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Stadttheater-Schwarz/Urweider-Posse aus Bern

[Lukas Vogelsang] – Kultur und Kunst ist lang­wei­lig, wenn sie nur für sich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt­fin­det. Deswegen sind die Possen, wie sie zwi­schen Samule Schwarz von 400asa und dem Stadttheater Bern immer wie­der her­vor­tre­ten, eine wun­der­ba­re Abwechslung. Vielleicht müss­te man fai­rer­wei­se noch erwäh­nen, dass nicht das Stadttheater in den mei­sten Fällen für die Possenverantwortlich ist, son­dern die Gegenseiten. Das kann man als Gut oder Schlecht wer­ten. Je nach­dem. Gut ist sicher, dass das Stadttheater immer wie­der dar­auf ein­geht. Sonst wäre der Dialog ein Monolog und damit wie­der zum Gähnen lang­wei­lig.

Liebe LeserInnen, sie kön­nen mit­dis­ku­tie­ren! Schreiben Sie einen Kommentar und äus­sern Sie sich. Wenn schon die Gelegenheit da ist…

Und hier der Brief von Samuel Schwarz und die Antwort von Erich Sidler, unzen­siert und als Realsatiere ver­öf­fent­licht:

EINS ZU EINS» von Schwarz/Urweider an Volksbühne Berlin
Im Mai 2010 insze­nier­ten Raphael Urweider und Samuel Schwarz Godards Film ONE PLUS ONE am Stadttheater Bern. Die Volksbühne Berlin hat 400asa  ein­ge­la­den, den glei­chen Stoff im Rahmen der Feierlichkeiten zu Jean-Luc Godards 80igsten Geburtstag auf­zu­füh­ren. Leider ver­wei­gert das Stadttheater die Zusammenarbeit für die­se Aufführungen, so dass an der Volksbühne ein neu­es Werk – eine Rückerinnerung und Neuschöpfung derBerner Inszenierung – mit Schauspielern der Volksbühne – ent­ste­hen wird. Es ist bezeich­nend und sehr sym­po­ma­tisch, dass das Berner Stadttheater nicht fähig ist, auf die Bedürfnisse einer inter­na­tio­na­len Theaterszene zu reagie­ren und eine Inszenierung, die von einem der stil­bil­dend­sten Theater ein­ge­la­den wor­den ist, nicht in die Welt hin­aus­tra­gen will. Als hät­te das Berner Stadttheater gute Nachrichten nicht nötig. Den Berner Schauspielern wer­den also wich­ti­ge Erfahrungen vor­ent­hal­ten. Stattdessen lässt man sie bei schlech­ten Weihnachtsmärchen ihre ewig­glei­chen pro­vin­zi­el­len Nichtigkeiten vor­füh­ren. Ein biss­chen Berliner Luft hät­te ihnen durch­aus gut­ge­tan.

Fern aller Polemik:
Es zeigt sich zum wie­der­hol­ten Male, dass das Schauspiel am Stadttheater unbe­dingt aus dem trä­gen Mehrspartenbetrieb her­aus­ge­löst wer­den müss­te, um – erst recht bei den beschei­de­nen finan­zi­el­len Mitteln – dyna­mi­scher und erfolg­rei­cher arbei­ten zu kön­nen. Das neue Konzept KONZERT THEATER BERN sieht die­se Trennung der Sparten lei­der nicht vor, son­dern einen Direktor über vier Sparten. So wird wei­ter­hin – mit beschei­de­nen 37 Millionen Franken, erfolg­los ver­sucht wer­den, «inter­na­tio­na­le Ausstrahlung» zu errei­chen. Das Berner Stadttheater kann – mit der momen­ta­nen, aber auch mit der geplan­ten Struktur, Kunst, die das Potential für «inter­na­tio­na­le Ausstrahlung» hät­te, gar nicht ver­wal­ten. Die Grundstruktur ist zu sta­tisch, zu klamm, zu steif. An der Grundstruktur wird sich auch bei KONZERT THEATER BERN nichts ändern, nur heisst der Direktor dann CEO und ver­wal­tet anstatt drei vier Sparten. Eine Aufgabe, die mit 37 Millionen unmög­lich erfolg­reich zu bewäl­ti­gen ist.

Die freie Szene, die mit viel beschei­de­ren Mitteln, viel erfolg­rei­cher arbei­tet (wie das vor­lie­gen­de Beispiel von ONE PLUS ONE ja auch wie­der beweist) wäre eigent­lich – bei der kom­men­den Subventionsperiode ab 2012 – mit mehr mone­tä­ren Mitteln aus­zu­stat­ten. Es sieht aber lei­der danach aus, dass auch die Berner (frei­en) Kulturschaffenden kei­ne Energie haben, die­se Entwicklungen zu ver­hin­dern. Zu oft wur­den sie ver­grault und an sinn­lo­se Round-Tables gebe­ten. Es wün­schen sich zwar sehr vie­le kul­tur­in­ter­es­sie­re Berner ein bes­se­res Stadttheater, aber nie­mand scheint an den bestehen­den Verhältnissen wirk­lich etwas ver­än­dern zu kön­nen oder zu wol­len. So wird sich an der Berner Kulturpolitik 2012 gar nichts ver­än­dern und die Zuschauer – und mit Ihnen die Journalisten – wer­den auch die näch­sten dreis­sig Jahre sich über mit­tel­mäs­si­ges und lang­wei­li­ges Theater auf­re­gen müs­sen und/oder die­ses gar nicht mehr anschau­en gehen. Weiterhin wer­den 75% aller Kulturausgaben in ein lei­der erfolg­lo­ses Modell inve­stiert wer­den. Es ist nur zu hof­fen, dass die 50 Millionen Renovation des Stadttheaters – wenn sich nicht grund­le­gend etwas ändert – von den Berner Stimmbürgern ver­wor­fen wer­den wird. Eine span­nen­de Zweck- Allianz aus Kulturschaffenden und kul­tur­feind­li­chen SVP-Fanatikern wer­den den Bernern die­se Renovation hof­fent­lich aus­re­den. Und end­lich wird etwas pas­sie­ren. Zwar kein gutes Theater – aber die Berner haben dies wohl auch nicht ver­dient.

400asa aber bleibt und bringt Berner Kunst nach Peking, Chur, Tel Aviv und Berlin!

400asa – das Hauptstadttheater! Mehr über die Berliner Präsenz von 400asa: http://www.volksbuehne-berlin.de/praxis/eins_zu_eins/?id_datum=3071

Mit besten Grüssen
Samuel Schwarz
400asa

Bern 24.11.2010
Stellungnahme zur Pressemitteilung von 400 asa Sektion Nord
vom 23. November 2010

Natürlich freut sich auch das Schauspiel des Stadttheaters Bern über Einladungen in die gros­se wei­te Welt und natür­lich zei­gen wir unse­re Produktionen ger­ne auch an ande­ren Orten. Auch wir wis­sen, dass Reisen bil­det. Leider unter­schlägt Samuel Schwarz aller­dings gross­zü­gig eini­ge Fakten der Einladung nach Berlin:

Die Volksbühne war bereit Ein:Eins im Rahmen ihres Godard-Projektes zu zei­gen. Dieses Projekt ist an Godards Geburtstag gebun­den, der mög­li­che Spieltermin war also fix. Die Anfrage durch Samuel Schwarz kam am 13. Oktober 2010, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Spielpläne für Bern schon ver­öf­fent­licht waren. Eins:Eins soll­te im Grünen Salon gezeigt wer­den, einer Nebenspielstätte der Volksbühne mit 99 Plätzen. Am glei­chen Wochenende war in Bern die Wiederaufnahme von Andorra dis­po­niert, in der auch das Spiel-Ensemble von Eins:Eins beschäf­tigt ist. Die Volksbühne als Veranstalter war nicht bereit, sich an den für das Stadttheater ent­ste­hen­den Kosten in ange­mes­se­nem Rahmen zu betei­li­gen. Für das Stadttheater hät­te das Gastspiel bedeu­tet, die Reisekosten für Schauspieler und Technik über­wie­gend selbst zu tra­gen und gleich­zei­tig eine aus­ver­kauf­te Vorstellung von Andorra abzu­sa­gen. Zu den Reisekosten wäre also noch der Einnahmeausfall von 280 ver­kauf­ten Tickets gekom­men, vom Ärger der Besucher ganz zu schwei­gen. Samuel Schwarz hat vor­ge­schla­gen, wenig­stens Andri Schenardi nach Berlin zu schicken und den Rest der Produktion mit Berliner Schauspielern zu rea­li­sie­ren. Auch in die­sem Fall wäre es nicht zu einer künst­le­risch ver­tret­ba­ren Probensituation gekom­men. Zumal man das Stück auch noch aus der Schweizer Mundart, in der es ent­stan­den ist, ins Hochdeutsche über­tra­gen müss­te.

Eine der Berner Bühnenbildlösung, die immer­hin von Lutz und Guggisberg ent­wor­fen wur­de, ent­spre­chen­de Raumsituation wäre in Berlin auch nicht rea­li­sier­bar gewe­sen, somit stell­te sich die Frage, was denn eigent­lich dort zu sehen sein soll­te und für wie aus­tausch­bar Samuel  Schwarz die an sei­nen Produktionen betei­lig­ten Schauspieler hält. Es war nicht zu über­se­hen, dass das Gastspiel in Berlin im Wesentlichen dazu die­nen soll­te, Samuel Schwarz einen Auftritt in der von Schweizer Theatermachern ja so sehr geschätz­ten deut­schen Metropole zu ermög­li­chen. Wir haben uns ent­schie­den, das Projekt nicht wei­ter zu ver­fol­gen, weil wir Theater nicht als rei­ne Publicityveranstaltung betrach­ten, son­dern auch auf die künst­le­ri­sche Integrität unse­res Ensembles und unse­res Hauses ach­ten. Wenn Samuel Schwarz nun mit Berliner Kollegen eine  Neuinszenierung von Eins:Eins erar­bei­tet, ist das eine ver­nünf­ti­ge Lösung und wird sei­nen Ruf in der inter­na­tio­na­len Theaterszene sicher mehr för­dern, als ein künst­le­risch frag­wür­di­ger Kompromiss mit unmün­di­gen Stadttheater-Schauspielern. Das Stadttheater hat unlängst mit Gastspielen sei­ner Produktionen von Schimmelpfennigs „Der gol­de­ne Drache“ am Deutschen Theater in Berlin und Heiner Müllers „Quartett“ an der Folkwang Hochschule in Essen durch­aus Erfolge erzielt, und wir zie­hen es wei­ter­hin vor, uns mit Aufführungen zu prä­sen­tie­ren, die unse­ren Qualitätsansprüchen genü­gen.

Und bei aller Sympathie für die stil­bil­den­de Arbeit der Volksbühne, so gross wird die Ausstrahlung eines ein­ma­li­gen Gastspiels im Grünen Salon auf die deut­sche Theaterszene auch nicht sein, dass man jeden künst­le­ri­schen Anspruch auf­ge­ben muss, um dort auf­zu­tre­ten.

Oder, um es mal ganz deut­lich zu sagen: Wir hal­ten Eins:Eins, das schon in Bern nie­mand sehen woll­te, nicht für eine Produktion, die Berlin um jeden Preis braucht.

Erich Sidler
Leiter Schauspiel – Stadttheater Bern