Seit jeher unter­wegs: Literarische Fragmente 15

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Von Konrad Pauli – Gelegentlich wur­de er auf eine angeb­li­che Unfähigkeit hin­ge­wie­sen: Für die Zeitung war er unter­wegs in Paris, hat­te einen Bericht zu schrei­ben über eine Modigliani-Ausstellung. Als Mann der Presse hat­te er sich mühe­los den Katalog und die Dokumentation beschafft. Nun zwäng­te er sich Schrittchen für Schrittchen durch die Zuschauermenge, die ihm nur ab und zu einen Sekundenblick auf einen Viertel eines Modigliani-Bildes gewähr­te. Selbst die­ser klei­ne Ausschnitt liess ihn frei­lich das gan­ze Bild erken­nen, so gut kann­te er den Künstler. Dennoch ver­fehl­te er so das Werk, das Original. Er gab auf, zog sich zurück in die Ecke eines Bistros, war hin­ter Glas gebor­gen und hat­te den­noch frei­en und wei­ten Blick auf den Boulevard. Und er setz­te die Ausstellungswanderung fort, Seite für Seite im Katalog. Jetzt war er den Bildern nahe. – Solche Erfahrung schrieb er für die Zeitung nie­der in einer Glosse. Tage spä­ter kam er in den Genuss eines Leserbriefes – ihm wur­de ent­ge­gen­ge­hal­ten, die Abbildung erset­ze nie­mals das Original, das sei ein Irrtum, auch wenn dies ein Kunstkritiker so sehen moch­te. Indessen hat­te er, was ihm der Briefschreiber vor­warf, nie behaup­tet. Er wag­te bloss mit­zu­tei­len, dass er im Bistro mit dem Katalog dem Werk Modiglianis näher war als im Museum. Eben dies durf­te wohl nicht sein.

Foto: zVg.
ensuite, März 2011

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