- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Swiss Life: Notizen aus der Betongold-Bijouterie

Von Heike Gerling – Dass Freiräume für künst­le­ri­sches Schaffen, Kunst- und Kulturräume ver­lo­ren gehen, weil es immer weni­ger preis­gün­sti­gen Raum zu mie­ten gibt, ist lei­der kein neu­es Phänomen; auch dass gün­sti­ge Gewerberäume und gün­sti­ger Wohnraum immer sel­te­ner wer­den, ist fast schon eine Platitüde – wird damit aber nicht akzep­ta­bler. Was «Aufwertung» und «Gentrifizierung» bedeu­tet, bekom­men Menschen mit wenig Geld als erste zu spü­ren; inzwi­schen sind aber auch immer mehr «nor­mal­ver­die­nen­de» Menschen betrof­fen. Die Situation hat sich mit der soge­nann­ten «Finanzkrise» noch­mals ver­schärft: Seit die Anlagemöglichkeiten an den Finanzmärkten ein­ge­schränkt sind, bevor­zu­gen vie­le Investoren «Betongold» als siche­re Renditeobjekte: Immobilien.

In Zürich, einer der teu­er­sten Städte der Welt, sind die Renditeerwartungen der Anleger ent­spre­chend hoch. Spekulative Bauprojekte, bei denen weni­ger der ursprüng­li­che Sinn des Bauens im Vordergrund steht – näm­lich mensch­li­chem Handeln einen bau­li­chen Rahmen zu bie­ten –, son­dern wo es pri­mär dar­um geht, aus der Vermietung von Gebäuden mög­lichst hohe Profite zu erwirt­schaf­ten, hat es zwar immer gege­ben – heu­te prä­gen sie das Bild der Stadt aber mit einer bestür­zend tota­len Eindeutigkeit, wie in Zürich-West oder an der Europaallee. Aber auch in den bestehen­den Wohn- und Geschäftsquartieren zeigt sich die for­cier­te, gross­mas­s­täb­li­che Immobilienspekulation nicht bloss als eine abstrak­te öko­no­mi­sche, son­dern auch als eine gestal­te­ri­sche, das Leben und die Atmosphäre der Quartiere stark prä­gen­de Kraft. Was das kon­kret bedeu­ten kann, zeigt sich in Zürich an ver­schie­den­sten Orten im Kleinen wie im Grossen.

Der Zürcher Kreis 4 zum Beispiel posi­tio­nier­te sich in der Stadtöffentlichkeit in den letz­ten Jahren ver­stärkt als Quartier der Kreativen; gleich­zei­tig sahen sich aber so man­che die­ser Kreativen bereits gezwun­gen, dem zuneh­men­den Aufwertungsdruck des Zürcher Immobilienmarktes mit sei­nen stei­gen­den Mieten aus­zu­wei­chen; in ande­re Quartiere oder Gemeinden – oder gleich in ande­re Länder. Auch klei­ne Läden, Handwerksbetriebe, klein­ge­werb­li­che Betriebe mit gerin­ger öko­no­mi­scher Wertschöpfung sind inzwi­schen nur noch sel­ten zu fin­den; unkon­ven­tio­nel­le, indi­vi­du­el­le Läden wer­den sel­te­ner – und «ganz nor­ma­le» klei­ne Läden, die Dinge des täg­li­chen Bedarfs oder gar Lebensmittel ver­kau­fen, wir­ken ange­sichts der omni­prä­sen­ten «Läden für einen geho­be­nen Lifestyle» fast schon exo­tisch.

Ein aktu­el­les Beispiel der Verdrängung klei­ner Läden aus dem Kreis 4, die zu des­sen spe­zi­el­lem Charakter bei­tra­gen, droht Andys Tierhüüsli am Helvetiaplatz zu wer­den, wo Tierliebhaber des Quartiers alles Mögliche und Unmögliche für ihre tie­ri­schen Lebensgefährten kau­fen kön­nen. Swiss Life – «ein füh­ren­der euro­päi­scher Anbieter von umfas­sen­den Vorsorge-und Finanzlösungen», wie der Konzern sich selbst defi­niert –, kauf­te vor zwei Jahren das Gebäude, in dem der Mieter weni­ge Jahre zuvor sei­nen klei­nen Laden selbst reno­viert und erwei­tert hat­te. Ende 2014 stün­de eine Verlängerung des Mietvertrags an; Swiss Life will die­se dem Mieter aber nur gewäh­ren, wenn er eine Mietzinserhöhung von 42% akzep­tiert. Tierhüüsli-Inhaber Andy Dubacher sieht kei­ne Möglichkeit, sei­nen Laden unter die­ser Voraussetzung wei­ter­füh­ren zu kön­nen; Kunden und Sympathisanten des Ladens haben daher für eine Petition zur Erhaltung des Ladens 1085 Unterschriften gesam­melt, die sie am 2. Juli den Zuständigen am Hauptsitz der Swiss Life über­ge­ben woll­ten. Die klei­ne Delegation wur­de trotz vor­he­ri­ger schrift­li­cher Anmeldung nicht emp­fan­gen, und konn­te die gesam­mel­ten Unterschriften nur einem Portier über­rei­chen. Im Übrigen liess Swiss Life ver­lau­ten: «Wie bei die­sen Verträgen üblich, wird bei einer Verlängerung der Mietzins den aktu­el­len Marktverhältnissen ange­passt.» Gemäss Aussage von Dubacher liegt die Miete des Nachbarhauses, das einer alter­na­ti­ven Pensionskasse gehört, aller­dings deut­lich tie­fer als schon der bis­he­ri­ge Mietzins für sein Tierhüüsli. Was also ist bei Swiss Life der Masstab für die Festlegung ihrer Mieten?

Wie im November letz­ten Jahres bekannt wur­de, ver­langt Swiss Life vom Warenhaus Manor an der Zürcher Bahnhofstrasse für eine Verlängerung ihres im Januar aus­ge­lau­fe­nen Mietvertrages um 5 Jahre, für die Manor eine Option besitzt, das Dreifache der bis­he­ri­gen Miete. Manor pro­te­stiert gegen die­se dra­sti­sche Mietzinserhöhung, ihr Warenhausbetrieb las­se sich mit einer Miete in der von Swiss Life neu­er­dings ver­lang­ten Höhe nicht mehr ren­ta­bel füh­ren; ihr Warenangebot liegt im mitt­le­ren Preissegment und ist auf ganz nor­ma­le Kunden zuge­schnit­ten, so dass sich die Preise der Waren und die zu erwirt­schaf­ten­den Erträge nicht belie­big nach oben schrau­ben las­sen. Swiss Life legt der Bemessung sei­ner Mietzinserhöhung aber nicht die übli­chen Mietzinse von Warenhäusern zugrun­de, die an ver­gleich­ba­ren Standorten zwi­schen 5 und 7 % des Umsatzes lie­gen sol­len, son­dern setzt die an der Zürcher Bahnhofstrasse «übli­chen» Mietzinse als Masstab für die von ihr ange­streb­ten Renditen. Es gehö­re «nicht zur Verantwortung von Swiss Life, ein Unternehmen an einem der besten Standorte der Schweiz mit gün­sti­gen Mieten zu sub­ven­tio­nie­ren», heisst es in einer Medienmitteilung des Versicherungskonzerns. Wenn Manor an die­sem Standort ver­tre­ten sein wol­le, müs­se es sich «den öko­no­mi­schen Realitäten stel­len». In die­sem Zusammenhang ist es aller­dings bemer­kens­wert, dass Swiss Life heu­te die dritt­gröss­te Immobilienbesitzerin an der Bahnhofstrasse ist – der Konzern hat damit einen nicht unbe­deu­ten­den Einfluss dar­auf, was für Mietzinse hier «üblich» sind oder in ein paar Jahren üblich sein wer­den. Ihre Macht im Immobilienmarkt bau­te Swiss Life im März die­ses Jahres zusätz­lich aus, indem sie von der Ledermann Immobilien AG für 273 Millionen Franken wei­te­re 28 Immobilien in Zürich kauf­te. Swiss Life wird also künf­tig noch mehr als bis­her bestim­men kön­nen, was in Zürich «markt­üb­lich» sei und was nicht.

Ob im Kleinen oder im Grossen – ihre dra­sti­schen Mieterhöhungen, ob sie Andys Tierhüüsli oder das Warenhaus Manor betref­fen, recht­fer­tigt Swiss Life damit, dass sie als Versicherungs-Unternehmen ver­pflich­tet sei, die Gelder ihrer Versicherten «zu ange­mes­se­nen Konditionen» anzu­le­gen; im Interesse ihrer Versicherten müs­se der Konzern sich bei Vermietungen von Immobilien an «markt­üb­li­chen Preisen» ori­en­tie­ren. Aber ist es noch im Interesse der Versicherten, wenn durch die Rendite-Maximierung mäch­ti­ger Versicherungen und Pensionskassen die Mieten in der Stadt in die Höhe getrie­ben wer­den, bis sie für nor­ma­le Mieter unbe­zahl­bar sind? Wie ver­ant­wor­tungs­voll ist so ein geschäft­li­ches Vorgehen? Und han­delt der Konzern bei der die Rendite maxi­mie­ren­den Vermietung sei­ner Liegenschaften wirk­lich nur im Interesse sei­ner Versicherten? Schliesslich ist Swiss Life seit 1997 kei­ne Genossenschaft mehr, son­dern eine bör­sen­ko­tier­te Aktiengesellschaft.
Das aktu­el­le Rating der Swiss Life-Gruppe durch die Rating-Agentur Standard & Poor’s liegt bei A-/po­si­tiv.

«Wem gehört Zürich?» Eigentumsrechtlich ver­stan­den lässt sich die­se Frage, die von einem locke­ren Bündnis ver­schie­de­ner Zürcher Gruppen seit dem Sommer 2013 im Rahmen ihrer Demonstrationen und Veranstaltungen immer wie­der gestellt wird, ziem­lich klar beant­wor­ten. Definiert man eine Stadt als Summe ihrer Immobilien, gehört Zürich den Immobilienbesitzern, und damit basta. Nur ist eine Stadt mehr als die Summe ihrer Immobilien. Bezieht man in die Definition einer Stadt die dar­in leben­de Bevölkerung ein, bekommt die unter den real exi­stie­ren­den öko­no­mi­schen Verhältnissen pro­vo­kant welt­fremd anmu­ten­de Frage die­ser Aktivisten eine ande­re Dimension – in phi­lo­so­phi­scher, sozio­lo­gi­scher und mora­li­scher Hinsicht. Als von der Vertreibung durch Kapitalinteressen Betroffene oder Bedrohte sehen sie die Vielfalt und Durchmischung in der Stadt durch die aktu­el­le Stadtentwicklung, die eine gesell­schaft­li­che Segregation vor­an­treibt, als zuneh­mend gefähr­det.

Gerade Vielfalt und Durchmischung sind aber nach Ansicht der renom­mier­ten US-ame­ri­ka­ni­schen Soziologin Saskia Sassen eine ele­men­ta­re Grundvoraussetzung von Urbanität. Im Oktober letz­ten Jahres hielt Sassen in Zürich auf Einladung der Universtät und der Stadt Zürich einen Vortrag zum Thema «The Global City: Today’s Frontier Zone»*. Seit Jahrzehnten erforscht sie die­ses Thema; bereits 1991 erschien ihr Buch «Global Cities», des­sen Aktualität bis heu­te noch zuge­nom­men hat.

Als «Global Cities» beschreibt Sassen die Entscheidungs-und Steuerungszentralen der glo­ba­len Ökonomie, wo mul­ti­na­tio­na­le und glo­bal ope­rie­ren­de Konzerne ihre Strategien und Produkte ent­wickeln und ihre öko­no­mi­schen Transaktionen in der rea­len Welt steu­ern. Hier fin­den sie die Spezialisten, die sie dafür brau­chen – und hier kop­peln sie ihre trans­na­tio­na­len Geschäfte wie­der an die Realwirtschaft an; eines der Mittel dazu ist auch die Immobilienwirtschaft. «Grenzzonen» sind die­se Städte aber auch inso­fern, als hier der Graben zu den­je­ni­gen Menschen ver­läuft, die das «nor­ma­le» Leben auf­recht­erhal­ten und dafür so schlecht bezahlt wer­den, dass sie in den Global Cities kaum noch exi­stie­ren kön­nen.

Sassen beschrieb in ihrem Vortrag am Beispiel von London, wie gan­ze Stadtteile Londons prak­tisch aus­star­ben, indem ihnen die öko­no­mi­schen Masstäbe der Finanzindustrie in Form sur­re­al über­höh­ter Mieten über­ge­stülpt wur­den. Den um die weni­ger zah­lungs­kräf­ti­gen Bevölkerungsteile berei­nig­ten, ste­ri­len Geschäftsvierteln der heu­ti­gen «Global Cities» feh­le die Komplexität – und damit die län­ger­fri­stig über­le­bens­not­wen­di­ge Vitalität und Innovationskraft –, die sich aus der Vielfalt und Durchmischung ver­schie­den­ster Bevölkerungsgruppen ergibt und eine Stadt wirk­lich urban macht.

Indessen scheint es in Zürich auch Angehörige libe­ra­ler und bür­ger­li­cher Parteien zu beun­ru­hi­gen, dass jetzt sogar schon ein an sich ren­ta­bel geführ­tes Warenhaus dem Rendite-Druck der Immobilienwirtschaft nicht mehr stand­hal­ten kann. Die IG Manor, eine Interessengemeinschaft von «Zürcherinnen und Zürchern aus Politik und Gewerbe», die Ende April gegrün­det wur­de, tritt mit ihrer Geschäftsführerin und Publizistin Esther Girsberger für die Erhaltung des Warenhauses Manor und der Vielfalt an der Zürcher Bahnhofstrasse und in der Innenstadt ein. Unterstützung erhielt die IG bis­her auch von libe­ra­ler bis kon­ser­va­ti­ver Seite: FDP-Gemeinderat Severin Pflüger führ­te in einem Artikel in der NZZ öko­no­mi­sche Argumente ins Feld gegen eine Gewinnmaximierung, die zur Verödung der Bahnhofstrasse füh­re; die CVP wand­te sich mit einer Interpellation und einem Fragenkatalog betref­fend Swiss Life, Manor und der Bahnhofstrasse an den Stadtrat; und Anfang Juli trat die BDP der Vereinigung bei, um sich gegen die «schlei­chen­de gewerb­li­che Verödung» ein­zu­set­zen.

Ob die Exzesse der Renditenmaximierung mit ver­ein­ten Kräften noch gestoppt wer­den kön­nen, bevor die Stadt sich kom­plett in ein totes Luxusghetto über­teu­er­ter Hochglanzimmobilien ver­wan­delt hat? Auf der Webseite von Swiss Life kom­men die Worte «Verantwortung» und «Nachhaltigkeit» bereits vor: aller­dings bis­her in einem ande­ren Kontext als dem einer sozi­al­ver­träg­li­chen Mietzinspolitik.

* Der Vortrag von Saskia Sassen vom Oktober 2013 in Zürich war ein Auszug aus ihrem neu­en Buch: «Expulsions – Brutality and Complexity in the Global Economy». Es ist in der Harvard University Press im Mai 2014 erschie­nen.

Bild: Gottfried-Keller-Denkmal, Zürich © Heike Gerling

Publiziert: ensuite Nr. 140,  August 2014