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Schöne neue Welt

ensuite_BETitelseiteVon Lukas Vogelsang – Der Kolumnist Jakob Augstein schrieb im «Spiegel» zum neu­en Buch von Frank Schirrmacher, «Ego – Das Spiel des Lebens», fol­gen­de bemer­kens­wer­te Zeilen: «Es ist die Aufgabe von Intellektuellen, auf Ideen zu kom­men. Schirrmachers neu­es Buch erin­nert dar­an, dass wir gar nicht so vie­le Leute im Land haben, denen mal ein Licht auf­geht.» Ich über­le­ge mir, wel­che Schweizer Intellektuellen heu­te zu nen­nen wären – und ich mei­ne damit die Lebenden. Mir kom­men Jean Ziegler und viel­leicht noch Peter Bichsel in den Sinn – dann zieht eine dür­re Wüste durch mei­ne Erinnerung. Und wie steht es mit dem «Nachwuchs»?

Das Buch «Ego – Spiel des Lebens» ist in der Tat eine irr­sin­ni­ge Reise durch die Geschichte (seit dem Kalten Krieg) und die men­ta­le Evolution des Menschen. Der Autor Frank Schirmmacher, Journalist und Herausgeber der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», ver­steht es sehr über­zeu­gend, die «Spielregeln» zu erklä­ren, und man erschrickt dabei, wenn man sei­ne eige­nen Handlungen in sei­nen Ausführungen erklärt sieht. Das Buch ist aber alles ande­re als eine psy­cho­lo­gi­sche Abhandlung über den Menschen. Bei Schirrmacher klingt das näm­lich so: «Irgendwie ist uns in Europa ent­gan­gen, mit wel­chen gigan­ti­schen Hoffnungen die Wall Street ihre Physiker emp­fing: als Menschen, die gemein­sam mit den Ökonomen etwas schaf­fen wür­den, das der Atombombe gleich­kä­me. (…) Es war die Verschmelzung von Ökonomie, Physik und Gesellschaftstheorie zu einer neu­en Praxis der sozia­len Physik.» Schirrmacher zeich­net eine gefähr­li­che und rea­le Matrix auf – und wir ver­ste­hen, wor­auf im gleich­na­mi­gen Film «Matrix», oder aber auch dem «5. Element» ange­spielt wur­de. Das klingt nach Verschwörungstheorien? Lesen Sie das Buch – man erschrickt dabei.

Ich fra­ge mich aller­dings über den akti­ven Willen die­ser «sozia­len Physik». Wer designt denn sol­che Masterpläne, wie sie Schirrmacher beschreibt? Gibt es über­haupt einen wil­lent­li­chen Ursprung, oder sind das alles in der Tat die selbst­ge­stell­ten Fallen des Menschen, in die er rein­fällt? Sind die AmerikanerInnen schuld oder ein­fach nur blind?  Mir fehlt ein Hinweis auf «das Superhirn». Die NSA-Affäre und die Aufdeckungen der Whistleblower geben hier aller­dings eine irri­tie­ren­de Antwort: Edward Snowden,  Julian Assange, Bradley Manning sind Schuldige und wer­den ver­ur­teilt, gera­de weil sie die Existenz die­ser, von Frank Schirrmacher beschrie­be­nen, mäch­ti­gen Drahtzieher  offen­ge­legt haben. Wer noch tie­fer gräbt, wird viel schlim­me­re Dinge ent­decken. Bis jetzt haben wir nur das Offensichtliche erspürt. Und wie es die Werbeindustrie  ver­spricht: Das war noch nicht alles!

Diese Diskussion passt, auch in der Kultur gibt es die­se Spielregeln. Ich habe mich bereits auf Facebook dar­über aus­ge­las­sen – wobei ich mir bewusst bin, dass ich mich damit  auf dem glei­chen Spielfeld der «Spieltheorie» bewe­ge. In Bern herrscht Sparzwang, und poli­ti­sche Kreise wol­len bei der Berner Kunst Einsparungen machen: Das Kunstmuseum Bern und das Zentrum Paul Klee soll­ten zu einer Institution ver­schmel­zen, der Berner Kunsthalle sol­len die Subventionen gekürzt wer­den, die Renovation des KonzertTheaterBern ist zu teu­er. Über die musea­le Zusammenlegung gibt es einen Bericht der klar auf­zeigt, dass ein Zusammenschluss kei­nen Sinn ergibt. Dieser wur­de noch im letz­ten Jahr publik gemacht und von der Projektleitung im März 2013 bestä­tigt. Doch ein hal­bes Jahr spä­ter sind die BeraterInnen noch immer auf der Suche nach einer Lösung. Welcher Lösung?

In der Kultur – und natür­lich auch in allen ande­ren Themen, wie Energie, Sozialwesen, Wirtschaft, etc… – wird nicht nach Inhalt ent­schie­den, nicht nach Funktion, son­dern nach den Interessen eini­ger Gruppen – in den sel­ten­sten Fällen sind dies aber die Kulturschaffenden sel­ber, denn die­se haben wenig poli­ti­sche und/oder wirt­schaft­li­che  Ambitionen – mal vom Überlebenseinkommen abge­se­hen. Und wir reden nicht von den frei­en Kulturszenen, son­dern den Institutionen, in wel­chen StiftungsrätInnen,  VerwaltungsrätInnen, Leitende Angestellte, DirektorInnen, ManagerInnen, PolitikerInnen, Kunstsammler‑, oder ErbmillionärInnen das Sagen haben. Es sind nicht die  Intellektuellen, wel­che über Kulturelles nach­den­ken und ent­schei­den, son­dern jene, wel­che die Spielregen so auf­ge­stellt haben, dass der Profit in den eige­nen Rängen bleibt.  Wir müs­sen da kei­ne Illusionen haben. Kunst ist ein Investitionsmarkt. Das ist mit­un­ter der Grund, war­um «Kulturelles» immer nur als «wich­tig» betrach­tet wird, und  jeg­li­che inhalt­li­che Diskussion oder kon­zep­tu­el­le Form für die Stadtentwicklung ver­nach­läs­sigt wird. Immerhin hat in Bern die­ser Ego-Prozess in der Kultur erst vor ca. 20  Jahren offi­zi­ell Fuss gefasst – vor­her waren die finan­zi­el­len Profitmöglichkeiten schlicht zu gering und die Institutionen zu marod. Mit dem Wechsel in der Kulturabteilung,  als der Liberalismus in die Kultur ein­zog, wur­den das Geld und damit die Rollen der Protagonist-Innen neu ver­teilt. Seither stei­gen die Geldforderungen in Dimensionen, die vor­her undenk­bar waren. Es wer­den Millionen ver­teilt, und par­al­lel dazu von den Steuerzahlern zurück­ge­for­dert mit der Begründung, dass «Kultur wich­tig ist».  Interessanterweise fin­den wir jetzt kaum noch kul­tu­rell aus­ge­bil­de­te Personen in den Kulturverwaltungen. Es gibt dafür neu BeraterInnen und ManagerInnen, wel­che die  Verwaltungen opti­mie­ren. Die Inhaltsdiskussionen sind den Optimierungsregeln gewi­chen. Die Grundregel lau­tet jetzt: «bes­ser, grös­ser, schnel­ler, effi­zi­en­ter als…». In Zürich sind all die­se Prozesse schon viel län­ger aktiv, doch da fällt es nie­man­dem mehr auf, weil die­ser Zustand bereits als «nor­mal» gilt. Genau die­se Mechanismen und  Spielregeln zeigt Frank Schirrmacher in sei­nem Buch auf. Doch mei­ne Frage bleibt: Steckt dahin­ter Absicht, Wille, oder ist es eine mensch­lich-evo­lu­ti­ons­tech­ni­sche Verblendung?