- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Rush

Von Sonja Wenger – Bis in die Gedärme vibriert es, wenn auf der Leinwand die Motoren der Formel-1-Rennwagen Gas geben. Man glaubt, die Motorkolben zu hören, wie sie das Benzin pum­pen, den ver­brann­ten Gummi zu rie­chen, wenn die Reifen durch­dre­hen, und, ja, die Anspannung der Fahrer zu spü­ren, kurz bevor sie die Bremsen los­las­sen. Es ist der 1. August 1976, und die Rennfahrerrivalen Niki Lauda (Daniel Brühl) und James Hunt (Chris Hemsworth) ste­hen kurz vor dem Start am Nürnburgring, wo sie um den Grossen Preis von Deutschland kämp­fen. Was damals kurz nach dem Start auf der Strecke pas­sier­te, ist in die Geschichte des Rennsports ein­ge­gan­gen. Noch heu­te erin­nern sich die mei­sten, die zumin­dest schon den Windeln ent­wach­sen waren, wie Laudas Wagen in einer Kurve von der Fahrbahn abkam, in eine Wand krach­te und in Flammen auf­ging. Lauda über­leb­te den Unfall nur um Haaresbreite und trug dabei schwer­ste Verbrennungen am Körper und am Kopf davon. Doch weni­ger als zwei Monate spä­ter fuhr er bereits wie­der ein Rennen.

Mit einer span­nungs­ge­la­de­nen Szene kurz vor jenem ver­häng­nis­vol­len Rennen beginnt «Rush», der neue Film von Regisseur Ron Howard, und auch in den fol­gen­den zwei Stunden ver­liert er nie an Dynamik. «Rush» fokus­siert auf die Zeit zwi­schen 1970 und 1976, als der Österreicher Lauda und der Brite Hunt sich, noch in der Formel 3, ken­nen­lern­ten. Beinahe sofort began­nen die bei­den eine star­ke Rivalität zu kul­ti­vie­ren, die auch von den Medien auf­ge­grif­fen wur­de, nach­dem sich bei­de in die Formel 1 hoch­ge­po­kert hat­ten. Zu ver­lockend war das Duell zwi­schen den bei­den Charakteren, von denen der eine (Lauda) ein eis­kalt kal­ku­lie­ren­der Pragmatiker mit enor­mem tech­ni­schen Geschick zu sein schien, der einem rein instink­tiv fah­ren­den Lebemann und Frauenheld gegen­über stand.

Der Film erzählt weni­ger die Geschichte die­ser unge­wöhn­li­chen Beziehung als deren Protagonisten zu por­tä­tie­ren, und man muss sich im Kino stets aufs neue in Erinnerung rufen, dass es sich bei «Rush» um einen Spielfilm und nicht um eine Dokumentation han­delt. Dies gelingt ihm unter ande­rem dank des soli­den und viel­schich­ti­gen Drehbuchs von Peter Morgan, der wie bereits in sei­nen frü­he­ren Werken «The last King of Scotland», «The Queen» oder «Frost/Nixon» die Charaktere ach­tet und sie schlaue Sachen sagen lässt, dabei aber ohne Klischees aus­kommt. Zwar hat der Glamour, mit dem die Formel 1 ger­ne asso­zi­iert wird, durch­aus sei­nen Platz im Film, doch wich­ti­ger sind Authentizität der Emotionen, Respekt vor der Geschichte und tech­ni­sche Aspekte, die so span­nend wie die Darstellung der Rennen selbst sind. Gerade hier sind auch die wit­zig­sten Momente des Filmes ange­sie­delt, als etwa Lauda die Mechaniker von Ferrari in ihrer Selbstverliebtheit auf­rüt­telt und sie zwingt, die Maschine, die «Mist» sei, neu zu bau­en, damit sie schnel­ler und effi­zi­en­ter wird.

Die Mitarbeit von Lauda, der Morgan an vie­len sei­ner Erinnerungen teil­ha­ben lies, war bei sol­chen Szenen sicher eine gros­se Hilfe. Entsprechend prä­zi­ser scheint auch sein Charakter gezeich­net, was der deut­sche Schauspieler Daniel Brühl mit einer ein­drück­li­chen Darstellung dankt. Hunt selbst starb 1993 an einem Herzinfarkt. Dennoch gelingt es auch Hemsworth, sei­ner Rolle Tiefe zu ver­lei­hen. Beide Figuren ver­fü­gen über ein gan­zes Kaleidoskop posi­ti­ver wie nega­ti­ver Eigenschaften, was das Ganze erst inter­es­sant macht. Und auch die Nebenrollen sind stark besetzt. So spielt Alexandra Maria Lara Laudas erste Ehefrau Marlene Knaus, Olivia Wilde ist als Suzy Miller zu sehen, die es in ihrer Ehe mit Hunt weni­ger gut hat­te, und Pierfrancesco Favino trifft prä­zi­se das Image von Clay Regazzoni, mit dem Lauda bei Ferrari im Team fuhr.

Die Beziehung zwi­schen Lauda und Hunt, die in Wahrheit stär­ker von gegen­sei­ti­gem Respekt geprägt war als es im Film gezeigt wird, ist aller­dings nur der Aufhänger. In «Rush» geht es stark um eine Zeit in der Formel 1, als die­se noch weit ent­fernt von heu­ti­gen Sicherheitsstandards war. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fahrer ein Rennen nicht über­leb­te, lag damals bei über zwan­zig Prozent. Wenig wun­dert es des­halb, dass Lauda in einem Interview mit der bri­ti­schen Zeitung «Telegraph» zum Filmstart von «Rush» sag­te, dass die heu­ti­gen Rennen durch die vie­len Sicherheitsvorschriften weni­ger span­nend sei­en. «Zu mei­ner Zeit ging es nur dar­um, die Rennwagen bei die­sen Geschwindigkeiten im Griff zu haben, und die eige­nen Grenzen aus­zu­te­sten.» Wenn man nur ein wenig über die­se Grenzen hin­aus­gin­ge, sei man gestor­ben.

Genau die­ser Aspekt wird auch im Film immer wie­der stark her­vor­ge­ho­ben. Es sei die­se Nähe zum Tod, die einen so leben­dig füh­len las­se und der Grund für jene Faszination sei, die Rennfahrer auf vie­le Menschen aus­üben, sagt Hunt ein­mal im Film. Und es ist genau die­se Lebendigkeit, die «Rush» zu einem so aus­ser­ge­wöhn­lich fas­zi­nie­ren­den Film macht.

«Rush», Grossbritannien/Deutschland 2013. Regie: Ron Howard. Länge: 122 Minuten.

Foto: zVg.
ensuite, Oktober 2013