Richard Wagner: Genie und Vieh

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By Patricia Schmidt

«Sie müs­sen sich damit abfin­den, dass Wagner ein genia­ler Komponist und zugleich ein hem­mungs­lo­ses Vieh ist!» Ist das alles, was zu Richard Wagner zu sagen ist? Durchaus nicht! Aber doch alles, was gesagt wer­den muss, um so ein­zi­ges über den Komponisten zu ver­ste­hen. So vir­tu­os sei­ne musi­ka­li­schen Meisterwerke, so aben­teu­er­lich sei­ne lebens­lan­ge Flucht vor sei­nen Gläubigern, so trieb­haft sei­ne Liebe zu Frauen, zum Wein und so umstrit­ten sei­ne Schriften. Richard Wagner ver­steht sich als Gesamtkunstwerk und for­dert Tribut.

«Meine Gegenwart belebt alles» sagt Richard Wagner (Robert Hunger-Bühler) mehr rhe­to­risch als argu­men­ta­tiv zu Anfang des Stücks. «Sofort Musik! Meine Musik!» Genauso geni­al und von sich ein­ge­nom­men wie er das Orchester diri­giert, wirkt er als grös­sen­wahn­sin­ni­ger Marionettenspieler sei­ner Weggefährten. Karl Ritter (Gottfried Breitfuss) wird zum Kofferträger, Gottfried Keller (Siggi Schwientek) zur trun­ke­nen Witzfigur und sei­ne ein­sti­ge Geliebte Mathilde Wesendonck und sei­ne Frau Cosima Wagner (bei­de gross­ar­tig gespielt von Elisabeth Trissenaar) aus­tausch­bar. Wer nicht Wagner ist, wird zur Karikatur. So ist es auch nicht wei­ter ver­wun­der­lich, dass selbst König Ludwig II. (Samuel Braun) sich vor dem Meister beugt – auch in sexu­el­ler Begierde – und Charles Baudelaire (gran­di­os gespielt von Ludwig Boettger) fünf­zehn Jahre nach sei­nem Tod noch­mals auf­er­steht, um Wagner sei­ne Ehre zu erbie­ten. «Meine Musik schafft selbst das!»

Genie, Egomane, Antisemit

Zum zwei­hun­dert­sten Geburtstag Richard Wagners ehrt ihn jene Stadt, in der er neun Jahre sei­nes Lebens ver­brach­te. Als poli­ti­scher Flüchtling nach dem Dresdner Maiaufstand 1848 fand Wagner in Zürich Zuflucht – es soll­ten die wich­tig­sten Jahr sei­nes Lebens wer­den. In einem wah­ren Schaffensrausch kom­po­nier­te Wagner in der Limmatstadt am vier­tei­li­gen ‹Ring des Nibelungen›, erfand den Beruf des inter­pre­tie­ren­den Dirigenten, schuf den Begriff der ‹Zukunftsmusik› und lei­te­te mit der Komposition von ‹Tristan und Isolde› die musi­ka­li­sche Moderne ein. Ebenfalls in Zürich ver­wirk­lich­te Wagner im Mai 1953 zum ersten Mal sei­ne Idee der Festspiele mit eige­nen Werken. Folgerichtig ist es also, die Zürcher Festspiele 2013 mit «Richard Wagner – Wie ich Welt wur­de» ein­zu­läu­ten.

Der Regisseur Hans Neuenfels lässt in sei­ner «wah­ren Fantasie in zwei Akten» Richard Wagner 1882 – ein Jahr vor sei­nem Tod auf sei­ner letz­ten Reise nach Venedig – noch ein letz­tes Mal in Zürich halt­ma­chen. In sei­nem ehe­ma­li­gen Exil, dass er eigen­hän­dig zum musi­ka­li­schen Athen an der Limmat ver­wan­del­te, lässt sich Wagner von Weggefährten fei­ern und von Einheimischen anbe­ten. Neuenfels spielt dabei mit Wagners eige­ner musi­ka­li­scher Erzählweise, sei­ner Psychologie. Witz, Skurrilität und an Blasphemie glei­chen­der Egomanie tref­fen dabei auf Genialität und Virtuosität son­der­glei­chen. Aber auch Wagners Antisemitismus wird von sei­nem Mäzen Otto Wesendonck (Jean-Pierre Cornu) kri­tisch hin­ter­fragt, als die­ser aus sei­ner Zürcher Schrift „Der Judenthum in der Musik“ zitiert. Antworten und die Verknüpfung von Sinnzusammenhängen über­lässt Neuenfels gekonnt dem Zuschauer selbst, wäh­rend er Wagners Musik viel Raum ein­räumt (Instrumentalensemble und Solisten des Opernhaus Zürich).

Erguss, Geburt, Welt

Als Wagner zum Schluss sagt, sei­ne Werke jahr­zehn­te­lang gezeugt und in sich getra­gen zu haben, spannt sich der gewal­ti­ge Erzählbogen. Die Ouvertüre zu ‹Lohengrin› habe sich ihm vor dem Flügel kniend, nackt, nur in Vorhängen aus Atlas umwickelt, in mastur­ba­ti­ver Erinnerung an sei­ne Schwester in nur fünf­zehn Minuten ergos­sen. Musik ist folg­lich Erregung, ist Sex, ist Rausch, ist Erguss, ist Geburt, ist Welt. Und so sind Wagners Werke immer Weltentwürfe. Baudelaires anfäng­li­che Charakterisierung von Wagners Wesenszügen in Genialität und Triebhaftigkeit könn­te es kaum treff­li­cher aus­drücken.

«Richard Wagner – Wie ich Welt wur­de» als Koproduktion des Zürcher Opernhauses und des Schauspielhaus Zürich baut der Stadt ein sinn­bild­li­ches Denkmal und der wag­ner­schen Musik ein Monument. Mögen die Festspiele begin­nen – oder um es mit den Worten Wagners zu sagen: «Bitte, Wein!»

: http://www.kulturkritik.ch/2013/richard-wagner-wie-ich-welt-wurde/

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