Rhythmus und Intensität

Von

|

Drucken Drucken

ensuite142Von Lukas Vogelsang - Kultur und Kunst in Qualität und Quantität zu erfas­sen ist schwie­rig. Die Wirkung von Aktionen oder die Identitätsstiftung von Bestehendem ist nicht ein­deu­tig. Zwar erin­nern wir uns alle an ein Erlebnis aus der Vergangenheit, wel­ches mit einem Kulturevent oder Kunst in Zusammenhang steht. Doch hat sich des­we­gen etwas in unse­rem Leben ver­än­dert? Oder: Wie wis­sen wir, ob es uns nicht doch ver­än­dert hat? Mir kommt unwei­ger­lich das Höhlengleichnis von Platon in den Sinn – und ich sit­ze damit bereits mit­ten in der Beweisführung, dass Kultur wirkt: Gerade die Literatur hat viel «Wirkung» erreicht, auch wenn eini­ge Kommentar-Schreiberlinge in Zeitungsforen im Internet nicht müde wer­den und immer noch anpran­gern: «Kultur ist nice zu have! – Gruss aus der arbei­ten­den Zunft!» oder «Kultur ist für nix – das Geld kön­nen wir uns spa­ren.»

Dieses Magazin wür­de nicht gedruckt, wenn nicht erst jemand Zeichen oder Buchstaben auf Steinplatten gemeis­selt hät­te und spä­ter end­lich das Papier erfun­den wor­den wäre. Kaum ein Sanitär könn­te heu­te sei­ne Arbeit ver­rich­ten, wenn nicht die Mayas in Yukatan in Mexiko oder die Römer ihre Kanalisationserfindungen minu­ti­ös über­lie­fert hät­ten. Manch ein Schreiner hät­te sei­ne lie­be Mühe, gewis­se Holzarbeiten mit den neu­sten aller neu­en Maschinen her­zu­stel­len – manch­mal gehört eben altes Wissen dazu. So hat­te ich  das sel­ber erlebt, als ich für mein altes Karussell (es ist absurd, ich weiss, aber ich besit­ze ein fast sieb­zig­jäh­ri­ges Karussell…) ein  Fahrzeug erset­zen woll­te. Der Schreiner und ich muss­ten einen 75jährigen Mann aus der alten Karussell-Werkstatt aus Hamburg bei­zie­hen.

Einwände gegen Kultur sind berech­tigt. Doch es geht dabei um die Qualität und Quantität – nicht um den Sinn und Zweck. Und es ist  wohl selbst­ver­ständ­lich, dass der glei­che Pfusch, den Handwerker teil­wei­se beim Hausbau anstel­len, auch in der Kultur vor­han­den ist.  Damit soll die «arbei­ten­de Zunft», wel­che oft meint, dass nur «Kulturschaffende» sub­ven­tio­niert wer­den und das Geld für den Neubau der Stadt, das Stadion, das neue Einkaufszentrum oder die neue Autobahn vom Himmel fällt, etwas besänf­tigt wer­den.  Ebenso hät­ten der Kunstsektor, die Museen einen schwe­ren Stand ohne bei­spiels­wei­se die Banken und deren «Investments». Und ein Stadttheater wird von Handwerkern reno­viert, bezahlt aus den Kassen der Gemeinden und der Steuerzahler – oft gar zum dop­pel­ten Preis, als ein Theater mit 300 Angestellten in einem Jahr an Subventionen erhält.

Unsere «Kultur der Qualität und Quantität» ist also das eigent­li­che Problem in der Wertung und Wahrnehmung. Viel sei schlecht und wenig sei gut – das wird oft gehört. Ich emp­fin­de das als grund­sätz­lich falsch: Keine «Erfindung» ist ohne das feh­ler­haf­te Experiment gross gewor­den. Der Scheiterungsprozess gehört ein­fach dazu. Das nennt sich dann Wachstum. Seit ich Kultur beob­ach­te, gel­ten für mich des­we­gen ganz ande­re Regeln in der Qualitätsbeobachtung. Es sind mei­ne per­sön­li­chen – also nicht als Verallgemeinerung zu ver­ste­hen, aber viel­leicht hilft es jeman­dem, sei­nem eige­nen Qualitätsbegriff näher zu kom­men: Jede Rede, jedes Buch, Musik, Bewegung, Szene, ob Film oder Theater, jede Stimme … alles wirkt durch den «rich­ti­gen» Rhythmus und die gleich­zei­tig ange­pass­te Intensität. Dabei geht es also nicht um Inhalte, künst­le­ri­sche Formen, son­dern bleibt abstrakt nur beim Empfinden. Diese «Sprache» ver­ste­hen wir ohne gros­se Bildung, sie ist für alle Menschen gleich ver­ständ­lich. Das erklärt auf ein­fa­che Weise, war­um in den Musik-Hitparaden oft­mals ein­fa­che Ohrwürmer den ersten Platz hal­ten kön­nen: Es sind ein­gän­gi­ge Rhythmen mit der rich­ti­gen Portion  «Intensität ». Als Marionettenspieler spür­te ich das deut­lich: Der Unterschied zwi­schen «Hampeln» und einer geführ­ten Bewegung bei einer Puppe ist gewal­tig – spür­bar vor allem bei der Aufmerksamkeit vom Publikum. Und es sind nicht nur in der Kunst oder im Kulturschaffen gel­ten­de Kriterien, son­dern alles in unse­rem Alltag ist dadurch bestimmt – wenn auch nicht immer gleich erkenn­bar. Beim Kochen bei­spiels­wei­se gilt glei­ches – doch der Rhythmus und die Intensität müs­sen über­setzt wer­den – sind aber genau­so  ton­an­ge­bend. Wenn wir also die Intensität als mess­ba­ren Wert erfas­sen könn­ten, wäre die Qualitätsbestimmung ein­fa­cher.

Das kommt jetzt alles etwas salopp daher. Aber den­ken Sie, lie­be LeserInnen, dar­über nach, wie Sie Qualität in der Kultur und Kunst  defi­nie­ren. Ihre Resultate wür­den mich inter­es­sie­ren.

Schreiben Sie mir.

Einen Text gelesen und der hat gefallen? Spende per TWINT ein paar Franken - ohne Abo, aber mit gutem Gewissen. Geht doch auch.



Newsletter

Unsere Newsletter kommt nicht oft und nur dann, wenn etwas wichtig ist. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.




Mit der Nutzung dieses Formulars erklärst Du dich mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch die Schweizer-Newsletter-Software von «ensuite» einverstanden. (CH-Server)

logo