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«Starseed Pilgrim» – Elektronische Farb- und Klanggärtnerei

Von Andreas Meier – Was ist es? Ist es ein Puzzlespiel? Es ver­langt eini­ges an Kopfarbeit und Konzentration, doch es gibt kei­ne eigent­li­chen Lösungen – nur ein gedul­di­ges Herantasten. Ist es ein Hüpf- und Geschicklichkeitsspiel? Es wird gehüpft, doch Geschick ist kaum nötig und nicht der Kern der Sache. Ist es ein Erkundungsspiel? Es ist eine Reise durch offe­nen Raum, doch es ist ein Raum, den der Spieler selbst erschafft. Ist es ein Spiel zum Entspannen, in dem der Spieler einen äthe­ri­schen Klang- und Farbenteppich zu einem abstrak­ten Zen-Garten wach­sen lässt, oder zum Haare rau­fen, in dem die Fähigkeiten und das Verständnis des Spielers immer gete­stet wer­den?

Das Einmann-Projekt «Starseed Pilgrim» von Droqen ist schwie­rig zu beschrei­ben, doch das ist viel­leicht gar nicht so schlecht, denn zu viel Vorverständnis wür­de dem Spiel eini­ges an Reiz ent­zie­hen; die Frage: «Was ist es?» ist sozu­sa­gen das erste und letz­te Rätsel des Spiels, und die erste Stunde des Experimentierens und des Erlernens der fremd­ar­ti­gen Regeln ist einer der fas­zi­nie­rend­sten Aspekte die­ses Spiels.

Der Pilger beginnt auf einer klei­nen Insel in einem anson­sten lee­ren, weis­sen Raum. Per Knopfdruck pflanzt er «Samenkörner», aus denen abstrak­te Gewächse aus bun­ten Blöcken spries­sen, beglei­tet von Tönen, die sich zu Melodien anein­an­der­rei­hen. Je nach Farbe des Korns wach­sen die­se auf ver­schie­de­ne Arten, und auch sonst haben sie diver­se Eigenheiten, die durch Experimentieren erlernt wer­den müs­sen. Der Pilger kann sich auf die­sen Gewächsen fort­be­we­gen, und so damit begin­nen, die weis­se Leere zu erfor­schen. Doch das ist bloss der erste Schritt von vie­len, und die erste Ebene; um Weiterzukommen müs­sen alter­na­ti­ve Welten mit jeweils ande­ren Regeln ent­deckt wer­den, in denen der Pilger mit Hilfe sei­ner Samenkörner vor einem «Starseed» flie­hen muss, aus dem sich eine alles­ver­schlin­gen­de Schwärze aus­brei­tet. Die Eigenschaften der ver­schie­de­nen Samen und deren Unberechenbarkeit erge­ben ein Wechselspiel aus Aktion und Reaktion, aus Planung und Neueinschätzung, aus Taktik und Improvisation.

Es lies­se sich noch viel mehr dar­über schrei­ben, wie «Starseed Pilgrim» funk­tio­niert, doch mehr zu erklä­ren wür­de eini­ge der besten Überraschungen und Eureka-Momente rui­nie­ren. Das Spiel selbst ist äus­serst schweig­sam, und ein Beispiel für «Laissez-fai­re» Spieldesign. Die ein­zi­ge sprach­li­che Kommunikation erfolgt in Form von kur­zen, gedicht­ar­ti­gen Texten, die in der Leere hän­gen, und mehr Fragen als Antworten bie­ten. Der Spieler ist auf sich allein gestellt, und die Abstraktion in der Ästhetik sowie in den Spielregeln macht Intuition wie Erfahrung nahe­zu wert­los, denn die­se Welt folgt ihren eige­nen, fremd­ar­ti­gen Gesetzen. Diese hilf­lo­se Unwissenheit, gepaart mit der enor­men Schwierigkeit eini­ger der Herausforderungen, kann stel­len­wei­se über­wäl­ti­gen und fru­strie­ren – ich selbst habe das Spiel (noch) nicht zu Ende gebracht –, doch der Rhythmus von Entdeckung und Meisterung ist sorg­fäl­tig geplant; solan­ge man sich noch nicht eine gewis­se Erfahrung ange­eig­net hat, wird man meist gar nicht rea­li­sie­ren, dass es noch mehr zu ent­decken und zu lei­sten gibt. Die Decke scheint zu Beginn viel­leicht erschreckend hoch, doch sie wird sich noch wei­ter heben, um dem Spieler Platz zum Wachsen zu geben.

«Starseed Pilgrim» bricht eini­ge Regeln moder­nen Gamedesigns. Zu sagen, es sei schwie­rig, ist zwar wahr, aber nur die hal­be Wahrheit: Viele moder­ne Mainstream-Spiele sind zwar enorm ein­fach, um ein mög­lichst brei­tes Publikum anzu­spre­chen, doch in der Indie-Szene blüht die Philosophie von schwie­ri­gen Spielen schon lan­ge, beson­ders in der Form von Retrospielen, die sich vor allem an den Spielen der frü­hen 90er Jahre ori­en­tie­ren. Der Regelbruch von «Starseed Pilgrim» greift tie­fer und ist sel­te­ner zu sehen. Das System eines Retrospiels ist alt­be­kannt, weil ver­gan­gen­heits­ori­en­tiert; die Spielregeln und das Ziel sind klar, die Schwierigkeit liegt in der geschick­ten Manipulation die­ses Systems durch den Spieler. «Starseed Pilgrim» ver­schweigt sei­ne Regeln, ja erklärt nicht ein­mal, was das Ziel der Sache eigent­lich ist. Das Erlernen des Spiels ist ein inte­gra­ler Teil des Spiels, nicht bloss eine Voraussetzung zu des­sen Meisterung oder Durchführung. In einem gewis­sen Sinn ist «Starseed Pilgrim» also doch eine Art Erkundungsspiel, doch was erkun­det wird ist nicht in erster Linie Raum, son­dern das System des Spiels.

Zu vie­le moder­ne «Blockbuster»-Spiele trau­en dem Spieler kaum zu, einen Fuss vor den ande­ren zu set­zen. «Geh dort­hin», sagt das Spiel, «und jetzt mach dies», wäh­rend es sich prak­tisch selbst spielt, vor lau­ter Angst, der Spieler könn­te etwas falsch machen, wenn man ihn eine Sekunde lang aus den Augen lässt. Dies wird häu­fig Zugänglichkeit genannt, doch Herablassung wäre in den mei­sten Fällen tref­fen­der. «Starseed Pilgrim» dage­gen gelingt das Kunststück, zugleich schlicht und anspruchs­voll zu sein. Die Regeln sind zwar fremd und for­dernd, aber auch ele­gant und sim­pel. Die Komplexität der Interaktion erwächst aus den denk­bar sim­pel­sten Grundlagen.

Was ist es nun also? «Starseed Pilgrim» ist ein klei­nes, for­dern­des Meisterwerk. Ein Spiel, in dem man sich ver­lie­ren, und in das man sich ver­beis­sen kann.

«Starseed Pilgrim» ist unter ande­rem auf www.starseedpilgrim.com als Download (PC, Mac und Linux) für 6$ erhält­lich.

Foto: zVg.
ensuite, April 2014