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Sherlock Reloaded

Von Morgane A. Ghilardi – Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes war bei sei­ner Entstehung inso­fern kein Unikum, als es die Detektivgeschichte schon gab. Edgar Allan Poe hat­te schon die ersten Schritte in die Richtung gemacht, als Wilkie Collins’ «The Moonstone» 1868 die Enthüllung eines Verbrechens zu einer popu­lä­ren Materie mach­te. Doyle ver­ein­te spä­ter sein Interesse an foren­si­scher Medizin – medi­zi­ni­sches Wissen also, wel­ches u.a. zur Aufklärung von Verbrechen ange­wen­det wird – mit sei­nem schrei­be­ri­schen Können, um zur Koryphäe des Genres empor­zu­stei­gen. Es ent­stand ein ver­blüf­fen­der Charakter, der noch ver­blüf­fen­de­re Fälle löst. Sherlock Holmes ist exzen­trisch, über­heb­lich, manisch, und natür­lich bril­lant. Trotz sei­ner vie­len Fehler und sei­ner gene­rel­len Abneigung gegen­über mensch­li­chen Beziehungen bleibt Dr. John Watson ihm treu und wird zu sei­nem Biographen. Die Darstellung ihrer Beziehung und der Abenteuer, wel­che die bei­den über­le­ben, eig­net sich ohne Zweifel zu der Umsetzung in die fil­mi­sche Form, was man auch seit den 1920er Jahren fleis­sig aus­ge­nutzt hat.

Auch Guy Ritchie konn­te die Finger nicht davon las­sen. Er hat explo­si­ven Stoff dar­aus gemacht, vol­ler Verfolgungsjagden, Schiessereien und extre­men Zeitlupensequenzen. Robert Downey Jr. war kei­ne schlech­te Wahl für die Verkörperung des neu­ro­ti­schen Genies, das seit über einem Jahrhundert in den popu­lä­ren Medien immer wie­der reinkar­niert wird. Doch weder im ersten noch im zwei­ten Film brach­te er es fer­tig, eine plau­si­ble, fes­seln­de oder ver­blüf­fen­de Geschichte zu erzäh­len. Moriarty, Sherlocks Nemesis, ist schluss­end­lich zwar cle­ver, aber wie der gan­ze Plot ist er nur eine fla­che Ausrede für Sherlocks coo­le Moves. Hinter sei­nem fie­sen Plan steckt kein Wahnsinn, der sein Genie anfeu­ert, son­dern nur Geldgier und unmo­ti­vier­te Terrorlust. Eine unter etli­chen Verfilmungen ist Ritchies «Sherlock Holmes» (2009) sicher nicht die erste, wel­che das Ziel ver­fehlt hat.

Die Mängel von Ritchies Actionabenteuern wir­ken aber beträcht­lich, wenn man sieht, was die BBC mitt­ler­wei­le pro­du­ziert hat. 2010 star­te­te die Serie «Sherlock». Mit den drei spiel­film­lan­gen Episoden der ersten Staffel fei­er­te der Sender einen rie­si­gen Erfolg. Als Sherlock bril­liert Benedict Cumberbatch, neu­lich in «War Horse» (2011) und «Tinker, Tailor, Soldier, Spy» (2011) zu sehen. Nicht nur passt Cumberbatchs son­der­ba­res aber attrak­ti­ves Äusseres zu einer glei­cher­mas­sen eigen­ar­ti­gen Figur, er scheint die diver­sen Sonderlichkeiten des Charakters völ­lig nach aus­sen gekehrt zu haben. Seine Unfähigkeit, mit Menschen umzu­ge­hen, die Drogensucht, die Kollision von tota­ler Rationalität mit unge­bän­dig­ter Irrationalität – er beherrscht Sherlock kom­plett. Die Rolle des Jim Moriarty, des wahn­sin­ni­gen Genies, das als Sherlocks Alter-Ego fun­giert, ist eben­so per­fekt besetzt.

Das Gelingen die­ser Konstellation schul­det «Sherlock» jedoch natür­lich auch Steven Moffat und David Gatiss, Autoren der Serie. Nicht nur zeigt sich ihre tota­le Vertrautheit mit Doyles Stoff, sie haben es geschafft, die­sen in unse­re Zeit zu über­set­zen. Sherlock hand­habt sei­nen Beruf mit iPhone, digi­ta­lem Mikroskop und neu­ster foren­si­scher Technik. In einer Welt, in deren Informationsüberfluss man prak­tisch ertrin­ken könn­te, wirkt Sherlocks Fähigkeit, schein­bar irrele­van­te Daten als wich­ti­ge Puzzlestücke zu erken­nen, umso beein­drucken­der. Moffat, der für die genia­le­ren Folgen der Science-Fiction-Serie «Doctor Who» ver­ant­wort­lich zeich­net, hat zwei­fel­los eine Begabung, kom­pli­zier­te Plots zu spin­nen. Koautor Gatiss ver­kör­pert auch die Rolle von Sherlocks Bruder Mycroft Holmes, einem Agenten der Krone, der genau­so exzen­trisch ist wie sein Bruder.

Während in der ersten Staffel Sherlocks Eigentümlichkeiten und sei­ne Beziehung zu Watson ergrün­det wer­den, gerät der Superdetektiv in der zwei­ten Staffel stark ins Schwanken. In den Händen der ihm eben­bür­ti­gen Domina Irene Adler wird er hilf­lo­ser als es ihm lieb ist. Seine Reaktion auf einen Menschen – auf eine Frau! –, der auf der sel­ben Ebene wie er funk­tio­nie­ren kann, ist uner­war­tet, köst­lich und berüh­rend. Deshalb ist auch das Duell der Geister, wel­ches sich zwi­schen ihm und Moriarty wei­ter ent­fal­tet, so wun­der­bar span­nend.
Wer sich also von Ritchies «A Game of Shadows» (2011) nicht beein­drucken liess, soll­te Sherlock Holmes mit die­ser moder­nen Fassung noch­mals ange­hen. Hat man sich durch die ersten zwei Staffeln gear­bei­tet – oder die­se genos­sen – wird man garan­tiert sehn­lichst auf die drit­te war­ten.

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2012