Shakespeares Rückkehr

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(Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline)

Es ist kein gutes Zeichen für Europa und die Schweiz, aber wir sind zurück im Reich Shakespeares.

Wenn ich mich recht erin­ne­re, war das in mei­ner Jugend anders. Damals schien alles in Beton gegos­sen: FDP, Banken, Militär. Die Leute, die Lehrer, selbst die Luft waren vor Gewissheit so dick­flüs­sig wie Haargel, und wer noch ein Herz hat­te, träum­te von einer Bombe.

Um Zerstörung muss sich heu­te nie­mand mehr küm­mern. Politiker, Manager, Firmen, gan­ze Staaten tau­meln und stür­zen. Dauer ver­spricht heu­te kei­ner mehr. Was wird in fünf Jahren sein? Niemand weiss es.

Das Epizentrum der Skandale hat sich ver­la­gert. Die Schweiz vor 30 Jahren erschüt­ter­ten Politik‑, Militär- und Geheimdienstskandale. Heute gibt es sol­che zwar noch, aber sie blei­ben Anekdoten. Die gros­sen Skandale sind seit 15 Jahren fast aus­schliess­lich Wirtschaftsskandale.

Der Grund ist klar: Echte Skandale ent­ste­hen nur im Zentrum der Macht. Und die­se hat sich mit den Strömen des Geldes ver­scho­ben: von der Politik zu den Konzernen. Und auch ihre Struktur hat sich geän­dert: Waren Skandale im Kalten Krieg meist nach dem Rechts-gegen-Links-Schema orga­ni­siert und war meist ein klei­nes Telefonbuch von Akteuren dar­in ver­wickelt, lesen sich die Skandale von heu­te ver­blüf­fend oft wie Königsdramen.

So wie die Rückkehr der gros­sen Villen, der phan­ta­sti­schen Gehälter, der Yachten und der Privatjets sind die­se Sorte Skandale Symptome einer Rückkehr einer Feudalgesellschaft: Konzerne funk­tio­nie­ren hier­ar­chi­scher als Demokratien.

Richard III als Gründer der UBS

Will man die heu­ti­gen Skandale beschrei­ben, fällt fol­gen­des auf: Sie schil­lern zwi­schen Abstraktion und Kammerspiel. Einerseits sind lau­ter anony­me Akteure am Werk: Märkte, Derivatprodukte, Börsen, Währungen, etc. Anderseits  lesen sie sich als per­sön­li­che Tragödien der jewei­li­gen Chefs.

So lies­se sich etwa der Bankrott des Swissair-Konzerns etwa wie folgt beschrei­ben:

  • Philippe Bruggisser, ein erprob­ter Kostenoptimierer, wird Chef der Flugfirma Swissair, deren Expansionspläne er zuvor bekämpf­te. Drei Jahre lau­fen vor allem Sparprogramme. Dann, in weni­gen Monaten, kauft Bruggisser für Milliarden ein Imperium von 10 maro­den Fluglinien zusam­men. Als sich Ende 2000 die Verluste sum­mie­ren, wird der über Jahre stum­me Verwaltungsrat ner­vös. Er ver­langt eine neue Strategie. Bruggisser reagiert mit Verachtung. Als er im Januar 2001 ent­las­sen wird, brü­tet der ein­sti­ge har­te Sanierer gera­de über einer letz­ten, alles ent­schei­den­den Fusion: mit der maro­den Riesenairline Alitalia.
  • Eric Honegger war der kom­men­de Mann des Zürcher Wirtschaftsfreisinns. Als er zum Regierungsrat des Kantons Zürich gewählt wird, kün­digt er an, höch­stens 12 Jahre zu blei­ben, um nach den zähen Mühlen der Politik den schar­fen Wind der Wirtschaft zu spü­ren. Und er hält sein Versprechen. Nach sei­nem Rücktritt wer­ben ihn die pro­mi­nen­te­sten Verwaltungsräte des Landes an: UBS, NZZ, Swissair.  Die letz­te­ren zwei sogar als Präsident. Doch bei Swissair sum­mie­ren sich unver­mit­telt die Verluste. Honegger feu­ert ohne jeden Plan den all­mäch­ti­gen Bruggisser und wird bald dar­auf  selbst CEO. Wenige schreck­li­che Wochen fol­gen. Dann wird Honegger eben­falls gefeu­ert. Erst bei Swissair, dann bei UBS und NZZ. Seitdem lebt er als Unperson.
  • Mario Corti, Finanzchef bei Nestlé, ist erst ein Jahr im Swissair-Verwaltungsrat, als im März 2001 sämt­li­che sei­ner Kollegen dar­aus flie­hen. Corti bleibt allein in der Chefetage zurück. Er setzt in Bewegung, was er kann, und beschwört den Glanz der alten Swissair. Dann, nach dem 11. September 2001, geht das Geld aus. Weder Bundesrat, noch Banken geben Kredit. Der Konzern kracht zusam­men.

All die­se Schicksale fol­gen klas­si­schen Dramenstrukturen: Der Buchhalter, der zum Visionär wird; der gelang­weil­te Politiker, des­sen Wunsch nach Sturm erhört wird; der ein­sa­me Held, der alles ver­sucht – und ver­liert.

Ähnlich lies­se sich die Geschichte vie­ler Konzerne erzäh­len. Etwa der UBS – mit den mil­li­ar­den­teu­ren Dramen um die Chefs Wuffli, Ospel, Kurer und Grübel. Schon der Gründer lie­fer­te eine klas­si­sche Theatervorlage: Mathis Cabiallavetta, seit kur­zem Chef der frü­he­ren Bankgesellschaft, hat eine Leiche im Keller: gefähr­li­che Verluste in der von ihm zuvor geführ­ten Derivateabteilung. Um die­se ver­schwin­den zu las­sen, tut Cabiallavetta etwas unglaub­lich Kühnes: Er fusio­niert sei­ne Bank mit dem klei­ne­ren Bankverein. Und ver­rät dabei fast alle Kader sei­ner Bank: Die Schlüsselpositionen gehen alle an den Bankverein. Bis auf den Top-Job, der an Cabiallavetta geht. Wenn auch nur für kur­ze Zeit, denn ein wei­te­rer Milliardenverlust bei einem Hedge-Fonds bricht ihm das Genick.

Das Drama das Skelett, die Fakten das Fleisch

Für die Angestellten und den Rest des Landes sind sol­che Dramen kei­ne gute Botschaft. Ein Einzelner fällt, und Tausende fal­len mit ihm. So wie frü­her die Sklaven des Pharao mit die­sem begra­ben wur­den, um ihm noch in der Unterwelt zu die­nen.

Für Journalisten aber sind es gross­ar­ti­ge Geschichten. Denn der Vorteil eines Königsdramas, wo immer man es ent­deckt, ist, dass es sich erzäh­len lässt. Seine Struktur ist alt, ein­fach, und sie hat Wucht: Ein Mann kommt zur Macht, hat Erfolg und schei­tert. Und – dra­ma­tur­gisch erfreu­lich – er schei­tert fast immer dar­an, dass er sein Erfolgsrezept wie­der­holt.

In die­se simp­le, aber wirk­sa­me Struktur lässt sich viel kom­ple­xe Information ein­bau­en, deren Organisation sonst Schwierigkeit gemacht hät­te: zur Person, aber vor allem zur Branche und zu den jeweils herr­schen­den Machtverhältnissen. Im Falle Bruggissers zum Beispiel fol­gen­de Punkte:

  • Der Wandel des Fluggeschäftes von einem welt­wei­ten Kartell vor 1990 zu einem bru­ta­len Pennymarkt mit rie­si­gen Fixkosten, klei­nen Gewinnen, enor­mer Konjunkturabhängigkeit.
  • Die pre­kä­re Ausgangslage der mit­tel­gros­sen Swissair in einem Markt, in dem nur noch die ganz Grossen und die ganz Kleinen über­le­ben.
  • Der Fakt, dass die Swissair-Fluglinien zum Ergebnis fast nichts bei­tru­gen. Sondern die Catering-Kette Gate-Gourmet und die Kioskkette Nuance. (Beide von Bruggisser auf­ge­baut.) Also dass der stol­ze Konzern eigent­lich eine Kantine mit ange­häng­ter Fluglinie war.
  • Die enor­me Komplexität, zu der die Steueroptimierung wie die poli­ti­sche Isolation der Schweiz den Konzern brach­te. Bruggisser orga­ni­sier­te den Konzern zu einem undurch­schau­ba­ren Geflecht von über 260 welt­wei­ten Einzelfirmen mit unter­schied­li­cher Rechtslage und gegen­sei­ti­gen Verbindlichkeiten, also Rivalitäten: So dass nie­mand (aus­ser viel­leicht Bruggisser selbst) wuss­te, wie viel Geld in der Kasse war.
  • Der Grund, war­um  Bruggissers Fall zum Königdrama wur­de: Er hat­te sich inner­halb des Konzerns eine Parallelmachtstruktur aus Beratern auf­ge­baut. Angeblich, um schnel­ler zu arbei­ten.
  • Die Folge: Das nomi­nel­le Swissair-Management spiel­te im gan­zen Drama bis zum Ende kei­ne Rolle. Was beson­ders kata­stro­phal war, als die 10 maro­den Fluglinien fusio­niert, also gema­nagt wer­den soll­ten: 10 Kulturen, 10 Flotten, 10 Informatiksysteme, 10 Flugpläne, 10 Rechtslagen, etc.
  • Die Beobachtung, wie wenig Chancen ein Verwaltungsrat gegen das Management hat. Bruggisser arbei­te­te 18 Stunden pro Tag. Der Verwaltungsrat – die Crème des Schweizerischen Wirtschaftsestablishments – beschäf­tig­te sich nur punk­tu­ell mit dem super­kom­ple­xen Konzern. Kein Wunder, nick­ten die Verwaltungsräte selbst Milliardengeschäfte in Minuten ab. Wenn Bruggisser die Luft ein­zog, hin­gen sie wie ein Schnurrbart unter sei­ner Nase.
  • Der Fakt, dass Bruggissers im Nachhinein hart kri­ti­sier­te Expansionsstrategie so wenig ori­gi­nell war wie sei­ne Sparstrategie zuvor: Ende der neun­zi­ger Jahre expan­dier­ten zu New-Economy-Zeiten alle: Banken, Versicherungen, Industrieunternehmen. Sie taten es genau so radi­kal, wie sie Anfang der Neunziger den Rotstift ange­setzt und Personal gefeu­ert hat­ten. Selbst ein so ein­sa­mer Mann wie Bruggisser folg­te hier nur der Mode.

Aber zur Tragödie gehö­ren auch fol­gen­de Punkte:

  • Der Legende nach konn­te Bruggisser in einer Excel-Tabelle von 1000 Positionen innert Sekunden den kri­ti­schen Punkt fin­den.
  • 1998 stürz­te eine Swissair-Maschine über Halifax ab. Kompetent bera­ten, kom­mu­ni­zier­te Bruggisser das Unglück schnell, klug und ein­fühl­sam. Die Folge war: Zum ersten Mal in sei­nem Leben wur­de der küh­le Konzernchef nicht nur respek­tiert, son­dern geliebt. In den Monaten dar­auf tätig­te er alle sei­ne Einkäufe.
  • Tolle Zitate wie «Management ist ein Hochleistungssport» oder, als die Krise voll aus­ge­bro­chen war: «Jetzt braucht es Eis im Bauch!»
  • Absurdes nach dem Fall: Etwa, dass die Swissair-Gläubiger Betreibungen von über 5 Milliarden Franken bei Bruggisser depo­nier­ten oder dass er, wie Bekannte sag­ten, sich eine rie­si­ge Modelleisenbahnanlage im Keller auf­bau­te.

Kurz: Das Königsdrama (Aufstieg – Erfolge – Krise – Fall) ist das per­fek­te Skelett, um kom­ple­xe Fakten erzäh­len zu kön­nen. Im Fall Swissair etwa über die Airline-Branche, die Konzernbuchhaltung, die inter­ne Machtmechanik des Konzerns und die Managementphilosophien der 90er-Jahre. Diese Fakten sind das Fleisch. Und not­wen­dig. Ohne sie, als rei­nes Chefdrama erzählt, blie­be vom Konzern nur noch ein ein­zi­ger Mann übrig, also ein Gespenst: das wan­deln­de Skelett des Bosses.

Traue kei­nem König!

Denn die Falle bei die­ser Sorte Geschichte ist: dem Königsdrama zu sehr zu glau­ben und zum Höfling zu wer­den. Das pas­siert nicht nur in den Heldengeschichten (“Manager des Monats!”), son­dern auch in den Geschichten, wo der geschei­ter­te Konzernchef als allei­ni­ger Versager gezeich­net wird. Auch letz­te­res ist – im Negativen – nichts ande­res als eine blin­de Verbeugung vor der Macht im Nachhinein. Sowohl das «Hosianna!» wie auch das «Kreuzigt ihn!» sind die Privilegien eines Jesus Christus.

Bei nüch­ter­nem Blick zeigt sich, dass Manager bei aller per­sön­li­cher Macht meist vor allem Produkte ihrer Umstände sind: der wan­deln­den Märkte, der Aufstellung des Konzerns, der wech­seln­den Management-Moden und Spielbälle des Glücks. Die Erfolgreichen von heu­te sind oft die Gescheiterten von mor­gen und manch­mal umge­kehrt. Was am König inter­es­sant ist, sind die Zeiten, die ihn beför­dern oder nicht.

So ist auch die Dramatik in Teppichetagen und Banken nicht aus dem Nichts gekom­men. Sondern das Resultat der Umstände: der glo­bal befrei­ten Geldflüsse, einer Ideologie, einer davon pro­fi­tie­ren­den Kaste und nicht zuletzt das Resultat einer Politik, die durch Schleifen von Regulierungen und Steuererleichterung die Macht an die Konzerne abge­ge­ben hat. Und die, wenn es hart auf hart kommt, kla­re Entscheidungen trifft: Banken und ihre Aktionäre wer­den geret­tet, Angestellte nicht.

Es ist unmög­lich – nicht ein­mal auf dem Theater – einen König allein zu spie­len. Ihn spie­len die ande­ren Schauspieler, durch Ehrerbietung.

Aber mehr dazu näch­ste Woche.

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