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Von Karl Schüpbach – Bis zum Überdruss habe ich, lie­be Leserin, lie­ber Leser, in unse­rem Kulturmagazin ensuite die ver­hee­ren­de Tatsache beklagt, dass die Übermacht des Geldes die Kultur und die Kulturschaffenden immer wie­der in eine Statistenrolle zwingt. Neuesten Anlass zu har­scher Kritik bie­ten die Vorgaben, wel­che die Regionalkonferenz Bern Mittelland (RK) in die Konsultation schickt. Sie beinhal­ten die not­wen­di­ge Neugestaltung von Subventionsverträgen mit vier gros­sen kul­tu­rel­len Institutionen der Stadt Bern: Zentrum Paul Klee, Kunstmuseum Bern, Historisches Museum Bern und Musik-Theater Bern. Die letz­te Wortkreation ist der Arbeitstitel für die neu zu grün­den­de Gesellschaft, die aus der Zusammenlegung des Stadttheaters Bern (STB) und des Berner Symphonieorchesters (BSO) ent­ste­hen soll.

Ich bin inner­lich in kei­ner Weise bereit, im Sinne einer Vernehmlassung zu ein­zel­nen Punkten Stellung zu neh­men. Die Grundhaltung des Dokumentes ist der­mas­sen depri­mie­rend nega­tiv, und von der oben erwähn­ten Haltung geprägt: zuerst das Geld, dann noch­mals das Geld, und zu guter Letzt wie­der das Geld. Es geht um kul­tu­rel­le Institutionen, damit um Kunst und künst­le­ri­sche Qualität.

Ich gebe Ihnen ein erschrecken­des Beispiel, wie eine Qualitätsfrage abge­han­delt wird: «Um eine bes­se­re Qualität gegen­über heu­te zu ermög­li­chen, soll die Disposition, also die Planung der Produktionen, ver­bes­sert, und die Zahl der Vorführungen beim Musiktheater sowie der Konzerte redu­ziert wer­den. Diese Einsparungen, eben­so wie jene aus der Zusammenlegung von Leitung und Administration, sol­len der Qualitätssteigerung der Produktionen zugu­te kom­men». (Regionalkonferenz Bern Mittelland, Konsultation der Finanzträger vom 16. August bis 30. September 2010, Seite 11). Hier wird eine Gleichung her­ge­stellt, die eben­so falsch wie absurd ist: Sparmassnahme gleich Qualitätssteigerung. Die wohl ent­schei­den­de Frage bei der künf­ti­gen Zusammenarbeit von BSO und STB stellt sich völ­lig anders: wird es der neu­en Gesellschaft und deren Leitung end­lich gelin­gen, einen Spielplan zu gestal­ten, der den bau­li­chen Gegebenheiten des Hauses Rechnung trägt, und der gleich­zei­tig eine Abkehr von den Imitationsgelüsten mit Blick auf die Häuser in Zürich, Basel und Genf mit sich bringt? Abgesehen von einer auf die­se Weise tat­säch­lich rea­li­sier­ba­ren Qualitätssteigerung, wür­de dies auch die Rücksichtnahme auf die Gesundheit der Musikerinnen und Musiker des BSO bedeu­ten, die infol­ge fal­scher Werkwahl oft uner­träg­li­chen Lärmemissionen aus­ge­setzt sind. Ich erwäh­ne dies an die­ser Stelle, weil der Entscheid, dem Geld alles unter­zu­ord­nen, gleich­zei­tig eine Ignoranz gegen­über künst­le­ri­scher Arbeit bedeu­tet, weil die­se – ver­meint­lich! – kei­nen Profit abwirft. Diese Erkenntnis trifft alle Künstler in unse­rem Land – lei­der in Bern ganz beson­ders – sehr schmerz­lich.

Marcia funeb­re. Die Grundhaltung des zu beur­tei­len­den Dokumentes ist nicht geeig­net Optimismus zu ver­brei­ten, es ist eher Trauer ange­sagt. Mutlosigkeit, das Fehlen von Visionen und erschreckend kon­ser­va­ti­ve Vorstellungen lösen bei der Lektüre Frösteln aus. Aber nicht nur: die ste­ti­ge Wiederholung des Eingeständnisses, dass zu wenig Geld auf­ge­wen­det wird, weil es – so wird behaup­tet – nicht zur Verfügung steht, pro­vo­ziert auch Wut und Empörung. Man ver­spürt Lust zu schrei­en: «Tut end­lich etwas zur Geldbeschaffung, anstatt stets Verzichtplanungen zu for­dern!»

Zum Beispiel das Zentrum Paul Klee. Vor mehr als einem Jahr lud Herr Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern, zu einer Pressekonferenz, um das neue Kulturförderungsgesetz des Kantons vor­zu­stel­len. Ich fand die Wahl des Lokales für die­sen Anlass geni­al: das Creaviva im Zentrum Paul Klee. Nach sei­nen Worten woll­te er mit die­ser Wahl doku­men­tie­ren, dass Kulturförderung auch Kulturvermittlung beinhal­ten muss. In ihren Genuss sol­len schon unse­re Kleinsten kom­men, da sie, schon in jun­gen Jahren mit Kultur in Kontakt gebracht, spä­ter in der Lage sein wer­den wert­vol­le Impulse an unse­re Gesellschaft wei­ter­zu­ge­ben. Wer je die leuch­ten­den Augen von Kindern beob­ach­tet hat, die unter kun­di­ger Leitung im Creaviva ihrem Gestaltungsdrang nach­le­ben, kann die Gedankengänge von Herrn Pulver leicht nach­voll­zie­hen. Hier war etwas von einer Aufbruchstimmung zu spü­ren, die Herr Pulver noch nähr­te, indem er von dem Willen sprach, dass der Kanton Bern das Zentrum Paul Klee, das Kunstmuseum Bern und das Museum Ballenberg in die allei­ni­ge Obhut des Kantons über­füh­ren will, dies in Anerkennung der inter­na­tio­na­len Resonanz der drei genann­ten Institutionen. Was ist davon übrig geblie­ben? Mit Entsetzen liest man, dass der Kanton dem Zentrum weis­macht, nicht über die nöti­gen Mittel zu ver­fü­gen, um das Museum in sei­nen Bemühungen zu unter­stüt­zen, sei­ne Ausstrahlung in die gan­ze Welt zu pfle­gen und zu bewah­ren. Für die­se Haltung gibt es mei­ner Meinung nach nur eine Qualifikation: abso­lut destruk­tiv!

Zum Beispiel das Berner Symphonieorchester. Für mich per­sön­lich – als pen­sio­nier­tes, aber immer noch sehr enga­gier­tes Mitglied des BSO – beinhal­te­te die erwähn­te Pressekonferenz auch einen Wehmutstropfen. Die Geste der Anerkennung des Kantons bleibt dem Orchester vor­ent­hal­ten, weil das Orchester, so die Antwort auf mei­ne Nachfrage, nicht über eine inter­na­tio­na­le Ausstrahlung ver­fü­ge. Dazu gibt es zwei bit­te­re Feststellungen zu machen: seit Jahren liegt das BSO lohn­mäs­sig an zweit­letz­ter Stelle der Schweizerischen Berufsorchester! Weiter muss klar gestellt wer­den, dass das BSO seit 1964 (Berufung Paul Klecki zum Chefdirigenten) trotz­dem einen qua­li­ta­tiv sen­sa­tio­nel­len Aufschwung genom­men hat, der heu­te noch anhält, und der inter­na­tio­na­le Quervergleiche eben­so aus­hält wie das Tonhalle-Orchester oder das Orchestre de la Suisse Romande. Diese Behauptung ist nicht aus der Luft gegrif­fen: man muss die Beifallsstürme erlebt haben, die das BSO bei sei­nem Gastspiel in Salzburg (!) unter der Leitung von Andrej Boreyko aus­ge­löst hat. Es gibt nichts zu rüt­teln: die Tatsache, dass der Kanton das BSO nicht in die­sel­be Stufe wie das Zentrum Paul Klee, das Kunstmuseum und das Museum Ballenberg auf­nimmt, ist die Quittung für eine seit Jahrzehnten andau­ern­de Vernachlässigung des Orchesters durch die Subventionsbehörden. Es kommt noch schö­ner: die rie­si­gen Anstrengungen, wel­che die Musikerinnen und Musiker des Orchesters in Richtung Qualitätssteigerung unter­neh­men, sol­len im Verlaufe des näch­sten Subventionsvertrages durch den Abbau von 5 Stellen belohnt wer­den. Frau Brigitta Niederhauser, Journalistin «Der Bund», legt eine bun­te Zeitungsente ins Wasser, wenn sie behaup­tet, dass das BSO trotz der Kürzung immer noch das zweit­gröss­te Orchester der Schweiz blei­be, nach der Tonhalle. (vgl. «Der Bund», 17. August 2010, Seite 21). In Wahrheit liegt das BSO punk­to Planstellen – sie sind aus­schlag­ge­bend – hin­ter der Tonhalle, dem Orchestre de la Suisse Romande, dem Sinfonieorchester Basel, und dem Orchester der Oper Zürich zurück.

Es wider­strebt mir schwer, Künstler gegen Künstler aus­zu­spie­len, aber in die­sem Zusammenhang kom­me ich nicht dar­um her­um: in Anerkennung sei­ner Aufwärtstendenz, soll das Schauspielensemble auf­ge­stockt wer­den. Aufstockung bei einer Sparte eines Hauses, das ins­ge­samt tief in den roten Zahlen steckt, Abbau beim BSO, das mit gesun­den Finanzen in eine zu sanie­ren­de neue Organisation gezwun­gen wird?

Finale – con Melancholia. Wie lan­ge kann sich unse­re Gesellschaft ein aus­schliess­lich vom Geld dik­tier­tes Setzen von Prioritäten noch lei­sten? Was braucht es noch – nach dem Schuss vor den Bug durch die noch nicht aus­ge­stan­de­ne Finanzkrise – dass die Kultur einen ande­ren Stellenwert erhält? Auf Bern bezo­gen: wann end­lich setzt sich die Erkenntnis durch, dass hoch­qua­li­fi­zier­te kul­tu­rel­le Institutionen und ihre Künstlerinnen und Künstler, ihre ver­ant­wort­li­chen Betreiber, sorg­fäl­tig­ster und von Respekt getra­ge­ner Unterstützung bedür­fen?

Foto: Pierre Marti
ensuite, September 2010

 

 

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