Von Karl Schüpbach
Die letzten Klänge der Sinfonie von Antonin Dvorak sind eben verklungen, und schon erheben sich die Musikerinnen und Musiker des Berner Symphonieorchesters (BSO), um zusammen mit Andrey Boreyko den frenetischen Beifall des Publikums entgegenzunehmen. Hochverdient – aber warum muss der Beifall losbrechen wie ein Gewitter, bevor noch der letzte Ton verklungen ist? Daniel Barenboim formuliert es grossartig (sinngemäss): der letzte Ton hat das Recht, ungestört, in der Stille zu verklingen.
Nun gut, wir haben ein grossartiges Konzert erlebt, das Orchester als Ganzes hat sein nunmehr grossartiges Können voll ausgeschöpft, es gab auch ergreifende Soli, stellvertretend für viele seien Frau Catherine Kämper, Englischhorn und Walter Stauffer, Klarinette genannt. Frau Kämper ist neu im Orchester, Walter Stauffer ist seit Jahren ein hervorragendes Mitglied des Orchesters. Die Soli der Beiden in der eben gehörten Sinfonie haben Symbolcharakter für den heutigen Stand des BSO: es besteht eine äusserst glückliche Mischung zwischen neu verpflichteten Musikern und solchen, die dem Orchester bereits seit einigen Jahren ihr Bestes geben. Das war nicht immer so. Ich erinnere mich gut an die Worte eines Kollegen zu Beginn meiner Arbeit im BSO: „das Orchester ist ein klingender Generationenkonflikt“. Zum x‑ten Male erheben sich meine Kolleginnen und Kollegen – ich nenne sie so mit Solz und Wehmut – zusammen mit Andrey Boreyko, viele Bravo-Rufe!
Andrey Boreyko
Er setzt einen vorläufigen Schlusspunkt hinter eine steile künstlerische Entwicklung des BSO. Sie begann 1964 mit der Verpflichtung von Paul Klecki als Chefdirigent. Wenn ich an seine Arbeit zurückdenke, muss ich von einer Qualitätsexplosion des Orchesters sprechen. Kein Wunder, wenn ein weltberühmter Dirigent plötzlich vor dem Berner Stadtorchester steht, und ihm erbarmungslos Höchstleistungen abfordert. Charles Dutoit, Dmitrji Kitayenko, und – eben – Andrey Boreyko haben diesen Höhenflug weitergeführt. Abgesehen von einem unglücklichen Intermezzo unter der Leitung von zwei Chefdirigenten, deren Namen ich hier nicht einmal nennen will, war die Entwicklung, und somit die Zukunft, des Orchesters berechenbar. Das ist jetzt alles in Frage gestellt. Darum spreche ich von einem vorläufigen Schlusspunkt.
Zurück in den Saal: Boreyko lässt einzelne Solistinnen und Solisten aufstehen, sie nehmen einen wohlverdienten persönlichen Applaus entgegen. Sie wissen es: allen Protesten zum Trotz, beharrt der Vorstand der Regionalen Kulturkonferenz auf einer Fusion zwischen der Stiftung BSO und dem Stadttheater, in der Meinung, damit vielschichtige Probleme lösen zu können. Boreyko kündigt schon sehr früh an, dass er unter diesen Umständen seinen Vertrag in Bern nicht verlängern kann, die zeitliche Bindung mit vermehrter Aktivität im Theater wird zu belastend. Dieser Warnschuss verhallt ungehört, kaltblütig wird eine empfindliche Einbusse an Qualität in Kauf genommen, dies mit fadenscheinigen und bisweilen zynischen Argumenten. Teilen Sie den fast körperlichen Schmerz, der sich einstellt, wenn man bedenkt, dass das unvergessliche Gala-Konzert zeitlich mit der Pressemitteilung zusammenfällt, wonach an der Fusion festgehalten wird. Andrey Boreyko, und nach ihm auch die Kolleginnen und die Kollegen des BSO verlassen das Podium, erschöpft sind sie alle, aber täusche ich mich, wenn ich einige hängende, sehr nachdenkliche, Köpfe ausmache?
Reaktionen
In der Pause spreche ich mit einer Bläser-Solistin des Orchesters, auch sie ist neu, auch sie trägt mit ihrem Können zu dem aktuellen hohen Stand des Orchesters bei. Genau wie weiter oben spreche ich von der überaus glücklichen Durchmischung des Orchesters, und von dem unerhörten Niveau, welches das BSO erreicht hat. Sie antwortet mir fast heftig: „ja, aber wann merkt es das Publikum endlich?“ Sie lässt mich nachdenklich zurück. Das Publikum ist nicht fassbar, es ist amorph, auch wenn eine Reaktion durchaus spürbar ist: es ist ein schöner Brauch, dass das Orchester beim Betreten des Podiums mit einem Applaus begrüsst wird.
Seit die Fusionspläne mit ihren grossen Risiken in der Presse breit geschlagen werden, fällt dieser Beifall wärmer aus, er dauert länger. Wenn man bedenkt, dass die Kommentare im „Bund“ und in der „Berner Zeitung“ der Stiftung BSO gar nicht gewogen sind, bedeutet die Anteilnahme des Publikums eine schöne Geste, aber leider nicht mehr. Gewichtigeres wie Demonstrationen oder politische Vorstösse bleibt aus. Warum in aller Welt ist das so?
Wird eine Reaktion, die diesen Namen verdient, erst kommen, wenn es zu spät sein wird?
Die tendenziöse Berichterstattung in der Berner Presse
Federführend für die Information über die Zukunft des BSO und des STB sind Herr Oliver Meier für die „Berner Zeitung“ und Frau Brigitta Niederhauser für den „Bund“. Ich fange mit Herrn Meier an, weil ich ihn gleich links liegen lassen will. Insider wissen, dass seine gehässige Berichterstattung auf kochenden Rachegefühlen gegenüber Herrn Gawriloff und der Stiftung BSO beruhen. Herr Meier wurde eingeladen, über die diesjährige Deutschland-Tournee des BSO zu berichten. Dabei hat er so kläglich versagt, dass noch während der Reise auf seine weiteren Beiträge verzichtet wurde. Diese – selbstverschuldete – Ohrfeige kann Herr Meier nicht verwinden. Anders liegt der Fall bei Frau Niederhauser. Vor der Fusionsgeschichte waren ihre Informationen stets objektiv und ausgewogen. In der Frage der Zukunft der beiden Institutionen hat sie die Meinungen von Herrn Henri Huber (Präsident des Theater Verwaltungsrates) und des RKK Vorstandes zu ihrer eigenen gemacht. Dabei sind ihr gravierende Fehler unterlaufen: es geht natürlich nicht an, wenn sie alle Skeptiker als nicht bereit zur Zusammenarbeit abstempelt. Den Vogel schiesst sie ab, wenn sie den zu bemitleidenden Herrn Huber wegen der Verunglimpfungen bedauert, die er über sich ergehen lassen müsse. Mit keinem Wort erwähnt sie die arroganten Antworten von Herrn Huber an die Herren Gawriloff und Boreyko. Unbeirrt fährt Frau Niederhauser fort, die Köpfe zu fordern, die Meinungen äussern, welche nicht in ihr Konzept passen. Wieso diese Schwarz-Weiss Malerei?
Josua Bell
Über welch unwahrscheinlich vielfältige Farbenpalette verfügt dieser phänomenale Geiger im Dienste seines Spiels! Ich lausche seinem Spiel nach, meine Gedanken werden versöhnlich. Josua Bell wird aufdringlich vermarktet, dabei treten seine Auszeichnungen, seine Preise ins Zentrum, dazu kommt der fast hymnische Hinweis auf seine schillernde Persönlichkeit, kurz die Marke Weltstar wirkt als Publikumsmagnet. Was durften wir soeben erleben? Vor unseren Ohren und Augen spielt ein Musiker, den das ganze Drum und Dran offensichtlich kühl lässt, sein Spiel gibt uns die Gewissheit, Wesentliches erlebt zu haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen vom BSO: verliert den Mut nicht!