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Südosteuropäische Literatur in Thun

Von Jan Dutoit – Das Literaturprojekt Literaare ist bekannt als Veranstalter des Thuner Literaturfestivals, an dem sich jeweils im März Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum ein­fin­den. Nun wagt es sich auf neu­es Terrain und lädt am 24. und 25. September zu einem lite­ra­ri­schen Wochenende mit AutorInnen aus Bosnien und Herzegowina, Kroatien und Serbien. Lesen und dis­ku­tie­ren wer­den Edo Popovic, Nenad Velickovic, Ivana Sajko und Vladimir Arsenijevic.

Welche kroa­ti­sche Adriainsel ist die schön­ste? Wie ist das nun schon wie­der mit die­sen Sprachen: Kroatisch, Serbisch, Bosnisch – ver­ste­hen sich die Leute unter­ein­an­der, reden aber zeit­wei­se ein­fach anein­an­der vor­bei? Das sind Fragen, die ab und an dis­ku­tiert wer­den, doch nur sel­ten fällt das Thema auf die zeit­ge­nös­si­sche Literatur aus dem Südosten Europas. Die VeranstalterInnen von Literaare möch­ten dies ändern und haben vier SchriftstellerInnen nach Thun ein­ge­la­den, die in ihren Heimatländern zu den bedeu­tend­sten Stimmen der Literaturszene zäh­len.

Eröffnen wird das Festival Edo Popovic. Sein 1987 ver­öf­fent­lich­ter Erstling «Mitternachtsboogie», der vor kur­zem erst auf Deutsch erschie­nen ist, beschreibt das Lebensgefühl der Zagreber Jugend in den Achtzigern und gilt als Kultbuch einer Generation.

Während den Kriegen im ehe­ma­li­gen Jugoslawien wur­de Popovic zudem durch sei­ne unideo­lo­gi­schen und unbe­que­men Reportagen zu einem der bekann­te­sten Kriegsberichterstattern Kroatiens. Seine neue­sten Romane wie «Die Spieler» oder «Kalda» sind in der Halbwelt Zagrebs ange­sie­delt, und ent­wickeln durch ihre rasan­te und über­ra­schungs­rei­che Sprache einen unheim­li­chen Sog.

Ebenfalls am Samstag liest Nenad Velickovic, des­sen Werk geprägt ist durch die Auseinandersetzung mit den oft undurch­schau­ba­ren gesell­schafts­po­li­ti­schen Verhältnissen in Bosnien, ins­be­son­de­re in sei­ner Heimatstadt Sarajevo. Dabei the­ma­ti­siert er die Rolle der Internationalen Gemeinschaft eben­so wie den Nationalismus sei­ner MitbürgerInnen, und dies meist mit spit­zem Humor, der Absurdes und Tragisches zur Sprache bringt. Velickovic gilt auch als einer der schärf­sten Kritiker des bos­ni­schen Bildungssystems, das er in krea­ti­ven Projekten mit Schülern oder in scharf­sin­ni­gen Essays ana­ly­siert.

Anschliessend fin­det ein Gespräch mit den bei­den Autoren statt, das der Frage nach­geht, wo sie sich selbst in der Gesellschaft ver­or­ten, und wie sie und ihr Werk wahr­ge­nom­men wer­den. Am Abend wird die Alte Oele zum Kino: Das doku­men­ta­ri­sche Roadmovie «The Long Road Through Balkan History» nimmt die BesucherInnen mit auf eine Reise von Slovenien bis nach Makedonien.

Am Sonntag liest die Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin Ivana Sajko, die zu den span­nend­sten Persönlichkeiten der kroa­ti­schen Kulturszene gehört. Ihr 2006 erschie­ne­ner Roman «Rio Bar» the­ma­ti­siert das unver­mit­tel­te Hereinbrechen des Krieges und die Traumatisierungen aus der Perspektive meh­re­rer Frauenfiguren. Mit ihrer prä­zi­sen und zugleich poe­ti­schen Sprache, und mit inno­va­ti­ven Erzählverfahren über­zeugt sie sowohl in «Rio Bar» wie auch in ihrem neue­sten Roman «Die Geschichte mei­ner Familie von 1941 bis 1991 und danach».

Vladimir Arsenijevic, der schon zu Beginn der 80er Jahre als Mitglied einer der ersten Belgrader Punkbands, Urbana Gerila für Aufsehen sorg­te, liest eben­falls am Sonntag. Sein neue­ster Roman «Predator» ver­knüpft die Geschichten zahl­rei­cher Figuren: eines ira­ki­schen Kurden, der vom Pogromopfer zum Kannibalen wird, eines bos­ni­schen Junkies in Dänemark, oder einer ser­bi­schen Schriftstellerin in Berlin. Dabei führt Arsenijevic die LeserInnen durch sein mei­ster­haf­tes Spiel mit ver­schie­de­nen Erzählperspektiven scho­nungs­los nahe an die ProtagonistInnen her­an.

Das anschlies­sen­de Gespräch mit den bei­den Gästen folgt der Frage, wie sie den Austausch im Literaturbetrieb zwi­schen den ehe­ma­li­gen jugo­sla­wi­schen Republiken zwan­zig Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens wahr­neh­men.

Das lite­ra­ri­sche Wochenende ist Teil des Literaturprojekts «Absolut Zentral», das vom 15. bis zum 25. September wei­te­re Lesungen und Gespräche mit dem Themenschwerpunkt Osteuropa in Bern, Burgdorf und Biel umfasst.

Infos: www.literaare.ch

Foto: zVg.
ensuite, September 2011