Tartuffe

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Von Belinda Meier – Mit der Premiere von «Tartuffe» vom 16. September wur­de in den Vidmarhallen die neue Theatersaison 2010/11 eröff­net. Originell, aktio­nell und pro­fes­sio­nell prä­sen­tiert sich die Inszenierung von Regisseur Erich Sidler.

Die Bühne ist dun­kel, fast unbe­leuch­tet. Man hört lau­te, per­kus­si­ons­la­sti­ge Musik, und sieht Schatten wild tan­zen­der Personen. Lediglich ein männ­li­cher Personenschatten steht ver­gleichs­wei­se ruhig im Vordergrund. Ein Lichtstrahl hebt Teile sei­nes Körpers her­vor, der sich gemäch­lich zur Musik bewegt. Mittels Videoprojektion wird ein Gesicht auf sein weis­ses Hemd gewor­fen. So prä­sen­tiert sich die erste Szene von «Tartuffe». Was man erst spä­ter erfährt: Der uner­kann­te Männerschatten im Vordergrund war Tartuffe. Die musi­ka­li­sche Einspielung als sol­ches ist ein Kunstgriff, der im Laufe des Stücks eine Fortsetzung fin­den wird. Er unter­streicht die dia­bo­li­sche Seite Tartuffes, des Heuchlers und Betrügers. Immer wie­der unter­bre­chen die­se Einspielungen die Stückentwicklung, fun­gie­ren dabei als eigen­stän­di­ge, vom Stück los­ge­lö­ste Szenen, die ihrer­seits wie­der­um eine eige­ne Entwicklung durch­lau­fen. Tartuffe beweist so etwa mit jeder neu­en Einspielung mehr Tanzgeist. Das Spiel mit den Videoprojektionen wird zudem hek­ti­scher. Und ganz zen­tral: Das anfäng­lich auf sein Hemd pro­ji­zier­te Gesicht wird grös­ser und grös­ser. Auf kunst­vol­le Art und Weise zei­gen damit allein die­se musi­ka­li­schen Intermezzi, wor­um es geht: um Tartuffe, den Blender mit zwei Gesichtern.

Inhalt In Molières «Tartuffe», dem meist­ge­spiel­ten Werk des fran­zö­si­schen Theaters, ist der gleich­na­mi­ge Protagonist ein ver­ächt­li­cher Betrüger und Verbrecher. Tartuffe schleicht sich mit heuch­le­ri­scher Frömmigkeit in die recht­schaf­fe­ne Bürgersfamilie von Orgon ein. Sein Ziel: Orgon mora­lisch und wirt­schaft­lich zu rui­nie­ren. Damit ihm das gelingt, bedarf es der kalt­blü­ti­gen Täuschung. Orgon, ein ehr­li­cher Mann und Familienvater, hat einen fata­len Hang zur Frömmigkeit. Er ist leicht­gläu­big, und hält Tartuffe für einen wah­ren Heiligen. Seitdem er ihn näm­lich des Öfteren in der Kirche in demü­ti­ger Haltung beob­ach­tet hat, und ihn unter die­sem Eindruck in sei­nem Haus auf­nahm, ist er ihm voll­kom­men ver­fal­len. Dem aber nicht genug: Er möch­te Tartuffe in der Familie ver­wur­zeln und beab­sich­tigt des­halb, ihn mit sei­ner Tochter Mariane zu ver­hei­ra­ten – gegen deren Willen. Mit Ausnahme der Mutter Orgons haben alle übri­gen Familienmitglieder Tartuffe als Betrüger durch­schaut. Sie wol­len sei­nen Machenschaften ein Ende berei­ten. Gelingen kann das jedoch nur, wenn auch Orgon das wah­re Gesicht von Tartuffe erkennt. Dieser nimmt Tartuffe aber vehe­ment in Schutz, mögen die Verdächtigungen noch so gra­vie­rend sein. Mehr noch: Orgon ist Tartuffe so sehr ver­fal­len, dass er sei­nen Sohn Damis sogar aus dem Haus jagt, weil die­ser Tartuffe als Lügner bezeich­net. Nicht ein­mal der Suizidversuch sei­ner Tochter lässt Orgon zur Vernunft kom­men. Ein hand­fe­ster Beweis muss her. Mit List arran­giert Orgons Gattin Elmire ein nur schein­bar gehei­mes Treffen mit Tartuffe, dem Orgon aus einem siche­ren Versteck bei­wohnt. Um den Betrüger zu ent­lar­ven, geht Elmire auf das anzüg­li­che Verhalten Tartuffes ein, und lockt ihn so aus des­sen Tarnung. Tartuffe kann ihren Reizen nicht wider­ste­hen, und fällt schliess­lich über sie her. Orgon ist schockiert über die Täuschung, wel­cher er zum Opfer gefal­len ist. Der Heuchler ist ent­larvt, und zeigt nun sein wah­res Gesicht. Die Probleme sind damit aber nicht vom Tisch. Jetzt droht der Familie erst recht der Ruin. In sei­ner Verblendung hat Orgon Tartuffe näm­lich sein Haus und Vermögen über­schrie­ben. Diesen Anspruch will Tartuffe nun gel­tend machen, und er ver­an­lasst die Hausräumung. Soweit kommt es glück­li­cher­wei­se nicht: Er fliegt als lan­ge gesuch­ter Verbrecher auf, und wird von der Polizei ver­haf­tet. Damit tritt der gros­se Umschwung doch noch ein, der das glück­li­che Ende ermög­licht.

Die kri­ti­sier­te Scheinheiligkeit Die in Versen abge­fass­te Charakterkomödie «Tartuffe ou L’Imposteur» ist 1664 ent­stan­den. Molières dar­in geäus­ser­te Kritik an jenen Frommen, die die Macht der Religion zu ihren Gunsten aus­nut­zen, hat­te damals zur Folge, dass die ersten bei­den Stückfassungen einem Aufführungsverbot unter­wor­fen wur­den. Erst die drit­te, heu­te geläu­fi­ge Version ent­kam der Zensur, obschon auch in die­ser die Kritik Molières noch immer erkenn­bar her­vor­tritt.

Die Inszenierung Die gestal­te­ri­sche Umsetzung des Stücks eben­so wie die schau­spie­le­ri­schen Leistungen sind bemer­kens­wert. Stefano Wenk gelingt es aus­ge­zeich­net, in der Rolle des Tartuffe nicht nur einen Betrüger und Heuchler dar­zu­stel­len, son­dern auch Tartuffes fin­ste­rer und ver­bre­che­ri­scher Seite Ausdruck zu ver­lei­hen. Dieses gros­se Missverhältnis zwi­schen Tartuffes Worten und Taten ver­mag er tref­fend, teils auch mit dem not­wen­di­gen Augenzwinkern, zu ver­mit­teln. Neben Ernst C. Sigrist, der die Rolle des from­men und geblen­de­ten Familienvaters Orgon ernst und über­zeu­gend dar­stellt, bringt Mona Kloos ali­as Mariane viel Dynamik ins Stück, und ruft zugleich emo­tio­na­le Betroffenheit her­vor. Ihr nai­ves und impul­si­ves Wesen erhei­tert die Zuschauer, ver­blüfft sie, lässt sie Mitleid ver­spü­ren um sie kurz­um wie­der zum Lachen zu brin­gen. Nicht uner­wähnt blei­ben darf Dorine, die wei­se Hausangestellte mit dem kla­ren Durchblick. Sie wird von Diego Valsecchi mit viel Leidenschaft und schau­spie­le­ri­schem Können ver­kör­pert. Er, der als Dorine star­ke Präsenz mar­kiert und sei­ner Rolle viel Ausdruck ver­leiht, schafft es spie­lend, das Publikum für sich ein­zu­neh­men.

Erich Sidlers Inszenierung von «Tartuffe» ist aber nicht nur wegen den schau­spie­le­ri­schen Höchstleistungen ein Erfolg. Die Originalität der künst­le­ri­schen Gestaltung beein­druckt nicht min­der. Neben den bereits erwähn­ten musi­ka­li­schen Intermezzi ist es der krö­nen­de Schluss, der nicht nur ein wei­te­res krea­ti­ves Stilelement dar­stellt, son­dern – und vor allem – für das Ende von Molières Komödie wie geschaf­fen erscheint: Der gros­se Umschwung am Ende des Stücks, bei dem Tartuffe als Verbrecher ent­larvt und von der Polizei abge­führt wird, prä­sen­tiert sich als schwarz­weis­se Stummfilm-Komödie par excel­lence. Genial!

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2010

 

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