Sagen, was ist

Von

|

Drucken Drucken

(Constantin Seibt) –

Hannah Arendt

Philosophin Hannah Arendt.

Bei den end­lo­sen Debatten zu Journalismus fragt man sich, ob man sich kür­zer fas­sen könn­te. Ob es für die­sen Beruf ein Motto gibt. Eines, das Methode und Ziel unse­rer Arbeit in einem Satz zusam­men­fasst.

Es war der «Spiegel»-Gründer Rudolf Augstein, der die Formel präg­te: «Schreiben, was ist.» In der Schweiz wur­de sie vom Politiker und Verleger Christoph Blocher über­nom­men; von die­sem über­nahm sie wie­der­um der «Weltwoche»-Chefredakteur Roger Köppel.

So klar und grif­fig die­se Forderung zunächst klingt, so fällt doch auf, dass ihr Sinn alles ande­re als sim­pel ist. Zu schrei­ben, was ist, schwankt dop­pel­deu­tig zwi­schen Beschreiben und Fest- oder Vorschreiben: Die Wirklichkeit wird nicht nur geschil­dert, son­dern auch zemen­tiert. Nicht umsonst sind die Anhänger die­ser Formel – Augstein, Blocher und Köppel – nicht nur aus­ge­präg­te Machtmenschen. Sondern ver­ste­hen sich mit unter­schied­li­chen Schattierungen als Gratwanderer auf dem Gebiet zwi­schen Journalist und Politiker.

Trotzdem glau­be ich, dass  «Schreiben, was ist» oder «Sagen, was ist» als Motto brauch­bar ist. Nur, dass ich danach nicht einen Punkt, son­dern ein Komma set­zen wür­de. Denn der Satz ist unvoll­stän­dig.

Und des­halb wür­de ich, nach Natur  und Ziel des Journalismus gefragt, nicht drei Herren zitie­ren, son­dern eine Frau. Und zwar Hannah Arendt, die in ihrem gros­sen Essay «Wahrheit und Politik» Folgendes schrieb:

Denn was wir unter Wirklichkeit ver­ste­hen, ist nie­mals mit der Summe aller uns zugäng­li­chen Fakten und Ereignisse iden­tisch und wäre es auch nicht, wenn es uns je gelän­ge, aller objek­ti­ven Daten hab­haft zu wer­den. Wer es unter­nimmt, zu sagen, was ist, kann nicht umhin, eine Geschichte zu erzäh­len, und in die­ser Geschichte ver­lie­ren die Fakten bereits ihre ursprüng­li­che Beliebigkeit und erlan­gen eine Bedeutung, die mensch­lich sinn­voll ist.

Das ist der Grund, war­um «alles Leid erträg­lich wird, wenn man es einer Geschichte ein­glie­dert oder eine Geschichte dar­über erzählt», wie Isak Dinesen gele­gent­lich bemerkt – die nicht nur eine gros­se Geschichtenerzählerin war, son­dern auch, und in die­ser Hinsicht nahe­zu ein­zig­ar­tig, wuss­te, was sie tat. Sie hät­te hin­zu­fü­gen kön­nen, dass das Gleiche von der Freude gilt, die auch für Menschen erst erträg­lich und sinn­voll wird, wenn sie dar­über spre­chen und die dazu­ge­hö­ri­ge Geschichte erzäh­len kön­nen.

Insofern Berichterstattung zum Geschichtenerzählen wird, lei­stet sie jene Versöhnung mit der Wirklichkeit, von der Hegel sagt, dass sie «das letz­te Ziel und Interesse der Philosophie ist», und die in der Tat der gehei­me Motor aller Geschichtsschreibung ist, die über blos­se Gelehrsamkeit hin­aus­geht.

Auch wenn die­se Passage eini­ges län­ger als drei Worte ist, glau­be ich doch, dass sie unse­ren Job sehr genau erklärt: sei­ne Natur, sei­ne Tradition, sei­ne Chancen, sei­ne Aufgabe. Und war­um es sich lohnt, ihn zu tun.

Liebe Leserinnen und Leser, über die Festtage kann es etwas län­ger dau­ern, bis Ihre Kommentare frei­ge­schal­tet wer­den. Die Redaktion.

document.write(«»);

.
Dieser Beitag wur­de auto­ma­tisch per RSS auf unse­re Webseite gestellt. Der Originaltext ist über den Tagesanzeiger, dem Blog von Constantin Seibt – http://blog.tagesanzeiger.ch/deadline – zu fin­den.

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo