Ready made – der Journalist als Dieb

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(Constantin Seibt) –

Guttenberg. Schavan. Fiala. Vielleicht Lammert. Immer mehr Politiker wer­den als Plagiatoren ent­larvt und rich­ten damit Schaden an. Sie säen Zweifel an der Kompetenz der Politik. Und noch schlim­mer: Sie säen Zweifel an der Kunst des Plagiats.

Denn per­ma­nen­te Originalität ist der Kult mit­tel­mäs­si­ger Köpfe. Die bes­se­ren wis­sen: Kultur ist eine Kette von Diebstählen. Echte Profis ken­nen die Beschränktheit der eige­nen Einfälle und steh­len gezielt alles Nötige. Dahingegen behaup­ten klei­ne Köpfe gern: «Meine Meinung ist…» Und brei­ten dann fast nie eige­ne Gedanken aus. Sondern meist vor­ge­fer­tig­tes Zeug aus dem Ideen-Versandhaus.

Wirkliche Neuerer erkennt man an ihrem Traditionsbewusstsein. So bemerk­te etwa Bert Brecht, dass man einen ech­ten Könner dar­an erken­ne, dass er Gelungenes nicht noch ein­mal mache. Brecht war sich nicht zu scha­de, zahl­rei­che Verse von Villon und Kipling und gan­ze Theaterszenen von sei­nen Mitarbeiterinnen zu über­neh­men.

Kein Wunder, schwärm­te er «von den gros­sen, sen­sa­tio­nel­len Fällen, wo es dem Autor glück­te, gan­ze Akte sich ein­zu­ver­lei­ben», etwa in der Shakespeare-Zeit. Und schrieb:

Natürlich basiert so ziem­lich jede Blütezeit der Literatur auf der Kraft und Unschuld ihrer Plagiate.

Das gilt auch für den Journalismus. Wenig macht einen Artikel ele­gan­ter, als mög­lichst wenig eige­ner Kraftaufwand. Idealerweise wür­de er nur aus Zitaten bestehen, die sich gegen­sei­tig beleuch­ten.

Noch idea­ler ist ein Artikel, der prak­tisch nur aus einem ein­zi­gen Zitat besteht. So war ich etwa nach dem New-Economy-Crash 2001 sehr stolz auf fol­gen­de kur­ze Kolumne:

Wie rächt man sich an Banken?

Banken wer­den über­all kri­ti­siert. Doch was kann man man als Kunde tun? Zu die­sem Thema schweigt die klas­si­sche Wirtschaftspresse. Nicht aber die klas­si­sche Literatur. Hier ein Anlagetipp aus «Die Strasse der Ölsardinen» des ame­ri­ka­ni­schen Nobelpreisträgers John Steinbeck:

«In Docs Arbeitszimmer fin­den sich: ein Schreibtisch mit einem uner­le­dig­ten Stapel Post, Registrierschränke und ein stets offe­ner Kassenschrank. Einmal wur­de er aus Versehen geschlos­sen. Niemand kann­te das Geheimnis der Buchstabenkombination, und drin­nen lag eine geöff­ne­te Büchse Ölsardinen und Roquefortkäse! Furchtbare Gerüche ent­wickel­ten sich in dem Safe, bis end­lich der Schrankfabrikant das Kennwort sand­te. Damals ent­deck­te Doc ein Verfahren, mit­tels des­sen sich jeder­mann, falls er Bedarf danach hät­te, an einer Bank rächen könn­te. Er brauch­te nur, riet Doc, einen Safe zu mie­ten, einen unge­räu­cher­ten Salm dar­in zu depo­nie­ren und dann für sechs Monate zu ver­rei­sen. Was sei­nen eige­nen Tresor anging, mach­te er es sich zum Gesetz, nie wie­der Nahrungsmittel dar­in zu ver­wah­ren. Er leg­te die­se von nun an in sei­ne Registrierschränke.»

Das Konzept die­ser Artikelsorte gleicht der des Ready Mades in der Kunst. Anfang des 20. Jahrhunderts expe­ri­men­tier­ten Künstler mit kaum bear­bei­te­ten oder unver­än­der­ten Alltagsgegenständen: am berühm­te­sten viel­leicht Meret Oppenheims Pelztasse und – noch unge­schla­gen – Marcel Duchamps Skulptur «Fountain», für die er ein signier­tes Pissoir in die Galerie stell­te.

Dieses teil­te nicht zufäl­lig das Schicksal allen Qualitätsjournalismus. Es wur­de nach Gebrauch – also nach der Ausstellung – auf den Müll geschmis­sen. Heute exi­stiert nur noch eine spä­ter ange­fer­tig­te Kopie.

Die Leistung des Künstlers oder Journalisten besteht im Fall des Ready Mades vor allem aus zwei Dingen: dem Blick, der das Objekt ent­deckt. Und der Kühnheit, es mög­lichst unver­än­dert zu über­neh­men. Deshalb gilt für die Qualität eines schrift­li­chen Ready Mades ein sehr archai­sches Mass: Je län­ger, desto unver­schäm­ter, desto bes­ser.

Lange Zeit benei­de­te ich sehr die Einfallskraft mei­nes Kollegen Niels Walter. Dieser sah den Nestlé-Film «We Feed the World» und war von den Monologen des Nestlé-Chefs Peter Brabeck begei­stert. Und trans­por­tier­te dar­auf Brabecks Äusserungen unge­kürzt in die Zeitung, nur gestützt von einem kur­zen Einleitungssockel: 5000 Zeichen lang.

Das klang dann wie folgt:

Ja es gibt doch bei uns so ein schö­nes Lied, Wasser braucht das lie­be Vieh, Hollera und Holleri, wenn Sie sich erin­nern kön­nen. Also Wasser ist natür­lich das wich­tig­ste Rohmaterial, das wir heu­te noch auf der Welt haben. Es geht dar­um, ob wir die nor­ma­le Wasserversorgung der Bevölkerung pri­va­ti­sie­ren oder nicht. Und da gibt es zwei ver­schie­de­ne Anschauungen. Die eine Anschauung, extrem wür­de ich sagen, wird von eini­gen, von den NGOs ver­tre­ten, die dar­auf pochen, dass Wasser zu einem öffent­li­chen Recht erklärt wird. Das heisst, als Mensch sol­len Sie ein­fach das Recht haben, Wasser zu haben. Das ist die eine Extremlösung. Und die ande­re, die sagt, Wasser ist ein Lebensmittel; so wie jedes ande­re Lebensmittel soll­te das einen Marktwert haben. Ich per­sön­lich glau­be, es ist bes­ser, man gibt einem Lebensmittel einen Wert, sodass wir uns alle bewusst sind, dass das etwas kostet, und dann anschlies­send ver­sucht, für die­sen Teil der Bevölkerung, der kei­nen Zugang zu Wasser hat, dass man dort etwas spe­zi­fi­scher ein­greift, und da gibts ja ver­schie­de­ne Möglichkeiten, also.

Ich war­te­te sie­ben Jahre, bis ich eine Antwort fand. Das war, als ich über Twitter auf die Tapes der Anglo-Bank auf­merk­sam wur­de. Die Irish Anglo hat­te mit über 30 Milliarden Euro den gröss­ten Einzelkonkurs der iri­schen Geschichte hin­ge­legt. Und hat­te fast im Alleingang den iri­schen Staat in die Verschuldung getrie­ben. Nun hat­te jemand dem «Irish Independent» die Telefonmitschnitte zuge­spielt, wie die Banker den Staat dazu brach­ten, ihre Schulden zu über­neh­men.

Als ich die Tapes hör­te, war ich elek­tri­siert. Die Wirklichkeit hat­te für ein­mal gross­ar­tig gear­bei­tet. Die Tapes waren das per­fek­te Ready Made, ein per­fek­tes Theaterstück in sie­ben Akten. Man muss­te sie nur noch tran­skri­bie­ren, über­set­zen, Zwischentitel, Szeneanweisungen, Einleitung und Epilog machen. Insgesamt waren das 20’000 Zeichen. Ich fühl­te mich wie Marcel Duchamp, als er sein Pissoir gefun­den hat­te.

Hier der Auftakt:

1. Akt: Zentralbank

Donnerstag, 18. September 2008. Drei Tage zuvor ging Lehman Brothers plei­te. Die Interbankenkredite frie­ren ein; die Immobilienpreise fal­len. Damit steht die mit Immobilienkrediten voll­ge­stopf­te Anglo-Bank über Nacht vor dem Bankrott. Als erstes Institut in Irland ersucht sie um Staatshilfe. Die bei­den Direktoren John Bowe und Peter Fitzgerald unter­hal­ten sich über die Verhandlungen:

B: Oh Jesus …
F: Sag schon …
B: Spass und Spiele, wirk­lich! Wir waren bei der Aufsicht. Hab ich dir erzählt, dass wir gestern bei der Aufsicht waren?
F: Hast du. Gestern.
B: Wir waren gestern dort, und, kurz gesagt, wir haben es ihnen direkt zwi­schen die Augen gege­ben. Und dann brach das Chaos aus: ‹Nein … nein … bit­te nicht … Himmel, ihr wollt also von uns … das ist ja … Worauf wir ihnen sag­ten …›
F: In der Zentralbank?
B: Ja. Wir sag­ten ihnen: ‹Schaut her, wir brau­chen 7 Milliarden Euro. Dafür geben wir euch unser Kreditportfolio.› Dann scho­ben wir ihnen einen Vertragsentwurf hin und sag­ten: ‹Das ist, was wir brau­chen.› Das hat alle ziem­lich kalt geduscht.
F: Ja.
B: Und sie sag­ten: ‹Warum braucht ihr so viel … was ist los … oh Jesus … oh … oh …› Kurz: Wir hat­ten ihre Aufmerksamkeit.
F: Die 7 Milliarden Euro – ist das ein befri­ste­ter Kredit?
B: Ein 7‑Milliarden-Euro-Überbrückungskredit.
F: Ja.
B: Also … es ist ein 7‑Milliarden-Kredit zur Überbrückung, bis wir die Summe zurück­zah­len kön­nen – was nie statt­fin­den wird.
Beide lachen herz­lich.
F: (lachend) Und das steht da drin? Im Vertrag?
B: (lachend) Sicher!
F: Also unter der Klausel ‹Rückzahlung› schrei­ben wir: Nein! (lacht) Nein, nein, nein … lei­der nein … (lacht) Und was sag­te die Gegenseite dazu: ‹Wir müs­sen jetzt unse­re Unterwäsche wech­seln?›
B: (lachend) Sie sag­ten etwa das hier: ‹Jesus! Das ist eine Menge Kohle … Jesus, Hölle und Gott! Wisst ihr eigent­lich, dass die Zentralbank nur 14 Milliarden Investments offen hat – und mit euch wären es 20? Wie zum Teufel kön­nen wir das ver­ant­wor­ten? Wir müss­ten … Jesus! Ihr ver­langt da, dass wir mit unse­ren Vorschriften Pingpong spie­len …› Und wir ant­wor­te­ten ihnen: ‹Ja.› Dann sag­ten wir: ‹Schaut: Falls wir Ärger bekom­men, haben wir mehr als 100’000 iri­sche Anleger, die alle ziem­lich laut wer­den dürf­ten.› Und dann sag­te ich: ‹Und glaubt nicht, dass die ande­ren iri­schen Banken uns ret­ten wer­den. Aber die Zentralbank kann das. Und sie soll­te gleich noch ein­mal gleich genau so viel für die ande­ren Hypothekenbanken reser­vie­ren. Das sind die Fakten.› Damit hat­te ich ihre gan­ze Aufmerksamkeit, und sie hol­ten Pat Neary. Neary kam und sag­te (kopiert Nearys lang­sa­me, väter­li­che Stimme): ‹Aber Jungs! Kommt mal her. Ihr habt doch sicher Vermögenswerte, gute Vermögenswerte, die ihr ein­set­zen könnt? Gibt es bei euch denn nichts, was Wert hat?›
F: Ja, ja …
B: (kopiert wei­ter Neary) ‹Seht her Jungs, wenn ihr das jetzt durch­zieht, dann ist das, was auch immer, dann berei­nigt, oder?›
F: Was heisst ‹was auch immer dann berei­nigt›?
B: Mit ande­ren Worten: Die Summe, die wir von der Zentralbank bekom­men, löst alle unse­re Probleme.
F: Ja, ja, das wird ver­flucht sicher so pas­sie­ren …
B: Das heisst …
F: Das heisst – ver­mas­selt es nicht!
B: Und kommt nie wie­der zurück!
F: Ja, ver­mas­selt es nicht, ja, ja, ja!

Es ist das einer der Artikel, auf die ich am stol­ze­sten bin, gera­de weil kaum ein Wort von mir drin steht.

Wer sagt, dass die pure, inte­gra­le Übernahme kei­ne Leistung sei, der ver­glei­che den kom­plett geklau­ten Artikel mit dem ehren­haft zusam­men­ge­koch­ten Bericht aus ein paar Zitaten (etwa hier). Ungekürzt hat der Fall eine ganz ande­re Wucht.

Die Moral? Man soll­te bei Fundstücken immer die Augen offen hal­ten, ob sich nicht mehr ver­wen­den lässt als zwei, drei kur­ze Zitate – etwa gan­ze Passagen oder im Idealfall der gan­ze Text. Denn gros­se Journalisten waren schon immer gros­se Diebe.

Die Amateure klau­en etwas Schmuck. Die Profis den gan­zen Palast.

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