Kurz nachdem der zweite vom Theater am Neumarkt und dem MAGAZIN organisierte «Glückliche Tag» mit einem Gespräch zwischen Adolf Muschg und Thomas Zaugg begonnen hatte, twitterte Kollegin @EvaHerdiger: «Keine Sorge: Live ist diese Suche nach dem Glück weniger schwammig.» Doch sie sollte nicht durchgängig Recht behalten.
Zwar war es unterhaltsam, Adolf Muschg über seine Kindheit, über selbst erarbeitete Glücksvorstellungen, oder über Kami (ein Konzept im Shintō) reden zu hören. Doch so kurzweilig der Talk, so schnell war er auch wieder vorbei und vergessen: Saal räumen, es muss weitergehen! Das Neumarkt hat mit (zu) viel parallelen Programmpunkten aufgewartet, der straffe Zeitplan liess kein Verweilen oder Vertiefen eines Themas zu.
Der Versuch, mittels Twitterwall im Foyer eine gewisse Konstante herzustellen und die inhaltlich wie strukturell oftmals losen Enden der parallel laufenden Happenings in einen Zusammenhang zu stellen, bzw. einen Austausch zu schaffen, glückte nur teilweise. Wo kein klares Konzept zu erkennen ist, lässt sich auch kein roter Faden aus 140 Zeichen-Nachrichten zusammenflechten. (Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung so spontan und kurzgefasst mehr als Banalitäten zu generieren. Ich selbst hatte als First Time-Twitterin nicht nur Sternstunden.)
Rührei und Wartelisten
Auf der Warteliste für die «Sonja-Massage» und zur Beichte bei Michèle Rothen angemeldet, schaute ich in der Küche vorbei, wo laut Programm «das langsamste Ei der Welt» gekocht und «ununterbrochen über die beste Musik beim Kochen» geredet werden sollte. Das sah in Realität so aus: Ein vom Besuch überrascht wirkender Christian Seiler rührt in einer Pfanne, erklärt, dass Rührei auf niedriger Stufe erhitzt am besten schmecke (guter Tipp!), und macht mir dann freundlicherweise Kaffee. Das war sehr nett. Mehr aber auch nicht. Und bevor sich ein (vielleicht wahnsinnig tiefes) Gespräch über Musik oder Sonstiges entwickeln konnte, werde ich zu Sonja Matzinger und Bruno Amanico Silva auf die Massageliege gerufen, wo ich mich einer grossartigen Behandlung hingebe.
Mit gelöstem Nacken ging es zu Su-Mi Jang, um «Muskeln und Gedanken zu befreien». Der Workshop mit dem erwartungsbeladenen Titel «No Title of Body» stellte sich als äusserst charmant angeleitete, aber völlig beliebige «Spür-mich»-Stunde heraus.
Glücksversprechen zur Erhaltung der Machtverhältnisse
Zu den inhaltlich stärkeren Programmpunkten gehörte die Beichte (von der aufgrund des Beichtgeheimnisses nicht mehr berichtet sei) und, als klares Highlight: Christina Binswangers Vortrag über die «Unhappy Housewifes». Binswanger untersuchte in ihren präzisen Ausführungen die Gefühlskulturen, die der Figur der Hausfrau und Mutter eingeschrieben sind. Sie zeigte anhand des Beispiels einer Filmsequenz aus «The Hours» nach dem gleichnamigen Roman von Michael Cunningham, wie das im Nachkriegsamerika konstruierte Glücksversprechen die Frauen auf ihre Funktion zu Hause beschränkte. Damit war die Handlungsmacht der Frauen extrem eingeengt und die Entfaltung ihres eigenen Glücks beschnitten. Die damals propagierte Fantasiefigur der glücklichen Hausfrau, die ihrer Aufgabe der materiellen und emotionalen Versorgung von Mann und Kindern mühelos nachkommt, sollte Forderungen nach Gleichstellung zum Schweigen bringen. Laura Brown, eine der drei Protagonistinnen des Films, leidet unter dem Verzicht auf ein eigenes, unvermitteltes Glücks. Um sich «von der Enge des Glückshorizonts (…) zu befreien und seine Grenzen zu sprengen» verlässt sie ihre Familie und fängt andernorts ein neues Leben als Bibliothekarin an.
Das Glück, frei entscheiden zu dürfen
Doch nicht nur das «Glücksscript» für die Frau in der Nachkriegszeit forderte ein Leben am Herd der heterosexuellen Kleinfamilie, wie Schweizer Statistiken zu Erwerbskombinationen in Paarhaushalten mit Kindern zeigen. In der offenen Runde mit den ZuschauerInnen wird festgestellt: Damit die familiäre Erwerbssituation tatsächlich eine freie Entscheidung sein kann, fehlt es in der Schweiz selbst heute noch an politischem Willen und entsprechenden Strukturen. Auf ein Fazit in Tweetlänge gebracht: «Glück heisst, frei entscheiden zu dürfen.»
Ich entschied mich freiwillig, als Abschluss in intimem Kreis Heike Mundler zuzuhören, die von anrührenden Reisebegegnungen erzählte und altruistische Fabeln vorlas. Damit blieb sie allerdings sehr im Privaten verhaftet. Doch anstelle einer anschliessenden Diskussionsrunde hiess es mal wieder: Saal räumen und weiter! Ich habe mir auf den Heimweg einen der im Foyer ausliegenden Äpfel mit «100% glücklich»-Sticker mitgenommen. Das traf auf mich nicht ganz zu…




