Szene Hip-Hop Romantiker und Nostalgiker Tinguely dä Chnächt

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Von Ruth Kofmel – Ich woll­te es wirk­lich nicht tun. Wirklich, ich habe mir vor­ge­nom­men, ganz sicher nicht über ein Rap-Album zu schrei­ben. Abwechslung, nicht wahr. Ein brei­tes Spektrum und so wei­ter.

Aber jetzt gera­de ist da ein Lied fer­tig. Da geht es um den Tod eines gelieb­ten Menschen und alles ande­re im Leben. Tinguely dä Chnächt hat eine Art zu Rappen, die sich nach sei­ten­lan­gem Schreiben anhört. Nach gefüll­ten Festplatten, Servietten vol­ler Notizen, Worten, Sätzen. Nach vie­len, vie­len Zigaretten und dem einen oder ande­ren Bier dar­über hin­aus. Es ist ein lusti­ges Album, ein Schmunzel-Album, obwohl die Texte oft alles ande­re als hei­ter sind. Es ist ein Album, das mich dazu bringt, vor der Anlage zu sit­zen, und mich fünf­zehn Jahre zurück­ver­setzt zu füh­len: Zu Hause Mix-Tapes hören und bei Wu-Tang bei­spiels­wei­se auf die­se ange­nehm krib­beln­de Art schockiert sein; darf man sol­che der­ben Sachen der­mas­sen expli­zit beim Namen nen­nen, und darf man als Frau so etwas hören und sich dabei amü­sie­ren? Ich wür­de mei­nen, das kommt auf die Fähigkeit zur Ironie des Texters an, oder aber auf die iro­ni­sche Distanz der Zuhörerin. Also vor den Boxen sit­zen, grin­sen und sogar mal laut raus­la­chen! Und ich mei­ne, das braucht ja nun was, dass man das tut. Die Beats von Reezm sind geschmei­dig wie Melasse – zäh, stumpf glän­zend, herb und süss – oder mei­net­we­gen wie Hopfen in flüs­sig. Es hat wun­der­ba­re Wortgebilde auf die­sem Album, der Pressetext ver­wen­det den Begriff wort­ge­wal­tig, eine gros­se Ansage, aber, ja: wort­ge­wal­tig. Tinguely dä Chnächt spielt mit unse­rer Wahrnehmung. Das gan­ze Album lässt sich auf ver­schie­den­ste Arten hören – es ist mehr­schich­tig, weil er vir­tu­os mit der Mundart spielt, so dass sich immer neue Bedeutungen her­aus­hö­ren las­sen. Ein Vexierbild für die Ohren. Es ist auch ein wah­rer Hoden-Bau. Ein typi­sches Jungs-Album; und dabei hört man sie Lachkrämpfe unter­drücken. Ich ver­ste­he zwar nicht alles; er schlurft beim Sprechen, sanft zischeln­des Lispeln dazu, und das auch noch auf Züri-Tüütsch. Aber es klingt toll. Ein paar Ungeliebte gibt es auch, die sind mir dann zu sehr Rap um des Raps wil­len. Es hat auch sonst den einen oder ande­ren Schönheitsfehler, die­ses Album. Manchmal ist da gar holp­rig geschnit­ten und über­blen­det, aber die­se Unvollkommenheit trägt auch wie­der zum Charme bei. Wie er sagt: Die Dinge müs­sen ein­fach getan wer­den, so wie sie gera­de kom­men und anste­hen, sich fal­len las­sen – ganz wich­tig –, sagt er.

Es geht auch in «Bar» um die Themen unse­rer Generation. Wieder ist die Ambivalenz ein stän­di­ger Begleiter – die Lage könn­te so gedeu­tet wer­den, oder genau anders – wie kön­nen wir wis­sen, was wich­tig und rich­tig ist für uns? Tinguely dä Chnächt in «z’vill Ziit»: «D’ Angscht macht en Unterschied zwü­sche ich fühl, dänk und weiss es». Er hat ein paar sol­cher Treffer for­mu­liert.

Sein Promoter warnt mich in den Mails vor: ich müs­se dann halt hin­ter­her tele­fo­nie­ren, in den Besprechungen liest man von ver­schla­fe­nen Terminen um vier Uhr nach­mit­tags – klingt unzu­ver­läs­sig. Nun, der Mann ist pünkt­lich und mel­det sogar die zwei Minuten Verspätung an. Beschönigen tut er nichts, dass «Bar» erst jetzt her­aus­ge­kom­men ist, sei nicht zuletzt auch auf ver­schla­fe­ne Aufnahme-Sessions zurück­zu­füh­ren. Er Arbeite halt momen­tan in der Nacht, das habe sich in den letz­ten vier Jahren so erge­ben, viel­leicht wäre es aber auch gut, mal wie­der einen ande­ren Rhythmus aus­zu­pro­bie­ren. Allerdings, hat aber genau die­se Lebensweise die Texte zu die­sem Album geschrie­ben; es wür­de anders klin­gen und Anderes erzäh­len, wenn er jeden Morgen um sie­ben die Stempelkarte benut­zen wür­de. Man kann sich also auch ein­fach dar­über freu­en, dass es die­se kon­se­quen­ten Menschen gibt, die sich getrau­en, sich auch ein­mal zu Verweigern, sich trei­ben zu las­sen, ihre Überforderung beim Namen zu nen­nen, und das wie­der­um nicht stur machen müs­sen, son­dern ihr Tun immer gleich mit hin­ter­fra­gen. So etwas ergibt dop­pelt genäh­te Texte. Es kommt eine jun­ge Kurzhaarige in die Bar. Sie begrüs­sen sich, ich den­ke mir was, und zehn Minuten spä­ter sagt er, das sei die Frau, über die er die­ses eine Lied geschrie­ben habe. Und genau die­se Offenheit, die für ihn selbst­ver­ständ­lich ist, und bei der er auch nicht genau ver­steht, war­um man das nicht so machen soll­te, ist abso­lut ein­zig­ar­tig. Das Lied «Letschti Rundi» ist so ein Rundumschlag. Da fin­det er Worte für etwas, was eigent­lich nicht in Worte gefasst wer­den kann. Was ihm dabei hilft, ist die Form des Reimens, wel­che «einen gewis­sen Schutz und Halt gebe, um Gedanken und Gefühle aus­zu­drücken». Als wir auf die Live-Umsetzung zu spre­chen kom­men, zeigt sich, dass die­se Offenheit, aber auch ihre Grenzen hat. Er wür­de «Luftposcht» und «Letschti Rundi» nie live rap­pen. Es wäre sehr wahr­schein­lich auch zum Zuhören kaum zum Aushalten. «Bar» ist für zu Hause gedacht, oder noch eher für unter­wegs, und dazu die Welt vor­bei­zie­hen zu las­sen.

Nach dem Interview nimmt er mich mit rüber in den Plattenladen, den sein Produzent führt, guckt so ganz neben­bei, dass ich mit Platten, einer Story für eine näch­ste Ausgabe, und ein paar schö­nen Sätzen im Kopf in den Zug nach Bern stei­ge. Ich glau­be, er meint das mit dem: «I wott e gue­te si» tat­säch­lich so – das ist ver­dammt schwie­rig umzu­set­zen, ein Vorsatz, der das Scheitern dar­an in sich birgt. Ein Vorsatz, der in sei­ner Einfachheit wohl nur nach ein­schnei­den­den Erlebnissen und lan­gem Nachdenken dar­über zu Stande kommt. Denken ist in nicht-aka­de­mi­scher Form viel­leicht nicht beson­ders ange­sagt, aber es ist Arbeit. Arbeit, die, sobald auf irgend­ei­ne Art intel­li­gent umge­setzt, hilft, unser Leben zu reflek­tie­ren und zu hin­ter­fra­gen, hilft, zu erken­nen, wor­an wir lei­den und was wir lie­ben.

Tinguely dä Chnächt, «Bar» (Bakara Music)

Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2010

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