- ensuite | kulturagenda | enBlog - https://ensuite.we-are.gmbh -

Robert Frank trifft Robert Walser

Von Katja Zellweger – oder: «Wer die­se Bilder nicht mag, mag auch kei­ne Gedichte.»: Das Zitat aus Jack Kerouacs Feder soll hier den Anfang machen. Es stammt aus der Einleitung zu Robert Franks erfolg­rei­chem Fotoband «the ame­ri­cans» von 1958. Darin lobt der Schriftsteller Franks Fähigkeit, Fotografien spre­chen zu las­sen, ja (Bild)Gedichte ohne Worte kre­ieren zu kön­nen.

Robert Frank trifft Robert Walser – Ersterer hat eigens eine Bildauswahl zusam­men­ge­stellt als Hommage an den von ihm so geschätz­ten Schweizer Schriftsteller. Die teils noch nie edier­ten Bilder wer­den wäh­rend einem Jahr in Bern im Robert Walser-Zentrum aus­ge­stellt. Sorgfältig aus­ge­wähl­te Fotografien mar­kie­ren das Thema «Ferne Nähe / Distant Closeness», das von Franks per­sön­li­cher Auseinandersetzung mit Walser zeugt. Eine zwei­spra­chi­ge Broschüre zur Ausstellung infor­miert über ein Gespräch zwi­schen dem Zentrumsleiter Reto Sorg und Frank. Seine Vorliebe zur wals­er­schen Kurzprosa und des­sen Gedichten, die ihn in der Heimat und Ferne beglei­ten, kommt dar­in gut zuta­ge. Die Texte prä­gen den Fotografen – Parallelen zur Darstellung von Literatur und Fotografie wer­den in der Broschüre ent­wickelt. Diesen Tribut, den Frank Walser zollt, soll auch die Forschungs- und Vermittlungsarbeit des Robert Walser-Zentrums unter­stüt­zen, an der Frank viel liegt. Es ist eine Sensation, sol­che Bilder hier in Bern betrach­ten zu kön­nen, denn Robert Frank stellt Unveröffentlichtes eigent­lich schon lan­ge nicht mehr für Ausstellungen zur Verfügung. An der Vernissage spre­chen Paul Nizon und Alexander Tschäppät.

Sowohl Walser als auch Frank blicken poe­tisch auf ihre Zeit. Ihre Kunst inter­agiert in einer bild­li­chen Sprache, die von Beobachtungen zeugt. Der Ältere fasst Wörter zu Bildern, der Jüngere for­mu­liert Bilder zu Geschichten. Feine Assoziationen erge­ben sich dem Betrachter, selbst wenn einem Walser ledig­lich als kau­zig-dich­ten­der Wanderer ein Begriff sein soll­te.

Die Fotografien spre­chen unkom­men­tiert und titel­los von Darstellungsmöglichkeiten. Sie schwei­fen in die Ferne und ins Nahe, sie stel­len Selbstbetrachtung in Spiegelbildern und Fensterblicken dar, sie chan­gie­ren immer wie­der zwi­schen Realität und Bühne. Da steht bei­spiels­wei­se ein Alter, es könn­te Walser in Amerika sein, ent­rückt, für sich allei­ne und hält inne vor den Abfallfetzen auf einem Streifchen Natur in der Stadt. Auf Autodächern in engen Strassenschluchten öff­nen sich Blicke in die Weite, Worte bau­meln in der Luft. In Schaufenstern war­ten Bilderrahmen wie unge­le­se­ne Geschichten dar­auf, ihre Geheimnisse erzäh­len zu dür­fen. – Frank hält poe­ti­sche schwarz-weiss Geschichten auf Papier fest, die von Walsers Hand stam­men könn­ten, aber auch ohne «Kontext Walser» aus­nahms­los bestehen.

Auch Walser beweist immer wie­der sei­ne Affinität zur Darstellung, wenn er prä­gnant und ein­fühl­sam beob­ach­tet. Der älte­re Robert hat die Schweiz bewan­dert und ihre Landschaften, Frauen und Eigenheiten bedich­tet, hat vie­ler­orts gewohnt und aus Alltäglichkeiten und mar­gi­na­len Existenzen gros­se Wortbilder kre­iert. Der 1878 in Biel Geborene leb­te vie­ler­orts, sei­ne noma­di­sie­ren­de Mansardenexistenz ende­te an der Berner Thunstrasse. Es war dies sei­ne letz­te Station vor der Waldau und der Psychiatrie in Herisau, wo sei­ne dich­te­ri­sche Stimme ver­sieg­te. Der gros­se Erfolg blieb dem Lieblingsschriftsteller Kafkas zu Lebzeiten nicht ver­gönnt. Das Verkanntsein von grös­se­rem Publikum, das finan­zi­ell not­wen­di­ge, aber unfrei­wil­li­ge Angestelltendasein und das Wandern haben sein Werk geprägt. Ein wit­zi­ger Zyniker kann die­ser Walser sein, wort­reich und mit sicht­li­cher Freude beschreibt und bedich­tet er Banales, schmückt es aus, beleuch­tet es als han­del­te es sich um den Kaiser per­sön­lich. Aber auch vol­ler Ernst und mit Bedacht kann er dich­ten; «Ich bin ver­ge­ße­ne Weiten».

Der jün­ge­re Robert ver­lässt die Schweiz nach dem zwei­ten Weltkrieg. «Das Land war zu ver­schlos­sen, zu klein für mich» stellt er in einem Brief an sei­ne Eltern fest, und zog nach Amerika, wo er heu­te noch wohnt, um dort sei­nen aus­sen­ste­hen­den Blick schwei­fen zu las­sen. Ende der Vierzigerjahre tritt Robert Frank als Fotograf her­vor, einer­seits arbei­tet er für renom­mier­te Zeitschriften als Fotoreporter, ande­rer­seits gewinnt er als erster Schweizer und Nicht-Amerikaner das Guggenheim-Foundation-Stipendium. Damit steht der Arbeit an dem Fotoband «the ame­ri­cans» über ein Nachkriegsamerika zwi­schen Rassentrennung und uner­mess­li­chem Wohlstand, zwi­schen Sein und Schein einer auf­stre­ben­den Gesellschaft nichts mehr im Weg. Frank pflegt enge Beziehungen zu Kreisen der Beat-Generation sowie zu nam­haf­ten Schweizer Fotografen wie Gotthard Schuh. Sich von der Tradition der Auftrags-Reportagefotografie lösend ent­wickelt er sich als einer der ersten zu einem Autor-Fotografen, was ihm eine auto­no­me Bildsprache ermög­licht. In den 60er und 70er Jahren arbei­tet er vor­wie­gend als Filmemacher, wobei er in inti­me­re, pri­va­te­re Sphären vor­dringt, und einen neu­en Anspruch von tage­buch­ar­ti­ger Filmkunst ver­tritt. Die fil­mi­schen Werke Franks wer­den als Rahmenprogramm zur Ausstellung im April im Kino des Kunstmuseums gezeigt. Zusätzlich gebührt Robert Frank der «Swiss Press Photo Lifetime Achievement Award» der Fondation Reinhardt von Graffenried, der ihm, eben­falls im April, über­reicht wer­den wird.

Diese Roberts tref­fen sich nicht nur in ihren dar­stel­len­den Sprachbildern, ihre Namensbruderschaft birgt eine wei­te­re Gemeinschaft. Ob zu Lebzeiten oder nach­her, nomen bleibt omen: Robert bedeu­tet näm­lich «von glän­zen­dem Ruhm».

Robert Frank
Ferne Nähe/Distant Closeness
Hommage für/A Tribute to Robert Walser
Robert Walser-Zentrum
Marktgasse 45, 3011 Bern.
+41 31 310 17 70
www.robertwalser.ch

Verleihung des Swiss Press Photo Lifetime Achievement Award
www.swisspressphoto.ch

Filmprogramm: www.kinokunstmuseum.ch

Foto: zVg.
ensuite, April 2012