, was jeder bereits auf der Grafik sieht. Ausser man fol­tert die Daten so lan­ge, bis eine Absurdität her­aus­kommt.

Das schlimm­ste an Umfragen ist: Sie sind der Kompass für Mittelmässige. Es gibt nur zwei Motive dafür: Ideenlosigkeit und Angst. Marktforschungsstudien etwa die­nen pri­mär als Versicherung der Karriere des Managements, falls das Produkt floppt. Dabei tun Umfragen zuver­läs­sig nur eins: Ideen töten. Alle schlech­ten Ideen. Und alle gross­ar­ti­gen. Das des­halb, weil ihr Resultat stets das Bekannte sein wird. Der Autopionier Henry Ford sag­te das so: «Wenn ich die Leute gefragt hät­te, was sie wol­len, hät­ten sie gesagt: schnel­le­re Pferde.»

Das Rezept dage­gen: Lassen Sie die Finger davon. Basieren Sie nie einen Kommentar oder einen Artikel auf einer Umfrage. Zitieren Sie sie auch nie als Beweis irgend­ei­ner These, auch wenn die Versuchung nahe liegt. Erwähnen Sie sie nie. Und wenn, höch­stens in einem Nebensatz. Und als Verleger: Feuern Sie Chefredaktoren, die auf Umfragen set­zen. Denn die­se zei­gen dadurch, dass sie ihrer Redaktion kei­ne regel­mäs­si­gen Ideen zutrau­en. Und dass sie selbst die kosten­lo­se, ele­gan­te­re Variante der Umfrage ver­lernt haben, das Kerngeschäft ihres Berufs: das Fragen.

Warum nicht?

Die Frage bleibt: Warum soll­te man kei­ne zu bil­li­gen Tricks anwen­den? Umfragen und Rankings sind bequem. Der Politiker-Telefonterror und das Experten-Marionettenspiel geben einem ein Stück fin­ste­re Macht. Und die Leser schlucken erstaun­lich viel. Wer ein wenig geschickt ist, fliegt auch nicht auf.

Der Grund ist weni­ger die jour­na­li­sti­sche Ethik. (Wer hat schon Zeit, die Argumentationen des Presserats zu lesen?) Sondern dass die bil­li­gen Tricks einem die Wahrnehmung auto­ma­ti­sie­ren. Und die­se ist das ein­zi­ge, was man in die­sem Job als Argument hat. Blindheit ist der Tod.

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Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

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