Seidenstrasse: Eine neue Geschichte der Welt

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Von Dr. Regula Stämpfli - Wir sind eine Familie mit unter­schied­li­chen Zungen. Die Kids waren in einer fran­zö­sisch­spra­chi­gen Krippe, Papa kehl­te auf schot­tisch und Mama äuä­te auf bärn­düütsch (d´Lorreeenä bin i). Sehr bald stell­ten wir fest, dass sich gewis­se Vorgänge in der einen oder ande­ren Sprache bes­ser aus­drücken lies­sen. Liebeswörter gin­gen auf bärn­düütsch eben­so gut wie Essenswünsche auf fran­zö­sisch. Auch flu­chen klang bei Mama tau­send­mal bes-ser als das «f****» im Englischen oder das «p*****» en fran­çais. Intellektuell einig­ten wir uns bezüg­lich Sprachen aber dar­auf, dass Philosophie eigent­lich nur auf deutsch und (alt)griechisch gehe, da sie auf fran­zö­sisch oder eng­lisch schreck­li­che Verwirrung und Geschwafel anrich­ten wür­de. Doch Geschichte (und da waren wir uns zu 100% einig) ist indes­sen das Fach der Briten: Es gibt kei­ne Autor*Innen, die so gut erzäh­len kön­nen wie die anglo-ame­ri­ka­nisch stu­dier­ten Historisierenden. Eric Hobsbawms «Zeitalter der Extreme» ist nach wie vor eine der besten Weltgeschichten des 20. Jahrhunderts, «Die Schlafwandler» von Christopher Clark brin­gen den Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf den Punkt und der Oxfordianer Philipp Blom (Wiener Ursprung) hat mit «Der tau­meln­de Kontinent 1900–1914» und «Die zer­ris­se­nen Jahre 1918–38» alles erklärt, was es zur west­li­chen Moderne zu wis­sen gibt.

Nun gibt es wie­der ein Oxford-buch, das tat­säch­lich den Titel einer wirk­lich neu­en Geschichte der Welt ver­dient: Silk Road.

Peter Frakopan erzählt uns die Weltgeschichte nicht von Europa aus, son­dern von Persien, resp. dem Mittleren und Nahen Osten. Er tut dies so ein­drück­lich und klar, dass man nach der Lektüre völ­lig erstaunt ist, jemals den Mittelpunkt des Weltgeschehen nach Europa gelegt zu haben. Frankopan lässt Seide, Porzellan, Papier über die Handelswege zie­hen, erzählt von isla­mi­schen Gelehrten, die die Antike ret­te­ten, und erklärt den Nahostkonflikt mit der Erschliessung der Rohstoffe. Das Christentum ist eigent­lich eine öst­li­che Erfindung, und Syrien, Afghanistan und Irak blei­ben bis heu­te die Brennpunkte für glo­ba­le Politik. Wie konn­ten wir euro­päi­sche und ame­ri­ka­ni­sche Dösels dies nur sooo lan­ge ver­schla­fen?

Frankopans «Licht aus dem Osten» – im Original nur «Silk Road» (was viel cle­ve­rer ist) – liest sich wie ein gutes Magazin zu Croissant und Cappuccino beim Sonntagsfrühstück: Culture, Sex, Crime, Horror und Politics (wobei letz­te­res lei­der meist syn­onym sind) inbe­grif­fen. Aus den Karawanenstrassen wer­den Schiffsverkehr, Flugrouten und Daten-strö­me. Aus der Seidenstrasse stam­men Sklaven, Baumwolle, Pelze, Öl und schliess­lich die Geisteskraft der Migrantinnen und Migranten. Natürlich hat dem Westen bis­her der Blick für das Ganze in der Geschichte gefehlt! Und genau des­halb ist Europa heu­te so ziem­lich ver­al­tet! Denn wer die gros­sen Bilder, die gros­sen Themen und die gro­ben Muster nicht erkennt, kann auch nichts Grosses wagen.

Historisch gese­hen war also Europa wäh­rend Jahrhunderten nur ein Wurmfortsatz des Ostens. Selbst das Christentum hat sei­nen Erfolgszug im Osten begon­nen: Denn ganz ehr­lich! Die Geschichten von Dürre und Hungersnöten, von Insektenplagen und Hochwassern ent­spra­chen öst­li­chen Erlebnissen und nicht einer baum-zen­trier­ten Heidenkultur nörd­lich der Alpen. Interessant ist auch Frankopans Beobachtung, dass sich Religionen nicht mit dem Schwert, son­dern mit den Kaufleuten durch­set­zen – so besteht also durch­aus Hoffnung, dass der Blutislamismus wirk­lich nur eine gräss­li­che Episode in der Weltgeschichte blei­ben wird.

Wer Dantes Inferno mag, ist bei Frankopan auch gut bedient. Das Kapitel über die gros­se Pest muss unbe­dingt ver­filmt wer­den. Noch nie hab ich den Weg der Floh über Pelze und Felle vom Osten nach dem Westen so gut ver­stan­den. Darüber hin­aus wur­de mir klar, dass aus­ge­rech­net die Pest Europa eigent­lich zum Aufschwung ver­half. Da ein Drittel der Bevölkerung dahin­starb, wur­de die Arbeitskraft knapp, dafür höher geschätzt und bezahlt. Auch die Ernährung wur­de end­lich wie­der ver­fei­nert, und das irre euro­päi­sche Durcheinander nahm wie­der etwas Kultur für die Massen auf.

Frankopan bestä­tig­te also unse­re Familien-Theorie der eng­lisch­spra­chi­gen Geschichtsschreibenden ein­mal mehr. Bis die Freundin einer mei­ner Kids auf­tauch­te. Südamerikanerin. Und da harrt schon die näch­ste Weltgeschichte. Denn davon liest man bei Frankopan ver­ständ­li­cher­wei­se nichts – er woll­te ja die Seidenstrasse beschrei­ben. Dass Frankopan indes­sen Ghandi mit kei­nem Wort erwähnt, erstaunt mass­los. Doch da kann man ja getrost bei Arundhati Roy blät­tern und auch dort mit offe­nen Staunen eine ganz ande­re Weltgeschichte erfah­ren.

 

Peter Frankopan: Licht aus dem Osten. Rowohlt Berlin Verlag, 941 Seiten, 2016

 

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