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Sturmhöhe von Cathy Marston


Endlich ist Cathy Marston die aus­ge­wo­ge­ne Geschichtserzählung gelun­gen! Nicht mehr ver­folgt sie Schritt auf Tritt und Schuß auf Schuß die (Kriminal)geschichte der rus­si­schen Zarenfamilie wie bei ihrem Berner Einstand mit Feuervogel. Auch lässt sie nicht, im ande­ren Extrem, gänz­lich von Handlungen ab, um dafür im Seelenleben eines Dichterpaars ganz ohne Anhaltspunkte zu schwel­gen. Das neue Stück Sturmhöhe ist abstrakt und psy­cho­lo­gisch kon­kret genug.

Dabei hät­te Sturmhöhe durch­aus dane­ben gehen kön­nen: Der vik­to­ria­ni­sche Roman von Emily Brontë birgt mit ihren ver­track­ten Schicksalsverflechtungen dra­ma­tur­gi­sches Risiko für den Tanz. Die Choreographin und der Librettist Ed Kemp haben aus Fehlern gelernt und den Roman auf fünf Protagonisten zurück­ge­stutzt. Doch vor­erst ist der Zuschauer ver­wirrt: denn wenn man – der Rollenverteilung fol­gend – den Tänzer Erik Guillard von Gary Marshall oder Chieng-Ming Chang nicht unter­schei­den kann, so auch nicht ihre drei Rollen, in denen sie um Catherines Gunst buh­len. Einer ist das adop­tier­te Findling Heathcliff, der von klein auf mit Catherine unzer­trenn­lich ver­bun­den sei, wie uns das Programmheft auf­klärt. Der ande­re ihr eifer­süch­ti­ger älte­re Bruder. Und der drit­te, der spä­te­re Bräutigam Elgar. Mit der Zeit wächst aber unser Verständnis, denn jugend­lich-neckisch ist der Umgang zwi­schen Schwester und Stiefbruder, auto­ri­tär gebie­tend der des älte­ren Bruders, vor­nehm for­dernd des Bräutigams. Catherine kann sich schein­bar nicht zwi­schen den bei­den Freiern, dem Adoptivbruder und Edgar, gefühls­mäs­sig ent­schei­den und beugt sich der Konvention der arran­gier­ten Partnerwahl. Das Publikum mag ihrer statt auch nicht erwä­gen, wel­cher mehr Anrecht auf ihr Herz hät­te. Denn Identifikation mit einer Figur ver­wei­ger­te schon der Roman. Unsympathisch-all­zu­mensch­lich sind die Figuren näm­lich alle. Catherine will nach ihrer Vermählung von der inni­gen Beziehung mit Heathcliff nicht las­sen. Der Gatte krümmt sich vor Gram, der älte­re Bruder äch­tet den Adoptivbruder dafür und die­ser rächt sich wie­der­um am Schwächsten, an der wehr­lo­sen Schwester des Schwagers, an Isabella. An die­sem Racheakt schliess­lich zer­bricht Catherine. So viel an Elend ent­nimmt der Tanz dem Roman.

Das Gespann Marston & Kemp hat eine Entwicklung voll­zo­gen. Sie fan­den dies­mal bedeut­sa­me Gesten und Requisiten, die nicht kon­kre­te Handlung dar­stel­len wie das Träufeln von Gift in ein Glas (im Stück Gespenster). Sie such­ten sol­che, die die wech­seln­de Befindlichkeiten und psy­cho­lo­gi­sche Ausweglosigkeiten ver­an­schau­li­chen. Wenn es dem älte­ren Bruder ange­sichts der ver­ant­wor­tungs­los ver­füh­ren­den Schwester den Magen umdreht, so hängt er bewe­gungs­los über dem Rand eines hoh­len Kubus, wie am Abort. Wenn der geäch­te­te Stiefbruder unheil­voll droht, hängt Isabella dort. Als sich der Gekränkte ihr naht und sie her­aus­for­dert, läuft sie auf dem Rand wie am Abgrund. Dass die­ser Rachlustige ihr dabei Stütze bie­tet, macht den Tanz maka­ber. Der schwar­ze Kubus war Versteck für Verspielte, übt Sog auf Verzweifelte aus, ist Schutz vor Rache und letzt­lich Catherines frei gewähl­ter Sarg. Ein and­res viel­fäl­tig Ding ist der Stuhl. Vier davon bil­den eine aus­ge­wo­ge­ne Gesellschaft, mit den zwei ‹ech­ten› Geschwistern und dem Bräutigam samt Schwester. Vier davon wie Pfeiler im Quadrat mit­tig auf­ge­stellt festi­gen den Ausschluss des adop­tier­ten Störenfrieds. Stühle bie­ten Form und Formalität, die Steifheit ver­spricht eng­li­sche Noblesse. Umgestülpt bil­den sie mal Chaos mal Gefahr. Gereiht recken sie die Beine gen Himmel und säu­men wie Spaliere einen Weg für die gepei­nig­te Isabella. Sie wird ihn in einer Folge von ein­wärts kon­trak­tier­ten Bein-Attitüden bis zum bit­te­ren Ende gehen (ein­drucks­voll getanzt von Hui-Chen Tsai). 

Doch Vertrauen in star­ke Bilder und bedeut­sa­me Bewegungen sind nicht Marstons Stärke. Schon immer such­te sie Zuflucht in vir­tuo­sen Schrittfolgen, wir­beln­den Höhenflügen und schweiss­trei­ben­der Schnelligkeit. Die Musik treibt sie dies­mal nicht. Dave Maric’s Auftragskomposition lei­stet ein meist unspek­ta­ku­lä­res Live-Zwiegespräch eines Kontrabassisten mit sei­nem elek­tro­nisch auf­ge­zeich­ne­ten und ver­frem­de­ten Alter Ego. Mitunter meint man orche­stra­le Fülle und Winde aus Yorkshire zu ver­neh­men, dann wie­der­um dünnt sich der Klang aus. Ausgerechnet dort, wo die Hauptfigur ihren cho­reo­gra­phisch sel­ten so prä­zis dosier­ten Wutausbruch mar­kiert (inter­pre­tiert von der wand­lungs­fä­hi­gen Jenny Tattersall). Was ist, was Marston treibt? Ihre nicht zu brem­sen­de Schrittkombinatorik? Dabei sind es die weni­gen Leitmotive und Wiederholungen, die augen­fäl­lig sind. Es ist sel­ten das Gewicht in einer Bewegungsphrasierung das ins Gewicht fällt. Bei der Geschwindigkeit schon gar nicht. Das Erdene ver­fliegt gera­de­zu. Selbst als Catherine durch das Schicksal gebro­chen ihre Haltung ver­liert, ihren Kopf in die Hände gestützt am Boden sitzt und in einer Kettenfolge immer wie­der seit­lich abkippt und sich über­schlägt, stösst kein Ellbogen auf, eckt kei­ne Kante am Boden an. Sie rollt über die Abgründe des Lebens hin­weg wie ein – Stehaufmännchen. 

Cathy Marston wird ihren Weg machen, denn was sie treibt ist Ehrgeiz. Im kom­men­den Monat ist sie mit die­sem Stück im Linbury Theatre des Royal Opera House zu Gast. Die viel­sei­ti­ge Companie wird mit einem erwei­ter­ten Programm auf der England-Tournee gewiss erobern.

www.tanzkritik.net Originaltext