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Sind Asylbewerber auch Menschen?

Von Klaus Bonanomi - „Die Würde des Menschen ist zu ach­ten und zu schüt­zen“, so lau­tet Artikel 7 unse­rer neu­en Bundesverfassung. Artikel 12 garan­tiert jedem Menschen in der Schweiz das Recht auf Nothilfe: „Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sor­gen, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein men­schen­wür­di­ges Dasein uner­läss­lich sind.“ Und Artikel 11 stellt klar: „Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf beson­de­ren Schutz ihrer Unversehrtheit und auf die Förderung ihrer Entwicklung.“

Unsere Verfassung garan­tiert also jedem Menschen hier­zu­lan­de Schutz, Hilfe und den Respekt vor sei­ner Menschenwürde, unge­ach­tet von Herkunft, Glauben oder poli­ti­scher Einstellung. Weltweit sind nach Schätzungen des UNO-Flüchtlingshilfswerks 20 Millionen Menschen auf der Flucht – auf der Flucht vor Krieg, Terror, Verfolgung und Diskriminierung, vor Armut, Krankheit und Hunger. 20 Millionen Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche sind auf der Suche nach Schutz und Hilfe, nach einem Leben in Würde. Nach all den Werten, die unse­re Verfassung schwarz auf weiss allen Menschen, schwarz oder weiss, hier­zu­lan­de garan­tiert.

Natürlich kom­men nicht all die­se Menschen bis ins rei­che Europa oder gar in die Schweiz. Der gröss­te Teil der Flüchtlinge schafft es höch­stens ins Nachbarland, in eine vom Bürgerkrieg weni­ger betrof­fe­ne Provinz, in die näch­ste Stadt oder in ein Flüchtlingslager. Allein im Sudan sind über 600‘000 Menschen vor dem Bürgerkrieg geflüch­tet; 300‘000 inner­halb des Landes, 100‘000 ins bit­ter­ar­me Nachbarland Tschad. Die drei afri­ka­ni­schen Länder wie Kongo, Burundi und Tansania beher­ber­gen ins­ge­samt 1,4 Millionen Flüchtlinge, obwohl sie sel­ber kaum die Mittel haben, um ihre eige­ne Bevölkerung rich­tig zu ernäh­ren und ihnen ein Leben in Würde und Entwicklungschancen für ihre Kinder zu bie­ten.

20‘000 Menschen haben letz­tes Jahr in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Das ist gera­de mal ein Promille aller Flüchtlinge welt­weit; Tendenz sin­kend. 26‘000 Menschen leben in der Schweiz als aner­kann­te Asylbewerber, wei­te­re 26‘000 sind bei uns, in einem der reich­sten Länder der Welt, vor­läu­fig auf­ge­nom­men wor­den. Doch die gros­se Mehrzahl der Asylgesuche wird abge­lehnt, und auch die neu­ste Asylgesetzrevision bringt neben dem Recht auf huma­ni­tä­re Aufnahme erneut stren­ge­re Vorschriften, kür­ze­re Rekursfristen und wei­te­re abschrecken­de Massnahmen.

Seit dem 1. April erhal­ten Asylsuchende, auf deren Gesuch nicht ein­ge­tre­ten wird, kei­ne Sozialhilfe mehr – dies trifft auch Kinder, Frauen, alte und kran­ke Menschen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe warnt: Tausende von Menschen wer­den damit, anstatt in Würde bei uns leben zu kön­nen, auf die Strasse gestellt und in die Illegalität gestos­sen. „Diese Vertreibungspolitik ist der Schweiz mit ihrer lan­gen huma­ni­tä­ren Tradition unwür­dig und bedroht die ethi­schen und mora­li­schen Grundwerte unse­rer Gesellschaft.“

„Der Standort Schweiz hat an Attraktivität ver­lo­ren“, höhnt hin­ge­gen der SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli in einer zyni­schen Kolumne in der Weltwoche. Die Verschärfungen im Asylgesetz gehen ihm noch viel zu wenig weit: „86 Prozent aller Gesuchsteller haben kei­ne Ausweispapiere. Heute winkt jenem Asylbewerber am ehe­sten Erfolg, der das Verfahren am kon­se­quen­te­sten hin­ter­treibt: durch Renitenz und Nichtkooperation“, heisst es wei­ter in dem Text. Und allen Ernstes fragt Mörgeli: „Asylferien für alle? Die Sozialindustrie wird‘s freu­en. Sie lebt unmit­tel­bar von den Asylkonsument(inn)en.“

Würden Sie, Herr Mörgeli, ger­ne „Asylferien“ in einem über­füll­ten Flüchtlingslager machen? Glauben Sie, dass Folterer ihren Opfern Quittungen aus­stel­len? Denken Sie, dass in Bürgerkriegsländern die Einwohnerkontrolle mit schwei­ze­ri­scher Perfektion funk­tio­niert, so dass sie jedem, der bei Nacht und Nebel not­fall­mäs­sig flüch­ten muss, innert nütz­li­cher Frist und gegen eine beschei­de­ne Bearbeitungsgebühr die not­wen­di­gen Reisepapiere zur Verfügung stel­len kann? Sind für Sie Asylbewerber auch Menschen?

Auch für Weltwoche-Kolumnisten gilt bei Ausübung ihrer Tätigkeit Artikel 7 unse­rer Bundesverfassung: „Die Würde des Menschen ist zu ach­ten und zu schüt­zen.“ Vielleicht denkt Christoph Mörgeli beim näch­sten Mal dar­an.

Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch

ensuite, Juni 2004