Stammesdenken im Callcenter

Von

|

Drucken Drucken

Von Patrik Etschmayer - Eine Schweizer Versicherung erlaubt ihren aus­län­di­schen Mitarbeitern, ein Schweizer Alias zu benut­zen, und über die Versicherung bricht ein Shitstorm her­ein. Dieses ihren Mitarbeitern zu erlau­ben, set­ze ein fürch­ter­li­ches Zeichen für die Versicherung und deren Unternehmenskultur.

Damit wer­de impli­ziert, dass die aus­län­di­schen Mitarbeiter und Ausländer gene­rell als min­der­wer­tig betrach­tet wür­den und die Versicherung die­se Ansicht auf einer gewis­sen Ebene tei­le, so der Vorwurf von Migrationsexperten. Doch ist das wirk­lich ein fürch­ter­li­ches Zeichen für die Versicherung – und nicht eher gene­rell für unse­re Gesellschaft?

Aussagen von Callcenter-Mitarbeitern ande­rer Unternehmen, die ihren Angestellten kei­ne «Tarnkappe» erlau­ben, berich­ten von ras­si­sti­schen Ausfälligkeiten, abge­häng­ten Anrufen nach der Namensnennung (mit vor­he­ri­ger Beleidigung) und ande­ren bela­sten­den Erlebnissen im Arbeitsalltag im Zusammenhang mit ihrem fremd­län­disch klin­gen­den Namen. Nimmt man die­se Aussagen in Betracht, wird die Politik von Swiss Life zwar nicht weni­ger bedenk­lich, aber aus einem ganz ande­ren Grund: Das Abreagieren an Mitarbeitern wegen ihrer Herkunft scheint unter­des­sen Standard-Repertoire im Umgangskanon nicht weni­ger Schweizer zu sein. Und manch ein Angestellter zieht die Selbstverleugnung am Telefon der Fremdbeschimpfung vor, wenn dass denn erlaubt wird.

So wird aus Herrn Bencic Herr Bernhard und Frau Vujovic mag lie­ber als Frau Füglistaller höf­lich um Hilfe gefragt, als unter ihrem ech­ten Namen dar­an erin­nert wer­den, dass sie hier nichts zu suchen habe.

Wobei das alles nie­man­den auch nur im gering­sten über­ra­schen soll­te: So stel­len Tests immer wie­der fest, dass Wohnungs- und Stellenbewerbungen von Personen mit aus­län­di­schen Namen den Ablehnungsstempel fast schon vor­mon­tiert haben, wäh­rend die iden­ti­schen Anträge von Leuten mit einem klar hei­mi­schen Namen zumin­dest eine gute Chance auf einen Besichtigungstermin oder ein Vorstellungsgespräch haben.

Dabei wider­spricht die­ses Handeln, wenn es um Jobbewerbungen geht, ganz klar dem hier so ger­ne hoch­ge­hal­te­nen Grundsatz, dass es auf die Leistung ankommt, die eine Person im Job erbrin­gen kann. Der Name sagt nichts dar­über aus, was jemand zu lei­sten im Stande ist. Und ein feh­ler­frei ver­fass­tes Vorstellungsdossier soll­te – beglei­tet von ent­spre­chen­den Zeugnissen – kei­nen Blick auf den Namen erfor­dern, um das Urteil dar­über fäl­len zu kön­nen, ob jemand die Voraussetzungen für eine Stelle mit­bringt. Zudem ent­zieht sich die Wirtschaft so selbst gute Arbeitskräfte.

Betrachtet man die­se Diskriminierungen vor dem Hintergrund, dass vie­le jener, die beson­ders kri­tisch gegen­über Ausländern ein­ge­stellt sind, von die­sen mehr Bemühungen betref­fend ihrer Integration for­dern, wird das Spiel noch absur­der. Denn wer nur Bemühungen for­dert, die­se aber nicht aner­kennt («-ic am Schluss? Kann ja nichts wert sein, auch wenn er einen 5,5‑Notenschnitt hat­te!»), muss sich nicht wun­dern, wenn sich als Resultat die­se Menschen zum Teil ver­bit­tert von unse­rer Gesellschaft abwen­den. Und ja, das pas­siert und pas­sier­te natür­lich nicht nur in der Schweiz, son­dern fast über­all, wo Gesellschaften mit Immigranten kon­fron­tiert sind und waren. Die Ausgrenzung auf­grund der Herkunft war schon immer ein Problem, das jene am här­te­sten trifft, die sich wirk­lich inte­grie­ren wol­len. Scheitern aus­ge­rech­net die­se, kön­nen sie Integrationsunwilligen (und Islamisten kom­men da nicht als Letzte in Frage) als Beispiele dafür die­nen, wie heuch­le­risch unse­re angeb­lich ega­li­tä­re Gesellschaft ist: «Hey, wenn es nicht mal DIE schaf­fen, war­um sol­len wir uns den über­haupt inte­grie­ren?»

Swiss Life ist nicht das Problem. Problematisch ist, dass vie­le von uns bewusst und unbe­wusst Vorurteile und Angst vor Ausländern haben, die selbst nur ein fried­li­ches, pro­duk­ti­ves Leben füh­ren wol­len. Problematisch ist, dass vie­le von uns es nicht schaf­fen, Namen nicht gleich mit einem gan­zen Katalog von fik­ti­ven Eigenschaften zu ver­bin­den.

Und natür­lich kann jeder, der will, einen «Problem-Jugo» und einen «Muslim-Fanatiker» aus dem Hut zau­bern. Und die gibt es. Doch nur weil es Schweizer gibt, die zum Kinderficken nach Südostasien flie­gen, will sich hier ja auch nie­mand ein­fach wegen dem Schweizer Pass zum Pädophilen abstem­peln las­sen, oder? Denn das wäre absurd, irr und ein­fach falsch. Nicht jeder Deutsche ist ein Nazi-Schlächter, nicht jeder Amerikaner ein unver­bes­ser­li­cher Rassist, nicht jeder Italiener ein kor­rup­ter, fau­ler Gigolo. Das Gegenteil ist der Fall.

Doch das Stammesdenken, das sol­che Dummheiten in unse­ren Köpfen wach­sen lässt, ist alt und in sei­nem Group-Think schon seit tau­sen­den Jahren eine Ausstattung unse­rer Steinzeithirne, wes­halb wir auch so ger­ne dar­auf her­ein­fal­len, und die­se Art des Alltagsrassismus so schwer zu über­win­den ist.

Dass die Swiss Life die­sen mit dem Namenstrick zu umschif­fen ver­sucht, mag als fei­ge und falsch ange­schaut wer­den. Aber wenn alles das täten, müss­ten die Alltagsrassisten in Zukunft alle Callcenter-Mitarbeiter anbel­len und bezich­ti­gen, Schweizern den Job weg­zu­neh­men, ganz egal, ob sich nun Frau Lauener oder Herr Ölcik mel­det. Und wenn auch noch Schweizer Angestellten die Möglichkeit gege­ben wür­de, auch ein «aus­län­di­sches» Alias anzu­neh­men, wären viel­leicht vie­le ein wenig net­ter am Telefon. Ganz einfach,weil statt der Namen die Leistung des Menschen im Zentrum ste­hen wür­de, da die Ethnie ein Rätsel wäre.

 

 

 

 

 

 

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo