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Strategisch? Die neue Kulturstrategie der Stadt Bern

kulturforumVon Lukas Vogelsang – ensuite lag bereits im Dezember 2015 eine Version der ersten Handlungsfelder der zukünf­ti­gen Kulturstrategie der Stadt Bern vor. Diese wer-den im Januar 2016 am ersten städ­ti­schen Kulturforum vor-gestellt. Im Januar wird man öffent­lich dar­über debat­tie­ren. Zwei wei­te­re Überarbeitungs-pha­sen und Veranstaltungen sind geplant, bis das Papier im Herbst 2016 an einer letz­ten Informationsveranstaltung vor­ge­stellt wer­den soll. 

Die Stadt Bern spricht von einer ersten umfas­sen­den Kulturstrategie der Stadt Bern, wel­che «über die eigent­li­che Kulturförderung hin­aus­reicht» – was sich natür­lich in Anbetracht der zwei bis­he­ri­gen Strategien als eine etwas all­zu vol­le Formulierung ent­puppt. Von der Öffentlichkeit und Politik wur­de eine Kulturstrategie gefor­dert, weil in den letz­ten Jahren die Abteilung Kulturelles bezüg­lich Öffentlichkeitsarbeit, Transparenz und Gewichtung kein gutes Bild abgab. Für die­se Kultur-stra­te­gie wur­de ein Budget von rund 200‘000 Franken gespro­chen, davon 102‘000 Franken für die Projektleitung. Diese Funktion hat Franziska Burkhardt inne, die unter der Einzel-fir­ma «Fermate» den Zuschlag erhielt und par­al­lel dazu noch den PROGR, Zentrum für Kulturproduktion, lei­tet. Ihre Erfahrungen und Referenzen für die­ses Projekt stam­men mehr­heit­lich aus ihrer Tätigkeit im Bundesamt für Kultur.
Das vor­lie­gen­de Papier ist sehr kurz gefasst, rund sie­ben A4-Seiten lang, auf zwei Schwerpunkte auf­ge­teilt: 1. Vier Grundprinzipien und 2. Strategische Handlungsfelder. Die vier defi­nier­ten «Grundprinzipien» sind: «Bekenntnis zur Kulturstadt Bern», «Vielfalt der kul­tu­rel­len Akteure», «Kultur ist ein öffent­li­ches Interesse», «Partnerschaft und Dialog». Die sie­ben «Strategischen Handlungsfelder» sind: «Zugang zu Kultur», «Kulturelle Tätigkeit», «Kulturproduktion», «Ausstrahlung», «(Frei-)Räume und Bewilligungswesen» (Rahmenbedingungen), «Zusammenarbeit, Partizipation und Dialog» (Rahmenbedingungen) und «Kooperation in der öffent­li­chen Kulturförderung».

Die Seiten lesen sich wie ein rea­li­täts­frem­des Wunschprogramm. Es fehlt ele­men­tar eine Analyse oder eine Beschreibung des IST-Zustands, der eine Ausgangssituation nach­voll­zieh­bar machen wür­de. Es sol­len angeb­lich vie­le Gespräche geführt wor­den sein, doch folg­ten die­se einem Raster oder einem Aufbau? Wurden die­se Gespräche erfasst, pro­to­kol­liert? Kann man die­se ein­se­hen? Solche Daten wür­den hel­fen, zu ver­ste­hen, war­um die­se Grundprinzipien gewählt wur­den, und wie die sie­ben stra­te­gi­schen Handlungsfelder zu-stan­de gekom­men sind. Jetzt steht in die­sem Papier nur, über­spitzt gesagt: Bern ist super, Bern wird die Su-per-Kulturfabrik und die Super-Stadt Bern bezahlt alles. Dabei wer­den Behauptungen in den Raum gestellt, wel­che in vie­len Fällen in den Entscheidungen gar nicht bei der Abteilung Kulturelles lie­gen wer­den. Kein Wort über Qualität (man geht davon aus, dass alles gut ist), kei­ne Begriffs-defi­ni­tio­nen, kei­ne kon­kre­ten Hand-lun­gen.

Etwas ent­täu­schend muss­ten wir auch fest­stel­len, dass eini­ge Oberziele der stra­te­gi­schen Handlungs-fel­der aus der Kulturbotschaft des Bundes abge­schrie­ben wor­den sind. (ohne Quellenangabe). Aufgefallen ist uns dies wegen der unein­heit­li­chen Sprache und bei­spiels­wei­se dem Unwort «Querschnittsaufgaben». Eben-falls geben vie­le Sätze kei­nen Sinn: «Die Institutionen erhö­hen die Zugänglichkeit für ihr Publikum durch inklu­si­ve, par­ti­zi­pa­ti­ve und inte­gra­ti­ve Massnahmen, wel­che in den Leistungsaufträgen und Finanzplänen ent­spre­chend abge­bil­det sind.» Eine sol­che Aussage bleibt so belie­big, dass die Verantwortlichkeit ein­zig und allei­ne bei der Abteilung Kulturelles und der/dem PräsidialdirektorIn lie­gen blei­ben und in einem gehei­men Leistungsvertag ver­schwin­den. Da nützt es auch nichts, wenn das Wort «Transparenz» rund sechs­mal her­vor­ge­ho­ben wird. Genau die­ser Zustand des Zweifels soll­te mit der neu­en Kultur-stra­te­gie ja ver­mie­den wer­den.

Ganz all­ge­mein muss man fest­hal­ten, dass die­ser uns vor­lie­gen­de Anfang einer Kulturstrategie in der Tat unbrauch­bar ist. Er folgt einer maxi­men Wunschvorstellung und Bern muss sich dort­hin ent­wickeln. Damit wer­den Budgets blockiert für Ideen, die noch kei­nem Bevölkerungs- oder Kulturbedürfnis fol­gen. Das heisst, der Wille führt und ver­sucht durch­zu­set­zen, was auto­ma­tisch zur (Ohn-)Macht führt. Die Stadt Bern will Impulsgeberin sein – doch gleich­zei­tig defi­niert sie sich sel­ber als Dienstleisterin und Ermöglicherin. Damit unter­jo­chen sich die Kultur- und Kunstschaffenden. Und das Publikum muss sich ein­fach dafür inter­es­sie­ren.

Fast alles ist so unkon­kret for­mu­liert, dass die Interpretation und Umsetzungsmöglichkeiten end­los schei­nen. Zudem wäre die Abteilung Kulturelles in der momen­ta­nen Organisation nicht fähig, das Pensum zu bewäl­ti­gen, da-für feh­len schlicht MitarbeiterInnen. Das mag stra­te­gisch sein: Beschenke dei­ne Kritiker reich­lich und sie wer­den dich in Ruhe las­sen. Die Zeit wird alles rich­ten. Dieses Pa-pier birgt aber eine immense Gefahr in sich: Wenn es so ange­nom­men wür­de, bekä­me Bern ein finanz­po­li­ti­sches Problem. Denn vie­le hier ange­spro­che­nen Willensbekundungen sind bis jetzt noch nicht ein­mal im Ansatz rea­li­siert (aber seit Jahren gewünscht). Mehr Geld wird aber nicht so ein­fach mög­lich sein.
Fazit: Es ist zu hof­fen, dass das der Redaktion vor­lie­gen­de Papier nicht jenes ist, wel­ches am 18. Januar 2016, am ersten Kulturforum, den TeilnehmerInnen vor­ge­legt und direkt vor Ort im «World Café» dis­ku­tiert wird. Wenn doch, so darf der Abteilung Kulturelles eine ungu­te wil­lent­li­che Absicht unter­stellt wer­den. Bei die­sem Budget für die­se Kulturstrategie muss und darf viel mehr erwar­tet wer­den.